Im Oktober kündigte Leipzigs Umweltdezernat überraschenderweise ein „Naturschutzgroßprojekt zur Revitalisierung des Leipziger Auensystems“ an. Ein Vorgang, der zeigte, dass die Stadt sich selbst in eine regelrechte zeitliche Sackgasse hineinmanövriert hat. Denn eigentlich hätte vorher das schon für 2022 angekündigte Auenentwicklungsprogramm vorliegen müssen. Ein Umstand, der sogar den Ökolöwen heftig verwirrte.

Aber auch die Stadträte Jürgen Kasek (Grüne), Michael Neuhaus (Linke) und Andreas Geisler (SPD), die es geradezu seltsam fanden, dass die Stadt schon eine Antragsskizze beim Bundesamt für Naturschutz einreicht, ohne dass auch nur Teile des Auenentwicklungsprogramms vorliegen.

Und so schrieben sie einen gemeinsamen Änderungsantrag, in dem es unter anderem hieß: „Als Grundlage für das Naturschutzgroßprojekt kann nur ein abgestimmtes Auenentwicklungskonzept dienen. Bevor Zielstellungen und Maßnahmen des Naturschutzgroßprojektes fixiert werden, muss das Auenentwicklungskonzept mit allen Akteuren abgestimmt und vom Stadtrat bestätigt sein.“

Aber auch die fehlende Einbeziehung der Naturschutzverbände bemängelten sie: „Das Naturschutzgroßprojekt muss eine Variantenprüfung beinhalten, die gleichermaßen die Vorüberlegung aus dem Projekt „Lebendige Luppe“ und dem Auenentwicklungskonzept berücksichtigt und Maßnahmen an den Hauptgewässern Nahle und Neue Luppe untersucht. Die Inhalte des Naturschutzgroßprojektes sind vor Antragseinreichung mit den relevanten Akteuren und Verbänden abzustimmen und vom Stadtrat zu bestätigen.“

Was dann Jürgen Kasek in der Ratsversammlung am 14. Dezember besonders ansprach. Denn wie kann die Stadt schon eine konkrete Antragsskizze einreichen, wenn es noch nicht einmal eine richtige Variantendiskussion gegeben hat zu dem, was in der Nordwestaue geschehen kann und muss?

Wer ist hier Herr des Verfahrens?

Und auch Andreas Geisler sprach das zentrale Problem an. Denn der Stadtrat hat bislang noch nichts zur künftigen Revitalisierung der Aue beschlossen. Auch der habe ein Recht, in die Variantendiskussion einbezogen zu werden. „Wir müssen ein Stück weit Herr des Verfahrens bleiben“, sagte Geisler.

Reagieren konnte darauf der abwesende Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal nicht. An seiner Stelle bat Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke darum, den Änderungsantrag bitte nicht abzustimmen, da das Ganze nur eine Informationsvorlage wäre. Eine konkrete Beschlussvorlage aus dem Amt für Stadtgrün und Gewässer soll es noch geben, über die an der Stadtrat beschließen soll.

Dass die Stadt sich selbst terminlich in eine Zwangslage gebracht hat, macht die Vorlage selbst dann doch sehr deutlich: „Der Zeitplan sieht vor, dass die Stadt Leipzig im November 2023 die Antragsskizze beim BfN einreicht – ggf. federführend für beide Kommunen im Falle einer Beteiligung der Stadt Schkeuditz.

Die Antragstellung für Phase I soll noch Ende 2023 beginnen und der Antrag März 2024 finalisiert und an das BfN gegeben werden. Das Naturschutzgroßprojekt zur Revitalisierung des Leipziger Auensystems soll formell ab Mitte 2024 mit der Projektphase I, der Erstellung des Pflege- und Entwicklungsplans, starten.“

Ökolöwe völlig irritiert

Völlig irritiert zeigte sich am 7. Dezember der Ökolöwe, der da eine Pressemitteilung unter dem Titel „Ökolöwe deckt auf: Stadt verpasst Auwaldrettung“ herausgab. Eine Pressemitteilung, die aus einem völligen Missverständnis entstanden sein muss. Die dann aber auch viele Interessierte an der Problematik irritierte – ja, was stimmt denn nun?

Der Text der Ökolöwen-Mitteilung:

„Mit einer Projektdauer von 13 Jahren plant die Stadt die Umsetzung von Maßnahmen in der Leipziger Auenlandschaft. Die Planungen der Stadt greifen jedoch viel zu kurz und werden die grundsätzlichen Probleme des Auwaldes nicht beheben.

‚Die Entwässerung durch die Neue Luppe ist maßgeblich für die Austrocknung des Auwaldes verantwortlich. Um die Entwässerung zu stoppen und den Auwald zu retten, muss das Flussbett der Neuen Luppe grundsätzlich umgestaltet werden‘, erläutert Ökolöwensprecher Marcel Otte.

Geht es nach den Planungen der Stadt, soll die Neue Luppe jedoch noch auf unbestimmte Zeit in ihrem tief eingeschnittenen Rasenprofil verlaufen. Mit kleinteiligen Maßnahmen wird das grundsätzliche Defizit der Auenlandschaft lediglich kaschiert. Otte fasst zusammen: ‚Mit dem geplanten Projekt rettet die Stadt den Auwald nicht!‘

Deshalb fordert der Ökolöwe, dass Verwaltung und Stadtrat das geplante Projekt noch in die richtige Bahn lenken. In der Stadtratsversammlung am 13./14. Dezember informiert das Amt für Stadtgrün und Gewässer über das geplante ‚Naturschutzgroßprojekt zur Revitalisierung des Leipziger Auensystems‘.

An dieser Stelle brauchen wir das Bekenntnis des Stadtrates, die Umsetzung der großen und wirkungsvollen Maßnahmen endlich anzugehen und so die Austrocknung des Auwaldes zu stoppen.

Die Rettung des Leipziger Auwaldes ist eine Forderung des Ökolöwen-Appells ‚Mehr Grün für Leipzig‘. Unter mehrgruen.oekoloewe.de/auwald-retten kann jede Leipzigerin und jeder Leipziger den Appell unterzeichnen.“

Die Irrtümer des Ökolöwen

Da stecken mindestens zwei Irrtümer drin. Am 14. Dezember ging es eben nicht um eine Stadtratsentscheidung, sondern nur um eine Informationsvorlage, die auch nicht abgestimmt werden musste. Die dann übrigens auch nicht abgestimmt wurde. Der Vorstoß von Andreas Geisler, Michael Neuhaus und Jürgen Kasek wurde mit 21:25 Stimmen abgelehnt.

Die Informationsvorlage blieb eine Informationsvorlage. Die Beschlussvorlage kommt noch, wie Skadi Jennicke betonte.

Blick auf die Neue Luppe.
Die Neue Luppe kurz vorm Zusammenfluss mit der Nahle. Foto: Ralf Julke

Aber was steht drin in der Informationsvorlage? Tatsächlich das, was der Ökolöwe befürchtet?

Nicht wirklich. Die Vorlage skizziert in groben Punkten, was in der Nordwestaue alles für die beantragten 46 Millionen Euro angepackt werden soll. Und unterm Stichwort Hydrologie findet man dort:

„Zur Zielerreichung sind nach heutigem Kenntnisstand folgende hydrologische Maßnahmen anzustreben:

Erhöhung der Wasserspiegellagen durch Sohlaufhöhung insbesondere der Neuen Luppe sowie der Nahle durch Sohlanhebungen (ggf. auch temporäre Aufstauung mit Hilfe flexibel steuerbarer Wehre im Sinne einer ggf. schneller umsetzbaren Lösung) als Voraussetzung für die Wiederanbindung der Aue an das Fließgewässersystem

Deichöffnungen bzw. Deichschlitzungen

Gewässer- und Uferprofilierungen (u. a. Teilabsenkung des Vorlandes) zur Förderung unterjähriger Ausuferungen und von Weichholzauenstandorten sowie

Förderung einer naturnahen Entwicklung der Gewässerstrukturen und der Uferzonen (u. a. Gewässerrandstreifen) und Erhöhung der Abflussrauigkeit durch Einbringung von Störelementen (z. B. Totholz)

Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Fließgewässer für aquatische Organismen und Geschiebe“.

Also genau das, was der Ökolöwe vermisste: „Erhöhung der Wasserspiegellagen durch Sohlaufhöhung insbesondere der Neuen Luppe sowie der Nahle“. Also kein zu erhaltendes „tief eingeschnittenes Rasenprofil“.

Im Amt für Stadtgrün und Gewässer weiß man lediglich noch nicht, wie man die Sohlerhöhung am schnellsten hinbekommt. Denn dass es (verdammt) schnell gehen muss, dessen ist man sich in diesem Amt inzwischen sehr bewusst. Denn die ganze Informationsverlage ist gesättigt mit alarmierenden Aussagen zum vertrocknenden Auwald, der seit 100 Jahren von seinem natürlichen Gewässersystem abgeschnitten ist.

Alle aufgezählten Maßnahmen beinhalten diesen Wiederanschluss, auch wenn die Variantendiskussion eben noch fehlt. Die es dann – hoffentlich – mit der angekündigten Beschlussvorlage und dem folgenden Planungsprozess gibt.

Wo bleibt das Auenentwicklungskonzept?

Jürgen Kasek hätte auch noch konkret zum Verbleib das für Ende 2022 angekündigten Auenentwicklungskonzepts fragen können. Aber da wäre wohl auch niemand da gewesen, der hätte antworten können. Im August hatten die Grünen zuletzt nachgefragt, wo das Auentwicklungskonzept bleibt, und eine sehr verwirrende Antwort aus dem Umweltdezernat bekommen.

Wen man die vielen ausweichenden Passagen genau liest, kann man der Antwort aus dem Amt für Stadtgrün und Gewässer im Grunde die Aussage entnehmen: Es wird erst 2024 – mit zwei Jahren Verspätung – veröffentlicht.

Das steckt in der Aussage: „Aktuell wird die hydraulische Modellierung des erarbeiteten Entwicklungsziels optimiert, um sie in Schritt 5) mit Vorschlägen für lokale Maßnahmen untersetzen zu können. Parallel ist die graphische Visualisierung des Entwicklungsziels in Bearbeitung. Ein Bericht zum AEK (Auenentwicklungskonzept, d. Red.) wird mit dem Abschlussbericht des Lebendige Luppe-Projektes veröffentlicht.

Anschließend ist die Fortführung der Planungen zum AEK Elster-Luppe-Aue über das Projekt Lebendige Luppe hinaus geplant, um die lokalen Planungsziele und Maßnahmen weiter konkretisieren zu können (u.a. durch Untersuchung von Randbedingungen, Variantenuntersuchung, zeitliche Priorisierung von Maßnahmen).

Darüber hinaus wird das fortgeführte AEK für die Elster-Luppe-Aue (Nordwestaue) bis Ende 2024 mit dem parallel erarbeiteten AEK für die Elster-Pleiße-Aue (Südaue) zusammengeführt zu einem passfähigen Konzept für die Gesamtaue (Nordwest- + Südaue).“

Der Erarbeitungsprozess dauert also doppelt so lange wie ursprünglich angekündigt. Und so muss schon vorher in konkrete Planungen in der Elster-Luppe-Aue eingestiegen werden, da das Projekt „Lebendige Luppe“ nun einmal ausläuft und dringend eine Anschlussfinanzierung gesichert werden muss.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar