In dieser Woche wird der Prozess vor dem Leipziger Landgericht gegen den Musiker und Schauspieler Gil Ofarim fortgesetzt, der unter anderem der Verleumdung angeklagt ist. Er soll einen Hotelmanager in Leipzig vor über zwei Jahren fälschlich des Antisemitismus bezichtigt haben. Zumindest bisher bestätigt keiner der befragten Zeugen, dass antisemitische Äußerungen gefallen sind.

Timo S. war dicht dran am Geschehen. Der 46-jährige Geschäftsführer war am 4. Oktober 2021 gemeinsam mit Kollegen wie so oft mal wieder im Leipziger Hotel Westin zu Gast, als sich am Abend eine Menschenmenge in der Hotellobby staute. Grund war ein spontaner Ausfall der EDV, der das Check-in für Gäste schwierig machte, Karten für die Zimmer konnten nur im Notfallmodus ausgestellt werden.

„Was ist an euch beiden so Besonderes?“

Als er und sein Kollege Alexander H. (52), beide waren arbeitsbedingt in Leipzig, ihre Karten zeitnah ausgehändigt bekamen und die Schlange Richtung Zimmer verließen, weil sie als häufige Stammgäste des Hotels dank bereitliegender Daten schnell eingecheckt werden konnten, habe sich ein Mann aus der Reihe echauffiert: „Was ist an euch beiden so Besonderes, dass ihr die Karten schon bekommt?“, habe er ihnen zugerufen.

Nach einem kurzen Wortwechsel hätten sie ihre Zimmer im Westin aufgesucht und die Sache abgehakt, so schilderten es die Zeugen Timo S. und Alexander H. am Dienstag vor dem Leipziger Landgericht.

Und auch, wenn es nicht eindeutig geklärt wurde, liegt es für viele auf der Hand, dass der Münchner Sänger und Schauspieler Gil Ofarim, der sich als „säkularer Jude“ sieht, Urheber der genervten Äußerung ist.

Seit 7. November muss er sich vor dem Leipziger Landgericht verantworten, unter anderem, weil er den damaligen Front Desk Manager des Hotels, Markus W. (35), in einem Video am Folgetag beschuldigt haben soll, ihn antisemitisch beleidigt zu haben. Doch ist die in der Aufnahme nahegelegte Behauptung, der Manager habe ihn aufgefordert, seine Kette mit Davidstern wegzupacken, um einchecken zu dürfen, tatsächlich plausibel?

Immerhin führte Ofarims Veröffentlichung des Videos bei Instagram am 5. Oktober 2021, einen Tag nach dem Geschehen, zu einem Sturm der Entrüstung bundesweit und darüber hinaus. Erst nach und nach kamen Zweifel auf, ob sich alles wirklich so zugetragen hat. Dies mündete in einer Anklage wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung gegen den heute 41-Jährigen, der zunächst das Opfer in diesem verwickelten Fall zu sein schien.

Drastischer Vergleich eines Zeugen: Verteidigung empört

Doch was passierte wirklich? Bisher zeigt der Prozess vor allem, wie unterschiedlich und schwankend das Erinnerungsvermögen von Zeugen nach mehr als zwei Jahren ausfällt. Vorzuwerfen ist das kaum, weil das menschliche Gedächtnis eben nicht wie ein Computer funktioniert, weil reichlich Zeit vergangen ist, weil nicht jeder alles gleich gut mitkriegen konnte, und auch, weil im Vorfeld kaum abzusehen war, welch Medienlawine Gil Ofarim mit seinen Vorwürfen in Gang setzen würde.

So erzählte es im Zeugenstand am Dienstag auch Ingenieur Frank J., der am fraglichen Abend ebenfalls im Empfangsbereich des Westin zugegen war: „Das hat mich beschäftigt, wie man über einen Shitstorm so viele Leute mobilisieren kann“, meinte der 58-Jährige mit Blick auf die Solidaritätsdemo vor dem Westin am Abend des 5. Oktober 2021. Dabei will er den Ablauf des Geschehens anders wahrgenommen haben.

Gil Ofarim habe am Schalter des Hotels wilde Handbewegungen gemacht, gestikuliert und sinngemäße Äußerungen wie „Scheiß-Laden“ oder „Scheiß-Service“ von sich gegeben, so der Zeuge weiter. Ofarim habe er aufgebracht und emotional erlebt, während der Hotelmanager W. darum bemüht war, die Situation ruhig zu klären, erklärte Frank J. weiter.

Ofarims Verteidigung nahm den Zeugen dann mit Fragen ins Visier, weil er während einer Befragung sinngemäß geäußert hatte, er fände die durch Ofarim mutmaßlich erfundene Anschuldigung vom Gefühl her nicht weniger schlimm, als die Vergasung von Juden zu fordern.

Frank J. sprach von einer Überspitzung und beteuerte: „Wenn ich etwas mitbekommen hätte, dann wäre ich mit Sicherheit eingeschritten.“ Ofarims Anwälte zeigten sich empört: „Es handelt sich um keine leichtfertige Äußerung, das sollte uns allen zu denken geben“, hieß es in einer Erklärung.

Zeugin hatte Mitleid mit Ofarim

Dorothee B. (54) war am 4. Oktober 2021 ebenfalls in der Warteschlange und beklagte sich, sie habe sich durch das Hotel unfreundlich und arrogant behandelt gefühlt, vor allem die Information zur Verzögerung durch den technischen Fehler beim Einchecken sei lange nicht gekommen. Gil Ofarim nahm sie nach eigener Aussage verzweifelt wahr: „Er saß da, hat ins Handy gesprochen. Er hat mir ziemlich leidgetan.“

Nach bisherigem Stand scheint nur geklärt, dass es am Abend des 4. Oktober 2021 tatsächlich Probleme gab und Gil Ofarim extrem aufgebracht gewesen sein muss. Ob er die Kette mit dem Davidstern tatsächlich sichtbar getragen hatte, einer der Streitpunkte, wurde vor Gericht bisher nur von einem Zeugen explizit bestätigt. Insgesamt wurden am Dienstag sechs Zeuginnen und Zeugen verhört, weitere Vernehmungen verschob der Vorsitzende Richter Andreas Stadler, weil die Zeit schlicht nicht reichte.

Viele Details bleiben offen, gleichwohl hat nach jetzigem Stand noch keiner der Zeugen eine antisemitische Entgleisung des damaligen Empfangschefs vom Westin ausdrücklich bestätigt.

Hotelmanager bestreitet antisemitischen Spruch und wirft Ofarim Bedrohung vor

Dessen Version geht kurzgefasst so: Ofarim habe das Hotel damit bedroht, seine Reichweite im Netz für eine miese Bewertung zu nutzen, daraufhin habe er als leitender Mitarbeiter vom Hausrecht Gebrauch gemacht und das Einchecken verwehrt, sagte Markus W. aus. Ofarims Verteidiger halten diese Reaktion für unprofessionell und wenig glaubhaft. Auch sei nicht plausibel, dass der Manager Ofarim vorab nicht erkannt habe, obwohl er doch als VIP-Gast mit dem Vermerk: „Sänger“ auf einer Liste angekündigt gewesen sei.

Bereits am Mittwoch geht das weiterhin von hohem Medieninteresse begleitete Verfahren weiter. Erwartet wird unter anderem ein Gutachten des digitalen Forensikers Dirk Labudde zu den Aufnahmen der hoteleigenen Überwachungskameras.

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Was im Hotel nicht sichtbar war, war der Davidstern. Was jetzt deutlich sichtbar ist, wie einsam ein Selbstverliebter eigentlich ist.

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