Es gibt viel zu sagen momentan: Zum russischen Angriff auf die Ukraine, über Flüchtende, die sich auf den Weg machen und ankommen, Helfende, die in kürzester Zeit Unterstützung auf die Beine stellen, über die Pandemie, die immer noch da ist, Krankenhäuser, die an der Belastungsgrenze arbeiten, über viel zu hohe Temperaturen in der Antarktis oder über steigende Preise für Energie und Lebensmittel. Wenn ich wollte, könnte ich diesen Text einfach nur mit einer Liste von Themen füllen, die offensichtlich riesige Tragweite dafür haben, wie unser Leben in Zukunft sein wird.

Schlechte Zeiten also, um über Hintergrundrauschen zu sprechen? Möglicherweise, wenn man die Wahl hat, ob man hinhört oder nicht. Wenn man das Rauschen ständig in den Ohren hat, wird es schon dringender. Und selbst dann, wenn man es gut ignorieren und ausblenden kann, sollte man das Rauschen aus dem Hintergrund hervorziehen. Die Rede ist vom wortwörtlichen Rauschen, nämlich dem, das Menschen in Leipzig und Umgebung hören, wenn am Flughafen Leipzig/Halle Flieger starten und landen.

Wer hört das Rauschen?

Dass Lärmschutz in der Stadt wichtig ist, finden viele Leipziger/-innen: Gut 80 Prozent haben in einer Befragung der Stadt angegeben, dass das Thema in der Stadt einen hohen oder sogar sehr hohen Stellenwert hat. Und: Je älter die Befragten sind, desto wichtiger ist es ihnen. Meistens geht es dabei jedoch um Lärm, der im Stadtverkehr durch Autos oder Straßenbahnen entsteht, oder um Baulärm, der belasten kann. Die Lärmbelästigung durch Flugverkehr schätzen im Schnitt nur acht Prozent der Leipziger/-innen als stark oder sehr stark ein.

Der Titel der 100. Ausgabe der LZ, seit 1. April 2022 im Handel. Foto: LZ

Dass diese acht Prozent allerdings nicht einige wenige besonders aufmerksame oder nörglerische Lauscher sind, verrät ein Blick auf den Stadtplan. Die Belastung durch Fluglärm unterscheidet sich je nach Stadtteil stark: Während sich im Süden oder im Zentrum nicht einmal fünf Prozent der Befragten gestört fühlen, hat mehr als ein Drittel der Befragten im Nordwesten der Stadt angegeben, der Fluglärm belaste sie stark oder sehr stark.

Das Wort „Belastung“ sagt es schon, aber sicherheitshalber schreibe ich es nochmal auf: Das Problem an Lärm ist, dass man nicht einfach beschließen kann, ihn nicht mehr zu hören oder sich davon nicht stressen zu lassen. Wer schon einmal eine Baustelle vor dem Fenster hatte, weiß das. Und jede/-r Dritte im Nordwesten Leipzigs weiß das offenbar auch.

Das Problem an Stress und Belastung wiederum ist, dass sie nicht bloß anstrengend oder störend sind, sondern dass sie ernsthafte Folgen für die Gesundheit haben können. Auf der Liste der Gesundheitsfolgen von Lärm der Weltgesundheitsorganisation stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, kognitive Beeinträchtigungen, Tinnitus und Gehörschäden, pränatale Beeinträchtigungen bis hin zu Fehlgeburten, Auswirkungen auf den Stoffwechsel, chronische Lärmbelästigung und ein generell geringeres Wohlbefinden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde auf der Liste nichts, das ich auf die leichte Schulter nehmen würde.

Wen stört das Rauschen?

Kein Wunder also, dass Protest laut wird angesichts der Pläne, den Frachtflughafen noch weiter auszubauen. Werden sie umgesetzt, könnten bis zu 36 Flugzeuge mehr dort Platz finden als die bisherigen 60. Wer das zweifelhafte Glück hat, jetzt schon mitzubekommen, was nachts auf dem Flughafen los ist, ahnt, wie viel mehr Betrieb das bedeutet.

Ein Lärmschutzgutachten der Universität Mainz im Auftrag der Leipziger Grünen rät deutlich vom Ausbau ab – und stattdessen zu mehr Lärmschutz und einem Nachtflugverbot für den Leipziger Flughafen. Schon jetzt sei der Lärm für die Anwohner/-innen nicht zumutbar, sagte der Kardiologe Thomas Münzel in einer Presseerklärung zur Vorstellung des Gutachtens.

Als zumutbar gilt laut Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation ein nächtlicher Lärmpegel von 25 Dezibel im Innenbereich. Das ist eine Lautstärke zwischen dem Rascheln von Laub und dem Ticken einer Uhr. Draußen können es bis zu 40 Dezibel sein, was einer geflüsterten Unterhaltung entspricht. Mehr als 55 Dezibel, eine leise bis normale Unterhaltung, können schon gesundheitsschädlich sein. Eine Studie des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums hat außerdem gezeigt, dass ab einem Pegel von 33 Dezibel die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Menschen von Fluglärm aufwachen.

Und wer hört hin?

Diesen Bedenken steht nun eine Umfrage entgegen, die die Mitteldeutsche Flughafen AG bei Forsa beauftragt hat. Der Tenor der Ergebnispräsentation: Nur wenige Menschen stören sich an Fluglärm und haben etwas gegen den Ausbau. Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu hören. Immerhin 28 Prozent sind es, die sich demnach an ihrem Wohnort gelegentlich oder häufig durch Fluglärm gestört fühlen. Das ist nicht wenig, bedenkt man, dass auch Menschen gefragt wurden, die an ihrem Wohnort eher wenig davon hören.

Dank solcher Kommunikation werden auch Vorurteile zum ständigen Hintergrundrauschen: Wer gegen den Flughafenausbau ist, sei einfach nur besonders empfindlich, wolle nörgeln oder interessiere sich nicht für die Wirtschaft der Region. Es entsteht das Bild, dass sich hier eine Minderheit dem Willen der Mehrheit widersetzen wolle.

Und so rauscht es weiter und könnte künftig noch lauter rauschen. Oder es finden diejenigen Gehör, für die der Flughafen ein Thema ist, das offensichtlich riesige Tragweite dafür hat, wie ihr Leben in Zukunft sein wird.

„Wie geht‘s dir, Leipzig? (8): Wie laut ist das Hintergrundrauschen?“ erschien erstmals am 1. April 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 100 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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