Damit hatten die Damen und Herren im Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens (LKA) wohl nicht gerechnet: Ausgerechnet die BILD-Zeitung hatte Wind von der verordneten Fusion der beiden Leipziger Innenstadtgemeinden St. Nikolai und St. Thomas Wind bekommen und legte dem LKA am 04. Oktober 2021 einen Fragenkatalog vor. Nichts fürchtet das LKA mehr als die mediale Öffentlichkeit – und das als Institution einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Nun steht sie unter Argumentationsdruck. Argumentation ist aber nicht Sache einer nach wie vor im autoritären Geist handelnden Behörde wie das LKA. Also formulierte das LKA – quasi als Revanche – ganz schnell die Ablehnung des Widerspruchs von St. Nikolai und St. Thomas und sandte sie mit Datum vom 5. Oktober 2021 nach Leipzig. Gegen diesen Bescheid haben die beiden Gemeinden nur noch die Klagemöglichkeit vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht.

Solche Winkelzüge abseits jedes Kompromisses sind leider eher Regel als Ausnahme. So wurde den beiden Gemeinden die ursprüngliche Verordnung zur Bildung der sog. Struktureinheit vom 19. Juli 2021 drei Tage vor Beginn der Sommerferien zugestellt mit einer Widerspruchsfrist von vier Wochen. Schikane ist noch eine harmlose Bezeichnung für dieses Vorgehens. Doch wer sich solcher Methoden bedient, ist sich ganz tief im Innern der Unanständigkeit der Maßnahmen durchaus bewusst.

Das gilt auch für den Skandal, dass während der Zeit der schweren Erkrankung von Pfarrerin Britta Taddiken ihr und Pfarrer Bernhard Stief von der Nikolaikirche zum 1. Januar 2021 im Vorgriff auf die neue Struktur und ohne jede Rechtsgrundlage vom LKA das Gehalt gekürzt wurde. Natürlich klagt sie gegen diesen Willkürakt. Nur: Was hat das noch mit Kirche zu tun?

So ist es wenig überraschend, dass nicht nur in Leipzig die Wogen hochschlagen. Es findet sich kaum jemand, der diesen ausgemachten Unsinn der Fusion bzw. „Struktureinheit“ befürwortet. Niemand, selbst nicht das LKA, kann auch nur einen theologischen, ekklesiologischen, wirtschaftlichen, finanziellen, organisatorischen Grund für die vorgesehenen Maßnahmen nennen – außer den, dass in Sachsen wenn schon alle Gemeinden dem LKA zu folgen haben. Doch dieses „Argument“ zeigt nur: Viel zu spät, aber nun hoffentlich mit Macht, regt sich gegen die Selbstzerstörungswut der Kirchenbürokraten aus der Lukasstraße 6 Widerstand.

Damit wird auch deutlich, dass weder die Nikolaikirche noch die Thomaskirche für sich eine „Sonderbehandlung“ reklamieren. Vielmehr ist ihr Bestreben, in dem Moment, da das Landeskirchenamt sich wähnt, das i-Tüpfelchen auf ihre „Strukturreform“ gesetzt zu haben, alle Kirchgemeinden dazu zu bewegen, einen neuen Anlauf zu unternehmen, damit das LKA den verhängnisvollen Weg verlässt. Denn es geht um sehr Grundsätzliches, um den reformatorischen Geist in unserer Kirche und in der säkularen Gesellschaft.

Am Schluss seines Buches „Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation“ aus dem Jahr 2017 formuliert der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann einige Thesen zu der Frage, an welche Errungenschaften der frühen Reformation die Kirche heute anknüpfen kann – und kommt als Erstes zu dem Ergebnis: „Eine Organisationsvision der Kirche, die von der Gemeinde her gedacht und angelegt ist.“

Anstatt das zum Maßstab notwendiger Erneuerungen zu erheben, sollen in Sachsen die Gemeinden als Basis kirchlichen Wirkens geschliffen werden. Denn mit den durch sog. Regionalisierung geschaffenen Monsterstruktureinheiten werden das Kirchesein, Verkündigung und Seelsorge, vor Ort faktisch beendet. Kirche wird nicht im Dorf belassen, sondern verlässt dieses! Personale Präsens soll der Vergangenheit angehören. Damit aber sichert sich das LKA eine noch größere Zugriffs- und Eingriffsmöglichkeit auf Personal und Gemeinden.

Offensichtlich ist das das eigentliche Anliegen einer auch unter den gesellschaftspolitischen Bedingungen der Demokratie autoritär agierenden Behörde wie das LKA. Damit steht es in der zweifelhaften Tradition des landesherrlichen Kirchenregiments, mit dem einst Martin Luther die Reformation zu sichern versuchte. Er setzte die Fürsten als Aufsichtsbehörde für die Gemeinden ein.

Dass er damit die Trennung von geistlicher und rechtlicher Leitung der Kirche vollzog, hat langfristig gesehen der Kirche eher geschadet denn genutzt. Dies führte zu obrigkeitsstaatlichem Denken und absolutistischem Verwalten und damit zu einer dauerhaften Delegitimierung der christlichen Botschaft durch eine obrigkeitshörige Kirchenverwaltung – mit dem Höhepunkt des Totalversagens der kirchlichen Institutionen während der ersten deutschen Demokratie und zu Beginn des nationalsozialistischen Terrorregimes.

Leider ist das Handeln des LKA auch heute noch weitgehend vom autoritären Geist des landesherrlichen Kirchenregiments geprägt mit entsprechenden Gehorsamsstrukturen (diese haben mit Loyalität nichts zu tun) und Auswirkungen auf das Personal. Nur ein paar Beispiele:

  • Schon 1994 versuchte das LKA, Pfarrer Christian Führer von der Nikolaikirche wegzubekommen und somit die Friedliche Revolution von der Nikolaikirche zu trennen.
  • 1997 sollten die sechs aus Westdeutschland stammenden Pfarrer/-innen, darunter auch ich selbst, wieder nach Hause geschickt werden.
  • Alle Maßnahmen natürlich ohne jede Kommunikation auf Augenhöhe.
  • 2002 wurde gegen Pfarrer Peter Amberg und mich vom LKA ein Disziplinarverfahren angestrengt, weil wir mit voller Rückendeckung des Kirchenvorstands den Bau des ThomasShop vorangetrieben hatten.
  • 2013/14 hat das LKA mit aller Macht versucht zu verhindern, dass Pfarrerin Britta Taddiken die erste Pfarrerin und Pfarramtsleiterin wird. Man wollte auf die durch meinen Eintritt in den Ruhestand frei werdende 1. Pfarrstelle jemanden Genehmes setzen.

All diese Maßnahmen sind Gott sei Dank gescheitert. Warum? Weil sich die zuständigen Kirchvorstände vehement gewehrt haben und weil – bezogen auf die Thomaskirche – die Kirchgemeinde finanziell unabhängig war, also keine Zuschüsse durch das LKA benötigte. Das aber ist für eine Behörde wie das LKA bedrohlich: finanziell unabhängige Gemeinden. Denn dort kann das LKA nur bedingt hineinregieren.

Was also bleibt dem LKA an Möglichkeiten? Die rechtliche Willkür. Dafür gibt es einen entlarvenden Satz an zentraler Stelle in der schon erwähnten Ablehnung des Widerspruchs vom 5. Oktober 2021: „Der Bescheid vom 19.07.2021 ist nicht deshalb rechtswidrig, weil ihm keine Kollegialentscheidung nach § 35 Absatz 1 der Kirchenverfassung (KVerf) zugrunde liegt. Zwar ist richtig, dass das Landeskirchenamt in allen wichtigen Angelegenheiten Beschlüsse kollegial fasst, allerdings obliegt dem Landeskirchenamt ein Beurteilungsspielraum, welche Angelegenheiten unter diese Norm fallen.“

Auf Deutsch: Das LKA entscheidet abseits des Buchstabens des Gesetzes, was rechtens ist und was nicht, ob Gremienentscheidungen herbeigeführt werden müssen oder nicht. Genau das habe ich 2002 auch erlebt. Bei meiner Anhörung zum Disziplinarverfahren antwortete der damalige juristische Oberlandeskirchenrat auf die Vorhaltung meines Anwalts, dass das Verfahren gegen die Kirchenordnung verstoße, sinngemäß: Wie die Kirchenordnung auszulegen ist, ist Sache des LKA.

Was ergibt sich aus dem allen? Es wird höchste Zeit, dass auch die sächsische Landeskirche zu einer Leitung in geistlicher und rechtlicher Einheit (zurück)findet. Das würde auch den Landesbischof vom krankmachenden Ohnmachtssyndrom befreien, nichts gegen das LKA ausrichten zu können. Derzeit fällt er als Anwalt der Pfarrer/-innen und der Gemeinden faktisch aus.

Die Probleme aber, vor denen wir als Kirche in der säkularen Gesellschaft stehen, sind so groß, dass wir uns autoritäre Machtstrukturen wie im LKA nicht mehr leisten können  – vor allem nicht in der Mischung von Inkompetenz und Arroganz. Mit Geschwisterlichkeit ist das unvereinbar. Wir müssen endlich wieder anknüpfen an die Kirchenvision der frühen Reformation, die ihren Ausgang in der Gemeinde nimmt, dort, wo sich Menschen um „Wort und Sakrament“ zusammenfinden.

Es ist an der Zeit und lohnt, die jetzt aufgebrochene Auseinandersetzung offensiv und grundsätzlich zu führen. Denn eine Kirche, die sich ihre Gestalt von Behörden wie einem LKA in der Lukasstraße diktieren lässt, hat keine Zukunft. Also bleibt die Hoffnung, dass sich – in Abwandlung eines alten Witzes – die Heilige Dreieinigkeit bei der Planung des nächsten Betriebsausfluges am Reformationsfest für Dresden entscheidet und der Heilige Geist im LKA Station macht. Denn da ist er bis jetzt noch nicht gewesen …

Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de

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