Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch ihre Zukunft ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen in Mitteldeutschland – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Die All Saints Church zu Leipzig war ein anglikanisches Kirchengebäude im Bachviertel. Sie hieß auch Church of the Ascension, All Saints’ English and American Episcopal Church, eingedeutscht Anglikanische Kirche sowie Angloamerikanische Kirche. Der im Zweiten Weltkrieg beschädigte Sakralbau wurde nach Kriegsende gesprengt.

Geschichte

Im 19. Jahrhundert lebten in der Kultur- und Messestadt Leipzig zahlreiche britische und US-amerikanische Geschäftsleute, Künstler und Studenten. Daher gab es bereits ab 1862 für die anglo-amerikanische Community erste anglikanische Gottesdienste. Anfangs wurden dafür noch die evangelisch-lutherische Thomaskirche am Thomaskirchhof und das Conservatorium der Musik im Musikviertel genutzt. Es wuchs der Wunsch nach einem eigenen Kirchengebäude.

1870 bekam der sächsische Architekt Oskar Mothes den Auftrag, einen Kirchenbau zu planen. Seine Entwürfe für das Bauvorhaben wurden zunächst anderswo verwendet – für die von 1876 bis 1877 errichtete Anglikanische St.-Lukas-Kirche im böhmischen Karlsbad. Ihre Kirchweihe war am 24. Juni 1877, das Bauwerk hat die Zeit bis heute überdauert. Möglicherweise hat der Bau dieser „eineiigen Zwillingsschwester“ den Baubeginn in Leipzig verzögert.

Die Stadt Leipzig überließ der anglikanischen Gemeinde 1883 Baugrund in der Bismarckstraße, der späteren Ferdinand-Lassalle-Straße, am nordwestlichen Ende des Johannaparks. Dann kam es zu einem ungewöhnlichen Ereignis, dessen Gründe bis heute unklar bleiben: Die Verantwortlichen der Kirchengemeinde tauschten dieses Grundstück wenig später gegen das Grundstück der zeitgleich geplanten, evangelisch-lutherischen Lutherkirche an der Ecke Sebastian-Bach-Straße und Schreberstraße.

Die Kirche um 1900. Foto: Autor unbekannt, gemeinfrei. Aus: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen. Stadt Leipzig. Die Sakralbauten. München 1995, Bd. 1 S. 784. https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9572661
Die Kirche um 1900. Foto: Autor unbekannt, gemeinfrei. Aus: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen. Stadt Leipzig. Die Sakralbauten. München 1995, Bd. 1 S. 784. https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9572661

Im Mai 1884 war die feierliche Grundsteinlegung mit dem anglikanischen Bischof für Nord- und Zentraleuropa, Jonathan Titcomb, und Persönlichkeiten der Stadt. Der Kirchenbau wurde mit Unterstützung des britischen und des US-amerikanischen Konsulats verwirklicht.
Im Juni 1885 war die Kirchweihe für die Church of the Ascension – auf Deutsch: Himmelfahrtskirche. Später hieß sie dann All Saints Church – Allerheiligenkirche.

Bauwerk

Mothes orientierte sich bei seinen Plänen am Early English Style, der englischen Frühgotik. Der Grundriss der Kirche war einem lateinischen Kreuz ähnlich. Im Langhaus befanden sich Seitenschiffe. Auf dem Entwurf thronte über dem Kirchenschiff ein hoher hölzerner Dachstuhl.
Die Front an der Sebastian-Bach-Straße war mit einer Fensterrose ausgeschmückt, eine lange Vorhalle schloss sich an den Eingangsbereich an. Ein ursprünglich geplanter Kirchturm im linken Eingangsbereich wurde nicht mehr verwirklicht. Die Kirche hatte eine Orgel, von 1894 bis 1898 war Thomas James Crawford dort Organist.

Erster Weltkrieg und die Zeit danach

Mit Kriegsausbruch 1914 wurden Leipzigs Ausländer aus dem Vereinigten Königreich und den USA als Angehörige der Kriegsgegner zu unerwünschten Personen – sie wurden de facto vertrieben. Die anglikanische Kirchengemeinde löste sich deshalb auf. In der Zeit der Weimarer Republik wurde der Sakralbau von einer deutschen Freikirche, der Pfingstgemeinde „Christliche Gemeinde e. V.“, genutzt.

Zwillingsschwester: Anglikanische St.-Lukas-Kirche in Karlsbad. Foto: SchiDD, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=79373988
Die Zwillingsschwester: Anglikanische St.-Lukas-Kirche in Karlsbad. Foto: SchiDD, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=79373988

Bei den alliierten Luftangriffen auf Leipzig vom 4. Dezember 1943 und im Frühjahr 1945 wurde das Gotteshaus ebenso wie auch andere Bereiche des südlichen Bachstraßenviertels schwer beschädigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es bis zur Sprengung als Materiallager genutzt – somit ließ dessen Beschädigung diese Art von Nutzung noch zu. Offen ist, wer zum Zeitpunkt der Kirchensprengung Eigentümer des Sakralbaus gewesen ist.

Jüngere Vergangenheit und Gegenwart

Nach der Friedlichen Revolution in der DDR gründete sich 1995 mithilfe der britischen Missionsgesellschaft wieder eine neue Gemeinde englischsprachiger Christen unter dem Namen Leipzig English Church (LEC), die der Church of England zugehörig ist und von der Intercontinental Church Society unterstützt wird. Der Verein der Freunde der anglikanischen Gemeinde in Leipzig e. V. wie auch das Gemeindebüro sind in der Shakespearestraße 53 zuhause.

Das einstige Kirchengelände wurde in den 2000er Jahren in den Bildungscampus Forum Thomanum integriert: Auf der Fläche steht heute die Grundschule forum thomanum.

Koordinaten: 51° 20′ 12,7″ N, 12° 21′ 40,8″ O

Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/All_Saints_Church_(Leipzig)
https://www.kirche-leipzig.de/gemeinde/leipzig-english-church-anglican/

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