Er soll die Gefühle seines Kumpels ausgenutzt, ihn zum vermeintlichen Liebesspiel in einen abgelegenen Kornspeicher gelockt und dort umgebracht haben: Zehn Monate nach dem Auffinden einer gefesselten Leiche in der Plautstraße begann am Montag der Mordprozess gegen den mutmaßlichen Täter, dem die Anklage Bereicherungsabsichten vorwirft. Über seinen Anwalt legte der 20-jährige Kevin R. ein Geständnis ab – allerdings läge manches komplizierter, als es der kaltblütige Vorwurf zunächst vermuten ließe, sagt die Verteidigung.

Mit gesenktem Kopf und dem Gesicht hinter einer blauen Mappe versteckt, ließ sich Kevin R. am Montagmorgen durch Justizbeamte in den Saal des Leipziger Landgerichts führen. Selbst sagen wollte er nichts, nachdem Staatsanwältin Katharina Thieme die Anklageschrift gegen Kevin R. verlesen hatte. Diese wirft dem gebürtigen Leipziger Mord, besonders schweren Raub mit Todesfolge, Computerbetrug und falsche Verdächtigung vor. Mit Heimtücke, Habgier und der Ermöglichung einer anderen Straftat seien drei Mordmerkmale erfüllt.

Liebesgefühle ausgenutzt

Verteidiger Dr. Malte Heise gab daraufhin eine Erklärung für seinen jungen Mandanten ab, die den äußeren Tatablauf weitgehend einräumte: Es träfe zu, dass er seinen Bekannten Daniel P. (25) am Abend des 28. Juni 2023 in den alten Kornspeicher in der Plautstraße gelockt habe. Dabei habe er gewusst, dass der fünf Jahre ältere Kumpel Verliebtheitsgefühle für ihn hegte, so Kevin R. in seiner Erklärung.

In der baufälligen Ruine soll Kevin R. den 25-jährigen Daniel P. dann zunächst mit Panzertape gefesselt haben, was dieser als vermeintlichen Teil eines erotischen Abenteuers noch bereitwillig mitgemacht habe. Erst als das Opfer mit einem Knäuel geknebelt wurde und auch dessen Mund und Nase umwickelt waren, könnte Daniel P. laut Staatsanwaltschaft die grausame Absicht seines Bekannten erahnt haben – doch da war es bereits zu spät.

Ruine am Lindenauer Hafen. Foto: Lucas Böhme
In dieser alten Ruine geschah im Sommer 2023 das Verbrechen, mit dessen Hintergründen sich nun das Landgericht befasst. Foto: Lucas Böhme

Angeklagter spricht von Streit um Geld und „Lektion“

Laut Ermittlungsbehörden warf der Täter das wehrlose und auf dem Rücken gefesselte Opfer in einen drei Meter tiefen Schacht mit Wasser, wo es mutmaßlich einen Erstickungstod starb. Kevin R. gab zum Prozessauftakt über seinen Anwalt zu Protokoll, er habe Daniel P. „eine Lektion erteilen wollen“ und ihn dafür an den verlassenen Ort gelockt. Hintergrund seien Streitigkeiten gewesen, weil Daniel P. ihm 6.000 Euro Darlehen für den Kauf eines Kleinkraftrads zugesagt habe.

Weil er glaubte, belogen worden zu sein, habe er Daniel P. mit dem Vorwurf konfrontiert, den dieser abgestritten habe, so Kevin R.: Er habe Kerzenwachs auf den Vater eines Kleinkindes tropfen lassen und ihm dabei vorgehalten, er könne sich ja bis morgen überlegen, die Wahrheit zu sagen. Als Daniel P. um Hilfe gerufen habe, klebte ihm Kevin R. laut eigener Aussage eine Socke über den Mund und stellte ihm ein Bein, woraufhin er in das Wasserbecken gefallen sein soll.

Kevin R. entfernte sich dann nach seiner Darstellung vom Tatort, wobei er auch das Portemonnaie von Daniel P. sowie dessen Handy an sich genommen habe, um von dort aus Textnachrichten zur Beruhigung herauszuschicken. Bei der Rückkehr am nächsten Tag mit einem Bekannten habe er festgestellt, dass Daniel P. tot sei.

Zudem gab Kevin R. zu, dass er am 10. Juli 550 Euro vom Konto des Getöteten in der Sparkasse Böhlitz-Ehrenberg abhob. Vier Wochen nach dem Geschehen hatten zwei Lost-Place-Fotografen den verwesten Leichnam zufällig entdeckt und die Behörden alarmiert. Bald erhärtete sich der Straftatverdacht.

Verteidigung spricht von kompliziertem Verhältnis

Als Kevin R. am 10. August nach der Identifizierung des gewaltsam gestorbenen Daniel P. zunächst als Zeuge vernommen wurde, bezichtigte er gegenüber der Polizei fälschlich einen Dritten der schockierenden Tat, um von seiner eigenen Täterschaft abzulenken. Auch dies räumte er am Montag ein.

Wie sein Verteidiger Dr. Malte Heise vortrug, sei die Vorbeziehung zwischen seinem Mandanten und dem Opfer jedoch sehr kompliziert gewesen, der junge Kevin R. habe sich zum Tatzeitpunkt in einem Zustand „wie noch nie in seinem Leben“ befunden: „Die Verteidigung erwartet, dass diese komplizierte Gemengelage herausgearbeitet wird.“ Das Geständnis von Kevin R., der abgesehen von einem kleineren Delikt bisher noch keine Vorstrafen hat, solle im Lauf des Prozesses ergänzt werden, so die Ankündigung des Rechtsanwalts.

Hobbyfotografen schildern Auffindesituation

Das Gericht stieg am Montag mit der Vernehmung mehrerer Zeugen in die Beweisaufnahme ein. Eindrücklich schilderten die jungen Hobbyfotografen Lars P.* (18) und Matthias K.* (19), wie sie, bereits erheblich alkoholisiert, Ende Juli 2023 des Nachts durch eine kleine Öffnung in das schwer zugängliche Gebäude eindrangen und dort einen massiven Geruch bemerkten.

In einem mehrere Meter tiefen Becken fiel das Licht der Taschenlampe dann auf den Leichnam von Daniel P., der dort gefesselt, mit nacktem Oberkörper und Gesicht nach unten im Wasser trieb. „Ich kann das gar nicht beschreiben, was ich da so empfunden habe“, sagte Lars P., das Ganze sei surreal gewesen.

Man sei zunächst noch zu einer benachbarten Ruine gezogen, habe erst zwei Stunden danach doch einen Notruf getätigt, so die etwas irritierende Aussage der jungen Männer.

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt, vorerst sind Verhandlungstage bis 7. Oktober anberaumt worden.

*Namen geändert.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar