Eigentlich wollte ich daraus schon immer eine Serie machen. Schöner Titel vielleicht: „Bullshit der Woche“. Oder: „Das Unvermögen unserer großen Medien, den Sinn von Meldungen zu begreifen.“ Oder vielleicht auch: „Leser-Angeln mit falschen Überschriften“. Oder so ähnlich. Es stößt mir eigentlich täglich auf, wenn ich die Online-Seiten der großen Zeitungen durchforste: Irgendwo wird immer völlig fahrlässig Blödsinn erzählt. Und manchmal scheinen die Autoren auch einfach im Deutschunterricht gepennt haben.

Oder schlechte Deutschlehrer gehabt zu haben. Oder sich mit Auswendiglernen durchgemogelt zu haben, aber nie begriffen haben, dass Sprache etwas Genaues und Sensibles ist. Die Wortwahl bestimmt die Botschaft.

Kommen wir also zu den Erdbeeren. Oder eben dem, was die Glanzlichter bei „ZEIT Online“ aus der deutschen Erdbeerernte 2025 gemacht haben: „Erdbeerernte fällt so schlecht aus wie seit 30 Jahren nicht mehr“.

Was "ZEIT Online" aus derf deutsche Erdbeerernte 2025 gemacht hat. Screenshot: L-IZ
Was „ZEIT Online“ aus der deutschen Erdbeerernte 2025 gemacht hat. Screenshot: L-IZ

Was einfach falsch ist. Aber dazu braucht man ein gewisses Gefühl für Sprache. Und legitimiert Blödsinn nicht damit, dass man gleich fünf Quellen auflistet: „DIE ZEIT, KNA, dpa, AFP, maw“. Obwohl dem allen nur eine Ursprungsquelle zugrunde liegt – nämlich die Meldung des Statistischen Bundesamtes, das ganz sachlich von etwas völlig anderem berichtet hat, nämlich der wahrscheinlich „niedrigsten Erdbeerernte“ seit 1995.

Niedrig ist kein Synonym für schlecht

Wer im Wörterbuch nachschauen will (das eigentlich auch an jedem Newsdesk ausliegen sollte), findet dort den Unterschied zwischen „niedrig“ und „schlecht“ schön erklärt, wenn er das richtige Wörterbuch hat. Denn in der Meldung des Statistischen Bundesamtes ging es nur um die Erntemenge, nicht um die Qualität der Ernte. Eine schlechte Ernte ist es – das weiß jeder Bauer – wenn die Büsche keine oder wenig Früchte tragen, Regen, Dürre oder diversen Schädlinge die Früchte angegriffen haben, man also weniger erntet, weil – ja, weil die Ernte tatsächlich schlecht war.

Aber davon berichtet das Statistische Bundesamt nicht. Sondern von einer geringeren Erntemenge. „Die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland erwarten nach ersten Schätzungen eine Ernte von 75 500 Tonnen Erdbeeren im Freiland. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, wäre das die niedrigste Erntemenge seit 1995 (68 800 Tonnen).“

Was Gründe hat. Aber eben nicht in einer schlechteren Ernte, sondern in einer deutlich geringeren Anbaufläche. Mit den Worten der Statistischen Bundesamtes: „Eine Ursache für diese Entwicklung ist die weitere Abnahme der ertragsfähigen Anbauflächen für Freilanderdbeeren. Gegenüber dem Vorjahr ging sie 2025 um 4 % gegenüber dem Vorjahr auf 8 100 Hektar zurück. Das ist ebenfalls der niedrigste Wert seit 1995. Der Rückgang der verhältnismäßig kostenintensiven inländischen Erdbeererzeugung lässt sich unter anderem durch gestiegene Produktionskosten und die allgemeine Preisentwicklung bei sinkender Nachfrage nach diesem hochwertigen Obst erklären.“

Das ist eine völlig andere Geschichte.

Überraschung: Bei „ZEIT Online“ ist das sogar noch in der Meldung enthalten. Es steht sogar im Teaser.

Aber irgendwie hat man dieses „Wie kann ich das noch drastischer formulieren?“ so verinnerlicht, dass man sich nicht mal geneigt fühlte, die Überschrift zu korrigieren. Dass man bei „Spiegel Online“ nicht besser drauf war, zeigt die dortige Überschrift zu Thema: „Karge Ernten bei Erdbeeren und Spargel“.

Nein: Karg ist auch kein Synonym für niedrig.

Die Ernte war auch nicht karg. Zumindest berichtet das Statistische Bundesamt dazu nichts. Die Ernte fällt nur geringer aus. Was eigentlich eine weitere Botschaft beinhaltet: Erdbeeren werden langsam zum Luxusgut. Ablesbar auch an den Preisen – nicht nur im Supermarkt. Das können sich immer weniger Menschen leisten. Weswegen sie weniger Erdbeeren kaufen und die Bauern zwangsläufig ihre Anbauflächen verringern, um keine unverkäufliche Ware herzustellen.

Es wäre ganz hübsch gewesen, hätten „ZEIT“ und „Spiegel“ aus der Meldung des Statistischen Bundesamtes etwas mehr herausgeholt, damit wir etwas lernen über den Erdbeeranbau in Deutschland und den Rückgang der Anbauflächen. Aber das haben beide nicht getan, dafür etwas von „schlechten“ oder „kargen“ Ernten fabuliert, was schlicht nicht der Meldung aus dem Statistischen Bundesamt entspricht.

Das ist entweder wirklich die Nachwirkung eines unterirdisch schlechten Deutschunterrichts. Oder eine journalistische Haltung, die sich nicht einmal mehr ein Gewissen macht, wenn sie durch übertrieben falsche Formulierungen dafür sorgt, dass aus sachlich richtigen Meldungen ein völliger Mumpitz wird.

Aber vielleicht geht es mir ja allein so, dass mir bei solchen Fehlleistungen die Haare zu Berge stehen. Vielleicht gehöre ich noch in eine Zeit, in der auch Journalisten noch sorgsam mit den Worten umgingen und genau darauf achteten, ob ihre Wortwahl den Sachverhalt tatsächlich traf. Aber vielleicht hatte ich auch schon immer zu hohe Erwartungen an das Sprachverständnis von Leuten, die in diesem unserem Lande Meldungen fabrizieren. Und für die eine „geringere Ernte“ dasselbe ist wie eine schlechte oder karge Ernte.

Dass es noch heftiger geht, hat T-Online bewiesen, wo man sich auch irgendwie in Journalismus versucht. Auch da machte man flugs aus der geringeren Ernte eine schlechte Ernte: „Erdbeeren und Spargel: Schlechte Ernte, hohe Preise“. Da erfährt man dann wenigstens etwas ausführlicher, warum die Bauern ihre Anbauflächen verringert haben. Und dass die steigenden Preise überhaupt nichts mit einer schlechteren Ernte zu tun haben. Die Bauern haben den Anbau schlicht aus unternehmerischer Entscheidung reduziert.

Was aber die faule Wortwahl in der Überschrift nicht entschuldigt. Erst recht, wenn man weiß, dass die meisten Leute heutzutage nur noch die Überschriften lesen und mit längeren Artikeln sowieso überfordert sind. Also bleibt dann einfach hängen: Die Erdbeerernte in Deutschland war 2025 schlecht.

War sie aber nicht. Aber wen interessiert das noch, wenn es ein Haufen Medien genauso vermeldet hat? Vertrauen schafft man so nicht. Nur ein Gefühl, dass alles nur immer schlimmer wird.

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