Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die meisten haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen auch außerhalb von Mitteldeutschland – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Die St. George’s Anglican Church war das erste Gotteshaus der anglikanischen Gemeinde in Berlin.

Die anglikanische Gemeinde: Hintergründe

In Berlin gab es seit den 1830er Jahren anglikanische Gottesdienste. Ab 1855 diente das Torhaus vom Schloss Monbijou an der Oranienburger Straße als English Chapel (Englische Kapelle). König Friedrich Wilhelm IV. öffnete 1854 auch den Theatersaal des Schlosses für Gottesdienste.

1883 stellte Wilhelm I. anlässlich der nahenden Silberhochzeit des Kronprinzenpaares ein Areal im Park von Schloss Monbijou zur Verfügung, damit dort eine anglikanische Kirche errichtet werden sollte. Hintergrund: Kronprinzessin Victoria von Großbritannien und Irland, 1840 in England geboren, war anglikanischen Glaubens. Finanziert wurde der Bau aus Geldspenden zur Silberhochzeit. Die waren so reichlich, dass auch die Anstellung des anglikanischen Geistlichen dieser Kirche davon bezahlt werden konnte.

Berlins anglikanische Kirchengemeinde wuchs, und so entstand zwischen dem 24. Mai 1884 – dem Tag der Grundsteinlegung – und 1885 unter der Schirmherrschaft von Kronprinzessin Victoria deren erstes eigene Kirchengebäude in Berlin, die St. George’s Anglican Church. Die Baukosten für das Gotteshaus mit rund 300 Sitzplätzen beliefen sich auf 130.000 Mark, feierliche Einweihung war am 19. November 1885.

25 Jahre zuvor, im Jahr 1860, hatten Kronprinzessin Victoria und Kronprinz Friedrich Wilhelm (der spätere Kaiser Friedrich III., der „99-Tage-Kaiser“) in der Englischen Kapelle geheiratet.

Gestaltet nach englischen Vorbildern

Architekt Julius Carl Raschdorff, Professor an der Technischen Hochschule Berlin, unternahm eine Studienreise nach England, um sich dort mit dem anglikanischen Kirchenbau-Stil vertraut zu machen. Sein Entwurf wurde mit hellem schlesischem Sandstein und gesprengten Granitfindlingen realisiert, das Dach reich gemustert und mit farbigem Schiefer gedeckt.

Regierungsbaumeister Otto Raschdorff, der Sohn des Architekten, unterstützte seinen Vater vor allem bei der Innengestaltung der Kirche. An der Decke war das Holzwerk sichtbar, das mit aufgemalten Flachornamenten geschmückt war. Am Fuß des Dachwerks waren Bibelsprüche aufgemalt, ausgewählt von Kronprinzessin Victoria. Der Altarraum wurde von englischen Majolika-Fliesen geschmückt.

Im Laufe der Zeit wurden – dank Stiftungen besonders von der englischen Verwandtschaft – die Glasfenster der Kirche kunstvoll bemalt. Betont schlicht waren der Taufstein, die Kanzel und das Chorgestühl gehalten.
Hochmodern für damalige Verhältnisse war die technische Ausstattung der Kirche: So gab es eine Mitteldruck-Wasserheizung, die durch im Fußboden eingelassene Gitter Wärme verströmte. Im Dachfirst waren Entlüftungsklappen eingearbeitet.

Innenaufnahmen von 1886. Fotos gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Engl.kirche.jpg
Innenaufnahmen von 1886. Fotos gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Engl.kirche.jpg

Im Jahr 1888 besuchte Queen Victoria die Kirche. Am 25. Mai 1913 waren König George V. und seine Gemahlin Mary dort Ehrengäste bei einem Gottesdienst.

Zwischen den Weltkriegen

Als einzige anglikanische Kirche in Deutschland blieb St. George’s auch während des Ersten Weltkriegs geöffnet, da sie unter dem Schutz des Kaisers Wilhelm II. stand. In den 1920er und 1930er Jahren konnte die Kirche nur mühsam offengehalten werden, die Kirchengemeinde hatte Existenz- und Finanz-Sorgen.

Der anglikanischen Gemeinde gehörten damals neben Briten auch Amerikaner, Deutsche, Inder, Chinesen, Finnen und Russen an. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Kirche geschlossen und 1943 und 1944 von Bomben der Alliierten getroffen.

Abriss wegen monarchischer Vergangenheit?

Eine damalige gesetzliche Bestimmung ermächtigte Berlins Stadtverwaltung, von Trümmern geräumte Gelände zu verstaatlichen und mit Wohnungen zu bebauen. Dies nutzte nach Ansicht von Kritikern besonders die Verwaltung in Ost-Berlin, um Kirchengemeinden zu enteignen, indem beschädigte Kirchen unverhältnismäßig häufig gesprengt wurden.

Die DDR setzte im Zusammenhang mit der Enttrümmerung des Berliner Stadtzentrums und nach der Teilung Berlins 1949 den Abriss des kriegsbeschädigten Schlosses Monbijou sowie den Abriss des Kirchengebäudes durch. Es wurde 1949 gesprengt.

Neues Gotteshaus im britischen Sektor

Im britischen Sektor von Berlin entstand 1950 die neue St. George’s Church als Garnisonkirche der britischen Militärbesatzungsmacht. Seit dem Abzug der Alliierten 1994 ist die St. George’s Church eine rein zivil genutzte Kirche. Sie dient seit Juni 2012 neben der anglikanischen Gemeinde auch der Gemeinde der City Kirche Berlin International für ihre Gottesdienste und für TV-Produktionen (Hope for Tomorrow).

Das ursprünglich von Kronprinzessin Victoria für die erste St. George’s Church gestiftete Kirchensilber wurde 1987 in einem Keller wiederentdeckt und der Kirchengemeinde zurückgegeben, es ist seither in den Gottesdiensten im Gebrauch. Ein besonderes Ausstattungsmerkmal der Nachfolger-Kirche sind zwei historistische Radleuchter, die aus dem Vorgängerbau aus dem 19. Jahrhundert stammen.

Koordinaten: 52° 30′ 44,3″ N, 13° 15′ 31,2″ O

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/St._George%E2%80%99s_Church_(Berlin)#Erste_St._George%E2%80%99s_Church_in_Berlin
https://www.stgeorgesberlin.de/st-george-s-history/
https://www.oerbb.de/anglikanische-kirche

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