Erst am 18. Februar hatte sich der Leipziger Stadtrat dazu positioniert, den OBM zu beauftragen, er solle sich für die Abschaffung der Waffenverbotszone rund um die Eisenbahnstraße einsetzen. Denn auch über zwei Jahre nach Einführung dieser Sonderzone war das Innenministerium nicht in der Lage, eine belastbare Evaluation vorzulegen. Am Mittwoch, 24. März, fegte das Oberverwaltungsgericht den Kern der Polizeiverordnung mit einem deutlichen Urteil vom Tisch.

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 24. März (Az.: 6 C 22/19) die Polizeiverordnung des Innenministeriums über das Verbot des Mitführens gefährlicher Gegenstände im Umfeld der Eisenbahnstraße in Leipzig für unwirksam erklärt. Damit ist nur noch jener Teil der Mantelverordnung zur Waffenverbotszone in Kraft, der das Mitführen von Gegenständen untersagt, die unter das Waffengesetz fallen. Das Gericht folgte hierbei der Argumentation des Antragstellers Florian Kramer sowie seines Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Raik Höfler bereits dahingehend, dass keine Gefahr im Sinne des Polizeirechts vorlag, welche den Erlass einer Rechtsverordnung rechtfertigen könnte.Mit der am 5. November 2018 in Kraft getretenen Verordnung wurde Passanten im Gebiet um die Eisenbahnstraße in Leipzig „das Mitführen gefährlicher Gegenstände, wie z. B. Äxte, Beile, Schlagstöcke, Baseballschläger, Messer und Reizstoffsprühgeräte, aber auch sonstiger Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, als Hieb- oder Stoßwaffen gegen Personen oder Sachen eingesetzt zu werden, untersagt. Die Verordnung besteht neben einer am selben Tag erlassenen Verordnung des SMI zur Einrichtung einer Waffenverbotszone in Leipzig, mit der das Führen einer Waffe in dem Gebiet auf Grundlage des Waffenrechts verboten wird.“

Aber weder der damalige Innenminister Markus Ulbig (CDU) noch die Polizei selbst sind berechtigt, solche Sonderzonen mit tiefgreifenden Eingriffen in Persönlichkeitsrechte dauerhaft einzurichten und damit nicht nur einen Stadtteil zu diskriminieren, sondern auch eine Stadt. Ulbig setzte damals zwar OBM Burkhard Jung unter Druck, der Verordnung zuzustimmen.

Aber die wichtigste Voraussetzung fehlte auch damals schon, wie das OVG feststellt: „Die Verordnung über das Verbot des Mitführens gefährlicher Gegenstände ist auf das allgemeine Polizeirecht gestützt, das eine Gefahr im polizeirechtlichen Sinn voraussetzt. Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer solchen Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Erforderlich ist eine Prognose, die für bestimmte Arten von Verhaltensweisen – hier dem Mitführen von Messern und anderen gefährlichen Gegenständen – zu dem Ergebnis führt, dass typischerweise, jedenfalls aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, ein Schaden im Einzelfall für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wie z. B. durch eine Bedrohung oder Körperverletzung, einzutreten pflegt. Hierfür lagen indes weder der Behörde noch dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht hinreichende Daten vor.“

Was es dann auch unmöglich machte, die eigentlich schon für 2019 versprochene Evaluation vorzulegen. Denn allein das Einsammeln von allerlei gefährlichen Gegenständen belegt diese Gefahr nicht. Die Stadt Leipzig forderte dann auch die Einbeziehung der im Stadtteil aktiven gesellschaftlichen Akteure, um auch das ganze Umfeld der Verordnung mit zu untersuchen. Die Forderung des Stadtrats, auf das Aufheben der Zone zu drängen, bündelte dann nur noch die bisherigen Erkenntnisse aus der Diskussion.

Das OVG in seiner Erläuterung: „Allein die Tatsache, dass Rohheitsdelikte im Bereich der Eisenbahnstraße häufiger auftreten als in anderen Stadtteilen, reicht hierfür nicht. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht imstande, so liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dem das Sächsische Oberverwaltungsgericht folgt, keine Gefahr, sondern – allenfalls – eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Einer solchen möglichen Gefahr kann nur vom Sächsischen Landtag mit einem Parlamentsgesetz, nicht aber vom SMI oder der Stadt mit einer Polizeiverordnung begegnet werden. Für Erlass örtlich und zeitlich begrenzter Alkoholkonsumverbote existiert bereits eine solche Rechtsgrundlage in § 33 Sächsisches Polizeibehördengesetz, nicht jedoch für das Mitführen gefährlicher Gegenstände, die nicht unter das Waffengesetz fallen.“

Der letzte Punkt ist wichtig, denn etliches von dem, was die verstärkten Polizeistreifen da bei auf Verdacht angehaltenen Passanten einsammelten und als Waffe deklarierten, fiel und fällt nicht unter das Waffengesetz.

„Da das Fehlen einer polizeirechtlichen Gefahr bereits zur Unwirksamkeit der Verordnung führt, konnte das Oberverwaltungsgericht die Frage, ob das SMI für den Erlass der Verordnung zuständig war oder die Verordnung von der Stadt Leipzig hätte erlassen werden müssen, ebenso offenlassen, wie die vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen nach der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit einzelner Regelungen der Verordnung“, stellt das OVG fest.

„Die Waffenverbotszone war ein Fehlschlag, vor allem mit Blick auf menschenrechtliche Grundsätze“, kommentiert die Leipziger Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) das Gerichtsurteil. Und benennt ein weiteres Problem an der Verordnung: „Ein größeres Einfallstor für Racial Profiling konnte der Polizei nicht geöffnet werden. Die Entscheidung ist ein Grund zur Freude für alle, denen die Grundrechte wichtig sind, und eine Klatsche für den entlassungsreifen Innenminister Roland Wöller, der sich eingebildet hatte, eine solche Zone am Parlament vorbei per Verordnung durchsetzen zu können.“

Immerhin kann sie mitteilen, dass die Wirksamkeit der Waffenverbotszone inzwischen wohl doch endlich evaluiert wurde und die Stadt Leipzig diese in Kürze veröffentlichen werde. „Auf Druck der Linksfraktion im Stadtrat waren die Anwohnerinnen und Anwohner einbezogen worden. Die nächste Debatte müssen wir darüber führen, wie Verordnungen und Gesetze verabschiedet werden können, die institutionellen Rassismus auf den Leipziger Straßen verhindern. Gegen organisierte kriminelle Netzwerke richten solche ordnungspolitischen Maßnahmen übrigens nichts aus.“

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers, Rechtsanwalt Raik Höfler, erläutert: „Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass von Polizeiverordnungen konsequent geprüft und hierbei zutreffend festgestellt, dass eine Prognose dahingehend, dass allein von dem Mitführen der in der Verordnung benannten Gegenstände eine Gefahr ausgeht, anhand der vorliegenden Erkenntnissen nicht getroffen werden konnte.“

Und Florian Krahmer ergänzt: „Ich freue mich sehr über das Urteil. Das Gericht hat nun klargestellt, dass das Verbot von gefährlichen Gegenständen nicht mittels Verordnung erwirkt werden kann. Das Urteil bringt nun Rechtssicherheit für alle von der Verordnung Betroffenen. Die Initiatoren der Verordnung waren nicht in der Lage, ausreichend zu erläutern, welche Gegenstände gefährlich sein sollen und wie die Ausnahmeregelungen auszulegen sind. Leider hat sich das Oberverwaltungsgericht nicht zu den weiteren Fragen zur Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit der Verordnung geäußert.“

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“Denn allein das Einsammeln von allerlei gefährlichen Gegenständen belegt diese Gefahr nicht.”
“Das OVG in seiner Erläuterung: „Allein die Tatsache, dass Rohheitsdelikte im Bereich der Eisenbahnstraße häufiger auftreten als in anderen Stadtteilen, reicht hierfür nicht. […]”
Wahnsinn, wie sehr man manchmal von der offiziellen Rechtsprechung in seiner eigenen Rechtsauffassung korrigiert wird.

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