Ob der Versammlungsanmelder aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit das Problem ist oder die sächsische Coronaschutzverordnung in Kollision mit dem typischen Demonstrationsverhalten von „Querdenkern“ als Begründung seitens der Stadt Leipzig angeführt wurden, ist noch unklar. Die „Bewegung Leipzig“ alias „Querdenken 341“ jedenfalls klagt nun nach eigenen Angaben gegen die Untersagung ihrer beiden angemeldeten Versammlungen am Samstag, 10. April auf dem Augustusplatz. Denn eben das versucht die Stadt Leipzig nun nach dem 7. November 2021 erneut durch die Verwaltungsgerichte zu bekommen: ein Verbot der „Querdenken“-Kundgebungen aus Gesundheitsschutzgründen.

Gegen 10:20 Uhr wurde es heute kurz rappelig auf dem einschlägigen Telegramkanal der Leipziger „Querdenker“ (Fehler wie im Original): „Unsere Versammlung am Samstag den 10.4.21 wurde von der Versammlungsbehörde verboten. ABER WIR KLAGEN. Ausserdem sind wir an einer AUSWEICHMÖGLICHKEIT / ANDERER ORT, DRAN. WIR HALTEN EUCH AUF DEM LAUFENDEM.HEUTE NOCH. Montag sind die Ferien vorbei und wir wissen, wie sehr euch und uns dieses Thema auf den Nägeln brennt. Genau darum geben wir gerade alles um uns versammeln / austauschen zu können. Von Herzen BL“Wer es nicht weiß, Großbuchstaben signalisieren im Netz Geschrei, man ist also möglichst laut seitens der „Bewegung Leipzig / Querdenken 341“ schon vor dem Samstag. Nun werden also erneut die Gerichte entscheiden, ob das Verbot der Stadt Leipzig hält oder es morgen zu einer Versammlung auf beiden Seiten des Augustusplatzes kommt, bei der die „Querdenker“ über die Not der Kinder in der Pandemie „informieren möchten“.

Doch um die Güte der Infos abzusichern, haben sich die Leipziger „Querdenker“ für den 10. April 2021 mit dem in Mainz gemeldeten „Eltern stehen auf“ Verein zusammengetan.

Die aufgestandenen Eltern, Kinderschuhe und eine Shutterstock-Familie

Wer nach den geistigen Urhebern der bei eher ländlichen Sachsen durchaus beliebten und ziemlich an Auschwitz-erinnernden „Wir stellen Kinderschuhe vor Rathäuser“-Aktionen sucht, wird sie laut Telefonvorwahl hier, tief in der rheinland-pfälzischen Provinz zwischen Nieder-Olm und Zornheim im Landkreis Mainz-Bingen finden.

Von hier aus wird auf den Seiten der aufgestandenen Eltern eifrig geschrieben und informiert, meist äußert sich dabei die „Familie Mustermann“ zum Leben in der Pandemie. In der Landidylle leben dabei ganz bemerkenswerte Kinder, wie die offenbar hochbegabte Tochter Merle Mustermann, welche mit vier Jahren ganze Texte zu ihrer Not in der Corona-Pandemie verfassen kann.

Ob die kleine Merle, die angeblich 10-jährige Maike und der Rest der Familie echt sind, ist kaum zu sagen, jedoch eher unwahrscheinlich: Die professionellen Bilder jedenfalls sehen Agenturfotos in einschlägigen Bilderdatenbanken im Netz sehr ähnlich.

Mindestens Sohn Malte Mustermann (17) jedenfalls ist ein beliebtes Model und in der gleichen Pose wie bei den „Eltern stehen auf“ und weiteren Bildern bei der Bilderdatenbank „Shutterstock“ vertreten.

Unter den Schlagworten „sad teen boy black“ schaut er traurig in die Kamera der russischen Fotografin Julia Tsokur, seine und alle Bilder seiner angeblichen Geschwister bei „Eltern stehen auf“ sind von jeglichen Datensätzen in den Bildbeschreibungen gereinigt. „Sohn Malte“ dürfte also eher irgendwo in den Weiten Russlands als Model arbeiten, als in Nieder-Olm bei Mainz.

Bleibt also die Frage, inwieweit Menschen, die mit solchen Mitteln arbeiten, Interesse an wirklichen Informationen und einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung zu Corona-Maßnahmen statt Propaganda haben.

Aufruf von "Querdenken 341" bei "Freie Sachsen" Telegram. SCreen: Telegram Freie Sachsen
Aufruf von „Querdenken 341“ bei „Freie Sachsen“ Telegram. Screen: Telegram Freie Sachsen

Außerdem an der Seite der „Querdenken“ Leipzig-Leute, wenn es um die Werbung vorab geht, die derzeit immer bekannter werdende neue Vereinigung „Freie Sachsen“ um Martin Kohlmann und NPD-Kader Stefan Hartung.

Zuletzt spielten die „Freien Sachsen“ eine begleitende Rolle bei den Vorkommnissen am 13. März 2021 in Dresden – eine Versammlung von „Querdenken“ Dresden, bei welcher der übliche „Querdenker“-Versuch gestartet wurde, eine verbotene Demo durchzuführen und dabei alle etwaigen Coronaschutzregeln zu unterlaufen.

Knapp 1.000 Ordnungswidrigkeitsanzeigen und 47 Strafanzeigen sowie 12 verletzte Polizeibeamte waren das Ergebnis. Seit neuerem verteilen die Rechtsextremisten eine Zeitung – auch in Leipzig (Leutzsch).

Der „Zero Covid Day“ wird zum Gegenprotest

Ob das Verbot der Versammlungen der „Querdenker“ Bestand hat, ist für den Gegenprotest dieses Mal ziemlich egal. Lange vor Bekanntwerden des erneuten Versuches der Pandemieleugner/-innen, in Leipzig zentral zu demonstrieren, haben verschiedene Organisationen den sogenannten „Zero Covid Day“ vorbereitet.

Darin eingebettet sind einige Radtouren ab 14 Uhr Richtung Leipzig-Zentrum.

Die Zeitung der maßßgeblich aus dem Erzgebirge kommenden "Freien Sachsen" werden auch in Leipzig verteilt. Foto: LZ
Die Zeitung der maßgeblich aus dem Erzgebirge kommenden „Freien Sachsen“ werden auch in Leipzig verteilt. Foto: LZ

Denn dass man sich in Leipzig so eher gar nicht dem „Querdenker“-Milieu anschließen will, bedeutet nicht, dass man keine Kritik an der handelnden Politik in der Pandemie hat.

So startet am Samstag unter anderem um 14 Uhr am Rabet (Eisenbahnstraße) eine Fahrraddemo unter dem Motto „Kapitalismus in den Shutdown schicken – für eine solidarische Pause!“. Diese wird von Prisma – IL Leipzig, der Naturfreundejugend Leipzig und Medinetz Leipzig organisiert und führt vom Osten über die Innenstadt und den Ring zum Clara-Zetkin-Park.

Dazu erklärt Johanna Dechend von Medinetz Leipzig: „Die gegenwärtige Corona-Politik muss grundlegend verändert werden. Wir brauchen eine solidarische Pause. Mit unserer Forderung richten wir uns entschieden gegen die antisemitische und sozialdarwinistische Hetze  der  sogenannten Eltern stehen auf` und Querdenker/-innen.“

Ab 15:30 Uhr startet dann vor dem Paulinum und damit in Hör- und Sichtweite zu dem „Quarkdenker/-innen-Sammelsurium am Augustusplatz eine Kundgebung des SDS Leipzig unter dem Motto „#ZeroCovid – für eine zukunftsfähige Lehre, Forschung und Wissenschaft”, so das aufrufende Netzwerk „Leipzig nimmt Platz“ in einer Pressemitteilung.

Alfred Vogt vom SDS Leipzig dazu: „Für ein solidarisches Ende der Pandemie müssen endlich Maßnahmen ergriffen werden, die nicht von Einzel- und Privatpersonen getragen werden müssen. Kritik an den Maßnahmen – ja! Realitätsferne Pandemieverharmlosung – nein!“

Irena Rudolf-Kokot von Leipzig nimmt Platz am 21. November 2020. Foto: Tilly Domian / LZ
Irena Rudolf-Kokot von Leipzig nimmt Platz am 21. November 2020. Foto: Tilly Domian / LZ

Abschließend ruft Irena Rudolph-Kokot für das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ auf: „Wir müssen unsere Forderungen nach einem solidarischen Umgang in der pandemischen Lage gesamtgesellschaftlich viel lauter artikulieren. Vor allem auch im Gegensatz zu den Egoist/-innen der Leerdenker/-innen, welche die rechte Vereinnahmung ignorieren.“

Das hieße auch, „gezielt die Forderungen in die Öffentlichkeit tragen. Deswegen rufen wir zur Teilnahme an den Versammlungen auf – natürlich mit Abstand, Maske und gegenseitiger Rücksichtnahme.“

Die Polizei bereitet sich – obwohl die „Querdenker“ in den vergangenen Monaten in Leipzig kaum mehr als 30 bis 50 Teilnehmer/-innen aufbieten konnten – unterdessen auf einen Großeinsatz in Leipzig vor und hat um Unterstützung in anderen Bundesländern gebeten. Mit 1.500 bis 2.000 Beamten ist deshalb wohl zu rechnen.

Mit Spannung wird – sofern denn die „Querdenken“-Versammlung gerichtlich doch noch zugelassen wird – erwartet, wie die Beamten dann bei vermehrten Verstößen der Pandemieleugner/-innen einschreiten.

Heißt auch: Mit welcher Order die Einheiten vom neuen Polizeipräsidenten Leipzigs René Demmler dann in den Einsatz geschickt werden.

Update 13:30 Uhr: Der OVG-Bautzen-Beschluss

Auch vor dem OVG Bautzen hielt die Verbotsverfügung der Stadt Leipzig. Die folgenden Entwicklungen, wie das Ausweichen der “Querdenker” in die Leipziger Nachbarstadt Halle, das dortige Verbot der Versammlung und den vollständigen Beschluss des Gerichtes finden sich im Folgebeitrag auf L-IZ.de: Nach OVG-Beschluss zu „Querdenken“: Leipziger Verbot steht und Halle bekommt „Besuch“

Update 10. April, 13:07 Uhr

"Bewegung Leipzig" will nun 16:30 Uhr in Halle/S. eine Kundgebung abhalten. In Sachsen-Anhalt wird man sich freuen. Foto: Screen Telegram Bewegung Leipzig
“Bewegung Leipzig” will nun 16:30 Uhr in Halle/S. eine Kundgebung abhalten. In Sachsen-Anhalt wird man sich freuen. Foto: Screen Telegram Bewegung Leipzig

Nun war der „Bewegung Leipzig“ offenbar das Warten auf das OVG-Urteil zu viel. Wie angekündigt, veröffentlicht die „Bewegung“ auf dem eigenen Telegramkanal 13:01 Uhr ein Schaubildchen, laut dem es nun nach Halle/Saale gehen würde. Dort wolle man sich nun um 16:30 Uhr treffen, um sich „zu vernetzen“.

Damit wäre die ganze Versammlungsaufregung aus Leipzig raus, über eine Landesgrenze abgewandert. Wenn die Telegram-Information auch wirklich in Gänze stimmt. Denn ob den Versammlungsanmeldern die OVG-Gerichtsentscheidung bereits vorliegt und sie – weil es ein Verbot ist – nun nach Halle/S. verlegen wollen, ist unbekannt.

Noch immer ist nicht bekannt, wie das OVG Bautzen in der Sache entschieden hat, eine angekündigte Pressemitteilung steht nach wie vor aus.

Update 10. April, 9 Uhr

Auf LZ-Nachfrage teilt das OVG Bautzen um 8:30 Uhr zum weiteren Verlauf der Verhandlungen nur mit, dass nur ein Versammlungsanmelder (von Zweien) geklagt habe und die Entscheidung „am Vormittag fällt“.

Betrachtet man das Urteil, welches das OVG Bautzen am 26. März 2021 wegen einer ähnlichen Versammlungsanmeldung des Bündnisses „Chemnitz steht auf“ in Chemnitz fällte, könnte auch die Entscheidung heute auf eine höhere Gewichtung des Gesundheitsschutzes und somit einer Aufrechterhaltung des Versammlungsverbotes für die „Querdenker“ hinauslaufen.

Ein Argument des OVG am 26. März 2021 war neben den gestiegenen Inzidenzzahlen in Sachsen, „dass das Bündnis nach der derzeitigen Erkenntnislage in Gruppierungen eingebunden sei, die infektionsschutzrechtliche Schutzmaßnahmen nicht beachteten.“

Das dürfte in vollem Umfang auf für die „Bewegung Leipzig“, „Querdenken“ und „Eltern stehen auf“ zutreffen.

Update 10. April 2021, 7 Uhr

Bislang liegt lediglich die Information vor, dass das Verwaltungsgericht Leipzig noch am gestrigen Abend die Verbotsverfügung der Stadt Leipzig für die beiden „Querdenken“-Versammlungen am heutigen Samstag für das gesamte Stadtgebiet bestätigt hat.

Nach ersten Informationen sollen sich die Anmelder der Versammlungen um eine Entscheidung am Oberverwaltungsgericht Bautzen bemühen. Wir informieren über diese Entscheidung, sollten diese Informationen stimmen, sobald sie vorliegt.

Das Versammlungsgeschehen am 10. April 2021 (Stand 16 Uhr, 9. April)

Ortsfeste Versammlungen

Kundgebung „#ZeroCovid! Für eine zukunftsfähige Lehre, Forschung und Wissenschaft!“, Veranstalter: Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (SDS) Leipzig, 14:30 bis 17:30 Uhr, Freifläche am Paulinum, ca. 150 Teilnehmer.

Kundgebung „#ZeroCovid! Für ein solidarisches Ende der Pandemie!“, Veranstalter: Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (SDS) Leipzig, 13:30 bis 14:15 Uhr, kleiner Wilhelm-Leuschner-Platz, ca. 40 Teilnehmer.

Kundgebung „#ZeroCovid! Gesundheit ist keine Ware!“, Veranstalter: Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (SDS) Leipzig, 12:30 bis 13:00 Uhr, Bayrischer Platz, ca. 40 Teilnehmer.

Fahrradaufzüge

Fahrradaufzug unter dem Motto „Solidarische Pause“, Veranstalter: natürliche Person, 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr

Route: Rabet – Eisenbahnstraße – Rosa-Luxemburg-Straße – Wintergartenstraße – Georgiring – Augustusplatz – Roßplatz – Wilhelm-Leuschner-Platz – Peterssteinweg – Straße des 17. Juni – Beethovenstraße – Anton-Bruckner-Allee – Clara-Zetkin-Park.

Fahrradaufzug unter dem Motto „Verantwortung erfahren – Gemeinsam gegen Nazis“, Veranstalter: Roter Stern Leipzig ‘99 e.V., 09:00 Uhr bis 17:30 Uhr

Route: Markt – Thomasgasse – Thomaskirchhof – Dittrichring – Martin-Luther-Ring – Harkortstraße – Floßplatz – Dufourstraße – Wundtstraße – Schleußiger Weg – Rödelstraße – Antonienstraße – Brünner Straße – Lützner Straße dann weiter durch Sachsen-Anhalt, Thüringen und den Landkreis Leipzig, danach wieder durch die Stadt Leipzig über B2/ Wundtstraße – Dufourstraße – Floßplatz – Harkortstraße – Martin-Luther-Ring – Dittrichring – Goerdelerring – Tröndlinring – Am Hallischen Tor – Richard-Wagner-Straße.

In Zusammenhang mit den angezeigten demonstrativen Handlungen in Form der Fahrradaufzüge kann es am 10. April zu Verkehrsbeeinträchtigungen entlang der benannten Routenführung kommen.

Die für den 10. April angezeigten ortsfesten Versammlungen auf dem Augustusplatz/Gewandhausseite unter dem Motto „Austausch für unsere Kinder“ und Augustusplatz/Opernseite unter dem Motto „Demokratie wagen Kinder schützen“ wurden behördlicherseits gemäß §§ 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Sächsisches Versammlungsgesetz verboten.

Dieses Verbot gilt ferner für jede Form von Ersatzversammlungen unter freiem Himmel am 10.04.2021, ganztägig, im gesamten Stadtgebiet der Stadt Leipzig.

Das Ordnungsamt macht darauf aufmerksam, dass ordnungswidrig handelt, wer an einer öffentlichen Versammlung teilnimmt, deren Durchführung durch vollziehbares Verbot untersagt ist.

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Es gibt 3 Kommentare

Es scheint noch keine Versprechen von Ordnungsamt und Polizei zu geben, diesmal aber sicher, auf jeden Fall, wahrscheinlich, eventuell, im Einzelfall, oder doch lieber nicht (weschn dor Bildor!) Ordnungswidrigkeiten zu ahnden. Hauptsache, Herr Jung empört sich hinterher und Herr Wöller duckt sich ab.
Großen Respekt und Dank an alle, die sich menschgewordener Rücksichtlosigkeit und zur Schau gestellter Dummheit entgegenstellen.

Hallo Herr Freitag,
inhaltlich stimme ich durchaus mit Ihnen überein. Shutterstock ist allerdings nicht kostenlos. Vielleicht können Sie den kleinen Fehler ja noch korrigieren.
Ein entspanntes Wochenende noch
W. G.

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