Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch ihre Zukunft ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen auch außerhalb von Mitteldeutschland – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Die Luisenstadt-Kirche Berlin – auch Luisenstädtische Kirche oder Sebastian-Kirche genannt – war eine evangelische Kirche im historischen Stadtteil Luisenstadt des Berliner Ortsteils Mitte.

Drohung des Kurfürsten zur Weihe

Die Grundsteinlegung für die Kirche war am 27. August 1694 auf dem neuen Friedhof der St.-Petri-Gemeinde in Cölln. Auslöser war das stetige Wachstum der Doppelstadt Berlin-Cölln. Der Oberkirchenvorsteher Sebastian Nethe setzte sich für den Bau ein, und so erhielt sie laut Überlieferung bei der Einweihung am 21. Juli 1695 mit Propst Lütkens den Namen Sebastiankirche.

Die Kirche wurde ohne Wissen des calvinistischen Kurfürsten Friedrich III. mit lutherischen Zeremonien eingeweiht – was diesen zu der Drohung verleitete, dem Magistrat das Kirchenpatronat zu verweigern.

Die Pläne für die barocke Fachwerkkirche mit ihrem kreuzförmigen Grundriss und einem hölzernen Turm erstellte Martin Grünberg. 1707 erhielt die Kirche eine Schnitger-Orgel.

Geschichte

Rund 60 Jahre nach der Errichtung war das Bauwerk in einem so maroden Zustand, dass es 1751–1753 zum Neubau kam. Baumeister waren Christian August Naumann und Johann Gottfried Büring. Sie schufen einen hochwassergeschützten Neubau auf Gewölben mit 27 großen und kleinen Leichenkammern. Diese wurden die Grabstätten etwa von Hofkupferstecher Georg Friedrich Schmidt und Komponist Wilhelm Friedemann Bach.

1785 änderte sich für zehn Jahre aufgrund einer Ministerialverfügung der Name in Köllnische Vorstadtkirche. Zur 100-Jahr-Feier verfügte Friedrich Wilhelm II. eine Rückbenennung in Sebastiankirche. Er war es auch, der auf dem neuen Friedhof sowohl die Bestattung von Verstorbenen der evangelisch-lutherischen Kirchen als auch von Reformierten gestattete.

Im Jahr 1802 baten die Bewohner des Köpenicker Viertels den König Friedrich Wilhelm III., ihr Gebiet zu Ehren seiner Gemahlin Luise in Luisenstadt umzubenennen. Dies führte dazu, dass das Gotteshaus nunmehr Luisenstädtische Kirche hieß. Wenige Jahre später wurde der Friedhof geschlossen. Er dient seitdem als Park.

Kirchen-Ansicht vor 1945.Foto: Berlin-Archiv, Archiv-Verlag, Braunschweig, 1980-90, Sammelblatt 03040, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=92034206
Kirchen-Ansicht vor 1945. Foto: Berlin-Archiv, Archiv-Verlag, Braunschweig, 1980-90, Sammelblatt 03040, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=92034206

Die Kirche wurde 1841 und 1842 erneut instandgesetzt. Die Arbeiten unter Leitung von Bauinspektor Wilhelm Berger erforderten erhebliche finanzielle Mittel. 1845 wurde unter Mitarbeit von Friedrich August Stüler der gotisierende Kirchturm mit Uhr vollendet.

Weitere Umbauten gab es von 1936 bis 1940, damals wurden Heizung, Beleuchtung und Toiletten erneuert.

Zweiter Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg trafen beim Luftangriff am 3. Februar 1945 Brand- und Sprengbomben die Kirche. Etwa 60 Menschen – viele von ihnen Kinder, die in ihr Schutz gesucht hatten –, kamen dabei ums Leben. Das Gotteshaus brannte mit dem größten Teil des Inventars aus. Die Grabgewölbe wurden nach Kriegsende vollständig geplündert.
Das Gotteshaus diente Generationen von Christen regelmäßig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stätte festlicher Begegnung.

Sie war vertrauter, heimatlicher Treffpunkt für Taufe und Konfirmation, für Trauung, Silberne und Goldene Hochzeit und für den Heimgang hunderter Bürger. Sie war Ort der Gemeinsamkeit für Andacht und Hoffnung, für Zuversicht und Freude, für Trauer und Leid.

Politisch erzwungene Abriegelung und Sprengung

Wie wohl in jeder anderen Kirchgemeinde mit dem gleichen Schicksal wünschten sich die Christen dort das Wiedererstehen ihres Gotteshauses am selben Ort. Es blieb ein frommer Wunsch – aus politischen Gründen: Nach der Teilung Berlins lag die Kirche aus Sicht der DDR zu dicht an der Sektorengrenze.

Mit dem Mauerbau ab August 1961 sollte nach dem Willen der SED-Machthaber in Ost-Berlin die Kirchgemeinde um die Kirche ein Drahtzaun errichten und den Kirchturm bis zur Höhe des Gesims abtragen: Um eine „Republikflucht“ – so der offizielle DDR-Begriff für die persönliche Entscheidung, nicht länger im selbsternannten „Arbeiter- und Bauernstaat“, im „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“, leben zu wollen – zu verhindern.

Der Gemeinde fehlten die Mittel für die politisch vorgegebenen Umbauten; und die Annahme von Geld aus West-Berlin wurde vom Ost-Berliner Magistrat abgelehnt. Am 29. Mai 1964 ließ die Stadtverwaltung von Ost-Berlin das Gotteshaus sprengen, die Grabgewölbe wurden mit den Trümmern verfüllt und die Gräber des Kirchhofs eingeebnet. Erhalten blieben eine Glocke und das Ölgemälde „Der barmherzige Samariter“ von Bernhard Rode.

Gegenwart

Heute erinnert eine Hecke aus Liguster an den Grundriss der Kirche. Auf Initiative des Bürgervereins Luisenstadt e. V. gibt es seit 2002 eine Informations-Stele des Bildhauers Nikolaus Bode auf dem parkähnlichen Gelände. Sie zeigt auf einem Relief die Kirche und erinnert an die Prominenten, die im Grabgewölbe ihre Ruhestätten hatten.

Die in der Nähe gelegene Sebastianstraße hat ihren Namen mit Bezug auf die einstige Kirche. Im August 2019 wurde vom Bürgerverein Luisenstadt e. V. eine neugestaltete Gedenktafel gesetzt.

Koordinaten: 52° 30′ 32,3″ N, 13° 24′ 26,2″ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Luisenstadt-Kirche
https://www.buergerverein-luisenstadt.de/arbeitsgruppen-projekte/denkmaeler/ein-denkmal-fuer-die-luisenstadtkirche

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