In den Bürgerumfragen fragen Leipzigs Statistiker/-innen auch jedes Mal die Sicht der Leipziger auf die größten Probleme der Stadt ab. Eine höchst problematische Rubrik, die selbst dann, wenn sie von den Statistikern verfeinert wird, zeigt, wie sehr die Medien, die die Leute konsumieren, bestimmen, was Menschen überhaupt als Problem wahrnehmen.

Vom vorgegebenen Raster ganz zu schweigen. Denn Klimawandel, Artensterben, Bildungsungerechtigkeit und soziale Ausgrenzung sind ganz bestimmt größere Probleme als die, die in der „Hitliste“ auftauchen oder gar dominieren.Der Klassiker ist ja die (gefühlte) Sicherheit, die seit Jahren an Platz 1 dieser seltsamen Hitliste steht, 2019 auch wieder von 37 Prozent der Befragten angekreuzt, knapp vor den Wohnkosten, die von 34 Prozent der Befragten als größtes Problem gesehen werden, vor dem ÖPNV als Problem (21 Prozent) und den Parkplätzen (20 Prozent).

Vor ein paar Jahren haben die Statistiker einen solch schwammigen Punkt ja schon einmal versucht zu entschärfen. Damals ging es um das „Zusammenleben mit Ausländern“, das 2015 auf einmal zu einem Riesenproblem anzuschwellen schien, obwohl völlig ungeklärt war: Was problematisierten die Leipziger/-innen da wirklich? Das Verhalten der Ausländer oder die Schwierigkeiten der Eingeborenen, mit Ausländern friedlich zurechtzukommen?

Also fügten die Statistiker einen zweiten Topos hinzu, der schnell dazu führte, dass sich die Werte halbierten: Fremdenfeindlichkeit.

Größte Probleme aus Sicht der Leipziger (geschlossene Frage). Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2019
Größte Probleme aus Sicht der Leipziger (geschlossene Frage). Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2019

Wie sehr diese Wahrnehmung mit dem Medienkonsum zusammenhängt, wird deutlich, wenn die Autoren des Berichts die „sonstigen“ Antworten aus der offenen Befragung zu den wichtigsten Problemen auswerten: „Weiterhin gaben 11 Prozent der Befragten sonstige Themen an, die sich keiner Kategorie zuordnen ließen, da diese zu unspezifisch waren (z. B. „Connewitz“, „AfD“, „Eisenbahnstraße“).

Davon benannten 20 Prozent die Infrastruktur, 17 Prozent die Politik, 15 Prozent die Verwaltung, 12 Prozent Connewitz, 10 Prozent die AfD sowie das Bevölkerungswachstum, 9 Prozent die Eisenbahnstraße und 7 Prozent die Polizei als eines der drei größten Probleme.“

Das hat schon etwas, wenn Bürger der Stadt zwei Lieblings-Zielscheiben der Boulevardpresse regelrecht zum „größten Problem“ erklären: die Eisenbahnstraße und Connewitz. Und das nur, weil lauffaule Journalisten hier seit Jahren ihre Spielwiese der Verwünschungen betreiben, ohne sich wirklich auch nur die Bohne für die Probleme der Menschen in diesen Ortsteilen zu interessieren.

Was übrigens ein bisschen in der Auswertung zum Topos „Wohnen“ deutlich wird. Und da fällt schon auf, wenn etwa in Connewitz über 40 Prozent der Befragten das Wohnen als großes Problem wahrnehmen. Denn die Gentrifizierung treibt auch hier die Mieten in die Höhe. Und das merken auch all jene, die mit den viel zitierten Autonomen nichts am Hut haben. Auch sie können sich das Wohnen in diesem eigentlich sehr beliebten Ortsteil irgendwann nicht mehr leisten, wenn die Mieten weiter steigen.

Ganz, ganz schrecklich: Connewitz. Foto: L-IZ.de
Ganz, ganz schrecklich: Connewitz. Foto: L-IZ.de

Die Nettokaltmiete von 5,94 Euro je Quadratmeter war schon 2015 in Connewitz nicht ohne. Seither ist sie auf 6,27 gestiegen. Und da auch im Rest des Stadtgebiets die Mieten steigen, ahnt man zumindest, wie ratlos da viele Connewitzer mittlerweile sind, denn sie können innerhalb der Stadt kaum noch ausweichen.

Und es sind ja nicht die Gutverdiener, die hier wohnen, sondern eher Normalverdiener mit 1.530 Euro Nettoeinkommen im Monat (Median). Doch auch sie hätten Probleme, Mieten über 10 Euro je Quadratmeter zu berappen für eine Wohnung in ihrem Lieblingskiez.

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