Ob die Polizeibeamten am 13. März 2021 wussten, wem sie da bei den „friedlichen Querdenkern“ unter anderem gegenüberstanden, als ihr Dresdner Einsatz und die Gewalt gegen sie begann, sollte man wahrscheinlich eher den Verfassungsschutz Sachsen fragen. Denn im Vorfeld der aus Corona-Schutz-Gründen verbotenen „Es reicht“-Demonstration vom vergangenen Samstag hatte eine 2021 neu gegründete Vereinigung in die Sächsische Landeshauptstadt mobilisiert, welche sich „Freie Sachsen“ nennt. Und diese hat es in sich: Alte Bekannte aus dem rechtsextremen Milieu von Pro Chemnitz und der NPD Sachsen finden sich hier im Schulterschluss mit rührigen „Querdenkern“ wie den Busunternehmer Thomas Kaden (Honk for Hope).

Vor gerade einmal drei Wochen, am 26. Februar 2021, gründete sich nach eigener Auskunft auf einer eigens dafür eingerichteten Webseite in der sächsischen Erzgebirgsstadt Schwarzenberg ein rechtsextremes Bündnis, welches wohl abschließend offiziell macht, was auch „Querdenker“ Michael Ballweg in einem LZ-Interview zu den ostdeutschen Auswirkungen seiner Bewegung so gern zu bemänteln versuchte.

Man gab sich nicht nur einen Namen, sondern wählte gleich die Führungsspitze des offenbar vereinsartigen Gebildes.

Seither ist Martin Kohlmann, Rechtsanwalt, Stadtrat und Ex-Republikaner aus Chemnitz neben seinem Fraktionsvorsitz für die vom Verfassungsschutz Sachsen als rechtsextrem eingestufte Vereinigung „Pro Chemnitz“ auch der Vorsitzende der „Freie(n) Sachsen“.Beobachter der Vorgänge rings um die „Querdenken“-Versammlung vom 7. November 2020 in Leipzig kennen Kohlmann über seine Aktivitäten in Chemnitz hinaus auch als Rechtsanwalt des deutschlandweit agierenden „Querdenken“-Busunternehmers Thomas Kaden aus Plauen (Honk for Hope).

Dieser wiederum koordinierte große Busaktionen am 29. August 2020 nach Berlin und auch am 7. November 2020 nach Leipzig. Eine Versammlung, welche Nils Wehner (Bewegung Leipzig) anmeldete. Seit dem 26. Februar 2021 ist Kaden laut Vereinswebseite ein Stellvertreter Kohlmanns und „freier Sachse“.

Vom Lichtelläufer zum „Querdenker“

Neben Kohlmann, dessen Demonstrations-Engagement vor allem nach dem Tötungsverbrechen an Daniel H. in Chemnitz deutschlandweit bekannt wurde, findet sich auch auf der Position eines weiteren Stellvertreters ein bekannter Rechtsextremist. Stefan Hartung trat noch 2019 für die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich eingestufte NPD zur sächsischen Landtagswahl an. Im gleichen Jahr versuchte der in Aue-Bad Schlema beheimatete Nationalist daheim erfolglos Bürgermeister zu werden.

Und auch die Spuren dieses ehemaligen Mitgliedes der Jungen Union Sachsen reichen weit vor die Zeit von „Querdenken“ und angeblicher Coronamaßnahmenkritik zurück.

Bereits beim fremdenfeindlichen „Lichtellauf“ 2013 im sächsischen Schneeberg war Hartung einer der treibenden Akteure gegen eine dortige Flüchtlingsunterkunft, hielt Reden und versuchte die Ängste der Schneeberger gegen die Flüchtlinge zu radikalisieren. Seit dem gescheiterten Verbotsverfahren seiner NPD im Jahr 2017 darf man Hartung aufgrund seiner (nach eigenem Bekunden) bis heute fortdauernden Mitgliedschaft getrost einen Feind der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nennen.

Denn, so die Bundeszentrale für politische Bildung, „das Gericht bestätigte, dass das politische Konzept der NPD ‚auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet` sei und die Menschenwürde missachte.“ Lediglich die Einschätzung, dass die NPD zu klein und unbedeutend sei, dieses Ziel auch zu erreichen, verhinderte das Verbot.

Angesichts der personellen Vernetzungen mit neueren Bewegungen etwas, worüber die Verfassungsrichter in den kommenden Jahren durchaus noch einmal ins Grübeln kommen könnten. Robert Andres, Schatzmeister der Stadtratsfraktion von „Pro Chemnitz“ komplettiert übrigens die Gründungsführung von „Freie Sachsen“.

Gemeinsam mit „dem Volk“ in Dresden

Wer sich im Verlauf des 13. März 2021 kurz wunderte, warum es nach dem endgültigen Verbot der Versammlungen in Dresden durch das Oberverwaltungsgericht Bautzen einen Aufruf gab, gegebenenfalls nach Chemnitz „zum Nischel“ (dem Karl Marx-Kopf) zu fahren, findet auf dem Telegramkanal des neuen Bündnisses den Grund dafür. Bereits im Vorfeld des 13. März 2021 hatte der Kanal Koordinationsansagen gemacht, die Menschen zur (nicht verbotenen) Kundgebung der ebenfalls rechtsextremen „Heidenauer Wellenlänge“ gelotst und massiv zur Beteiligung in Dresden aufgerufen.

Hier findet sich bis heute auch der Chemnitz-Aufruf für knapp 17.000 Nutzer des Kanals, den Tag selbst begleitete „Freie Sachsen“ mit einer Art Liveticker aus Dresden. So ist auch gut nachzuvollziehen, dass sich einige Mitglieder der neuen Extremistenvereinigung vor Ort befunden haben könnten. Es wurden im administrierten Kanal quasi live Videos von Gewaltszenen ebenso hochgeladen, wie Schaufotos mit eigenem Label gepostet, die die Gewalt gegen Polizeibeamte rechtfertigen sollen.

Wenn "Freie Sachsen" Gewalt gegen Polizeibeamte rechtfertigt. Screen: Telegram-Kanal "Freie Sachsen"
Wenn „Freie Sachsen“ Gewalt gegen Polizeibeamte rechtfertigt. Screen: Telegram-Kanal “Freie Sachsen”

Gleichzeitig ist es der Funktionsweise von Telegram durch die Handyvernetzung samt Pushmeldung eigen, dass man davon ausgehen darf, dass die Aufrufe der „Freien Sachsen“ direkt auf das Geschehen vor Ort rückgewirkt haben und rückwirken sollten. Durch die fast minutengenaue Weitergabe aller aktuellen Entwicklungen und die damit verbundenen Aufrufe, sich anzuschließen, Orte zu wechseln oder eine bestimmte Richtung einzuschlagen, konnten so die Teilnehmer/-innen an dem aus Corona-Schutz-Gründen untersagten Aufmarsch live reagieren.

Und so gemeinsam immer mehr Druck auf die Versuche der Polizei aufbauen, den Zug zu stoppen. Bis hin zu den gewaltsamen Übergriffen, welche dann von nahezu ausnahmslos männlichen Teilnehmern der „Querdenker“-Demonstration ausgingen. So attackiert in einer Sequenz ein Mann gezielt einen Beamten, welcher danach zu Boden geht. Dieses Bild (von hinten aufgenommen), findet sich kurz danach bei „Freie Sachsen“ auf Telegram mit dem Spruch „Wütende Sachsen weisen Westpolizei in die Schranken“ wieder. Bei den Beamten soll es sich um eine Gruppe aus Nordrhein-Westfalen gehandelt haben.

In weiteren Videos im Netz findet sich auch eine Szene, in welcher sich ein Paar immer wieder in den Weg der Polizeibeamten stellt, um diesen zu versperren. Daraufhin weggestoßen, lassen sich der Mann und die Frau hinfallen und bleiben wie schwer verletzt liegen, während die Frau noch einmal die eigenen Arme sorgfältig etwas breiter nachplatziert.

Aufgrund der Solidarisierung der Umstehenden kommt es anschließend zu Attacken gegen die Beamten, bei Telegram dient das Bild als Beleg für die Gewalt, welche angeblich von den Beamten ausging.

Szenen aus Dresden vom „Blaulicht Magazin“ auf Youtube

Die Rahmeninszenierung

Es waren also (auch) alte Bekannte, die sich am 13. März 2021 unter „das Volk“ mischten,  den Takt anzugeben und quasi live die Legenden zu stricken versuchten. Stets darauf bedacht, eine Art „Volksaufstand“ zu illustrieren und gleichzeitig die Opferrolle gegenüber einem angeblich brutalen Staat einzunehmen.

Welcher sie jedoch erneut nach dem 7. November 2020 in Leipzig auch in Dresden nicht ansatzweise so behandelte, wie linke Demonstrationen – zumal wenn es zu Angriffen gegen Polizeibeamte kam. Bereits am 7. November 2020 in Leipzig war es auffällig, dass die Polizei am Hauptbahnhof vor den rechten Schlägern zurückwich, da diese scheinbar im Auftrag der Menschen hinter ihnen Feuerwerkskörper entzündeten, Beamte angriffen und mit Drohgebärden immer wieder nach vorn stürmten.

Offenbar ist es den Kohlmanns, Hartungs und Kadens auch am 13. März gelungen, nach dem Schema der Instrumentalisierung eines Todes in Chemnitz oder der Nutzung der Befürchtungen von Bürgern in Schneeberg erneut nun Menschen, die Angst vor einer „Corona-Diktatur“ haben, für sich zu nutzen.

Und diese auch von der ausgeübten Gewalt freizusprechen.

Im Nachgang an die gewaltsamen Durchbrüche von Polizeiketten und massenhaften Verstößen gegen Maskenpflichten und Mindestabständen formulierte „Freie Sachsen“: „Tausende zogen heute friedlich durch Dresden und nahmen sich ihre Versammlungsfreiheit zurück. Noch immer sind Menschen in polizeilichen Maßnahmen und sollen mit Ordnungswidrigkeiten-Verfahren überzogen werden. Die Massenmedien werden im Nachgang versuchen, Skandale herbeizureden und dabei die Gewalt des Tages, die von der Polizei ausging, verschweigen.“

Die Polizeidirektion Dresden meldete im Nachgang 12 verletzte Beamte, tausend Ordnungswidrigkeitsanzeigen und 47 Straftaten, darunter Widerstände gegen Vollzugsbeamte, tätliche Angriffe und Verstöße gegen das Waffengesetz.

Gegen die Angreifer aus den Reihen der Demonstranten ermittele man noch. Bei den „freien Sachsen“ kann man heute bereits eine teiljuristische Anleitung finden, wie man mit den „OWIs“ (Ordnungswidrigkeitsanzeigen) der Polizei umgehen müsse. Wie bereits bei „Querdenken“ erlebt, setzen auch die Rechtsextremisten auf vollen Demo-Service, um sich als Anlaufstelle für besorgte Bürger zu etablieren.

Fleißig weiterverteilt wurden diese Anleitungen übrigens durch die „Bewegung Leipzig“, die mit Rechtsextremen keine Berührungsängste mehr zu haben scheint. Denn gleich der nächste Post im Telegramkanal der „Freien Sachsen“ beinhaltet einen Link auf ein Video mit einer Art 50-minütigen Selbstvorstellung bei der „Deutschen Stimme“ (DS TV) von und mit Peter Schreiber.

Hier sind Kohlmann, Kaden und Hartung also zu Gast auf dem Youtubekanal der NPD Sachsen, verantwortet von ihrem Vorsitzenden. Man ist per Du.

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Es gibt 5 Kommentare

@Michael Freitag / 16.3.2021 13:13Uhr
Verehrter Herr Freitag, mit Ihrer Antwort auf meine Bemerkung zeigen Sie bedauerlicherweise, daß Sie den Grund für meine aus Wikipedia teilweise zitierte Propaganda-Definiton vollkommen falsch verstanden haben. Nirgendwo habe ich den Begriff “Freies Sachsen” verwendet!
Da gibt es schließlich genug Propagandisten an öffentlichkeitswirksamen Stellen – hier bin ich voller Zufriedenheit wieder ganz bei Ihnen 🙂
Ihr Streitbarer Freitag

@Freitag: Danke für die definatorische Beschreibung des Wirkungsversuches von “Freie Sachsen” und anderer Propagandisten, die versuchen das Verhalten in eine von ihnen erwünschte Richtung zu steuern. Bei Extremisten stets eine, die in Gewalt und Verderben endet.

Propaganda sind die
“…zielgerichteten Versuche, politische Meinungen oder öffentliche Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und das Verhalten in eine vom Propagandisten oder Herrscher erwünschte Richtung zu steuern.”.

Der Link wurde gelöscht. Leider handelt es sich um ein Propaganda-Video. Wenn Sie eine Meinung zum Artikel haben, äußern Sie diese gern.

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