Selbst im Corona-Jahr 2020 sind die Einkommen der Leipziger/-innen gestiegen. So jedenfalls kann man es in der Kurzauswertung der Kommunalen Bürgerumfrage lesen. Und das trotz Krise? Der genauere Blick in die Zahlen zeigt recht deutlich, wie sich auch die Leipziger Gesellschaft zunehmend entkoppelt. „Einkommenszuwächse können aktuell vor allem Rentnerinnen und Rentner (+119 EUR) und Erwerbstätige (+66 EUR) realisieren“, stellen Leipzigs Statistiker/-innen trocken fest.

Und dann folgt dieser Satz: „Die Einkommen junger Erwachsener (18 bis 34 Jahre) stagnieren dagegen (bei 1.249 EUR).“ Und das tun sie mittlerweile seit 2018. Was sehr viel mit einer jüngst erst veröffentlichten Auswertung der IG BAU zu tun hat: In Leipzig ist jeder zweite neue Arbeitsvertrag befristet. Und diese befristeten Arbeitsverträge sind vor allem ein Problem des Berufseinstiegs junger Menschen.Nicht, dass Leipziger Unternehmen die jungen Leute nicht dringend bräuchten. Aber etliche dieser Unternehmen nutzen nach wie vor alle Möglichkeiten der deutschen Arbeitsgesetzgebung aus, um gerade die Löhne der Berufsanfänger niedrig zu halten.

Was übrigens noch einen zweiten Effekt hat: Diese Lohnminderung setzt sich auch im weiteren Arbeitsleben fort, denn die tariflichen Anpassungen kommen erst mit der Dauer der Festanstellung und dem möglichen Aufstieg im Unternehmen. Davon aber profitieren derzeit vor allem die älteren Angestelltenjahrgänge. Sie hatten auch im Corona-Jahr Teil an spürbaren Lohnzuwächsen. Ihnen kommt die erfolgreiche Arbeit der Gewerkschaften zugute. Den jüngeren Berufseinsteigern so gut wie gar nicht.

Entwicklung der Nettoeinkommen in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020
Entwicklung der Nettoeinkommen in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

Die Aufsplittung des Gesamtergebnisses zeigt, dass gleich drei Gruppen praktisch überhaupt nicht an den Einkommenszuwächsen des Jahres 2020 teilhatten: die jungen Berufsanfänger zwischen 18 und 24 Jahren, die Selbstständigen mit und die Selbstständigen ohne Angestellte.

Die Selbstständigen ohne Angestellte, also die sogenannten Solo-Selbstständigen hatten zwar scheinbar ein leichtes Einkommensplus von 32 Euro. Aber damit liegen sie noch immer unter dem eh schon niedrigen Wert von 1.388 Euro Monatseinkommen von 2017, als Leipzigs Amt für Statistik und Wahlen erstmals die Einkommen der Solo-Selbstständigen herausfiltern konnte.

Der Anstieg 2020 kann sogar damit zu tun haben, dass viele Solo-Selbstständige diesmal aus dem Raster fielen, weil sie coronabedingt keine eigenen Einkünfte hatten und genauso beim Jobcenter gemeldet waren wie viele Teilzeitbeschäftigte, die vorher etwa in der Gastronomie ein Zubrot verdienten. Was dann möglicherweise auch Ursache dafür ist, dass ausgerechnet die ungelernten Berufsfremden einen deutlichen Sprung in ihrem Nettoeinkommen von 1.052 auf 1.186 Euro verbuchten.

Die Statistik macht freilich auch deutlich, dass jeder Fünfte der Befragten zu den Menschen mit niedrigen Einkommen deutlich unter dem neuen Netto-Durchschnitt von 1.483 Euro im Monat gehört. Mit Betonung auf deutlich. Denn die 1.483 Euro sind ja der Median. Die Hälfte aller Befragten lag mit ihren Einkommen unter diesen 1.483 Euro. Was zumindest ahnen lässt, wie groß die Gruppe derjenigen ist, die irgendwo mit 1.100 bis 1.483 Euro über die Runden kommen müssen.

Und das hat Folgen. Zuallererst für junge Familien. Die natürlich zuallererst hinter den „jungen Erwachsenen“ stecken, die nun seit Jahren mit stagnierenden Einkommen auskommen müssen. Und auch wenn sich das Gesamteinkommen der kleinen Familie erhöht, wenn beide Elternteile erwerbstätig sind, setzt das Grenzen bei den Ausgaben – egal, ob für Kleidung, Ernährung oder die Miete.

Der Wohnstatus der Leipziger/-innen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020
Der Wohnstatus der Leipziger/-innen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

Und wie betont doch Leipzigs Verwaltung so schön? „Leipzig ist und bleibt eine Mieterstadt: Der Anteil der Mieterhaushalte liegt bei 87 Prozent – stabil im langjährigen statistischen Mittel. Die Kaltmieten betragen im Schnitt 6,20 Euro pro Quadratmeter, die Gesamtmieten liegen hier bei 8,33 Euro pro Quadratmeter. Etwa jeder dritte Haushalt – insbesondere junge Erwachsene – plant möglicherweise in den kommenden zwei Jahren einen Umzug.“

Auf dieses Finde-eine-bezahlbare-Wohnung-Problem der jungen Familien sind wir ja in Bezug auf eine CDU-Anfrage im Stadtrat schon eingegangen. Eine Anfrage, die auch unter der falschen (von welcher Zeitung wohl vorgegebenen?) Ansicht litt, es ginge dabei um Wohneigentum. Das geht es wohl – aber eher nur für 15 Prozent aus der betroffenen Gruppe. Über Wohnungsprobleme aber klagen über 50 Prozent der jungen Familien. Es ist ihr größtes Problem. Und damit nun einmal das derzeit größte Problem Leipzigs, nicht das alte Leidensthema der Alten, die immer noch glauben, Leipzig hätte ein massives Sicherheitsproblem.

Und die steigenden Mieten, die die Bürgerumfrage nun seit Jahr und Tag erfasst, erzählen nun einmal davon, dass dieser Wohnungsmarkt nicht mehr viel mit den realen Einkommen gerade der jüngeren Leipziger/-innen zu tun hat. Der Blick auf die Nettomietentwicklung zeigt, dass die Nettokaltmieten seit 2012 nur noch eine Richtung kennen – sie erhöhten sich von 5,15 Euro je Quadratmeter auf mittlerweile 6,33 Euro.

Da wirkt der immer wieder zu hörende Zungenschlag von Leipzig, das einfach immer noch Mieterstadt ist, zumindest seltsam. Denn alle Förderprogramme zur Bildung von Wohneigentum zielen nun einmal auf gutverdienende Familien mit festen Arbeitsplätzen, nicht auf junge Menschen, die sich von einem befristeten Job zum nächsten hangeln.

Oder mal so formuliert: Eine Mieterquote von dauerhaft 87 Prozent erzählt von einer Stadtbevölkerung, die sich Wohneigentum nicht wirklich leisten kann. Nicht mal eine Eigentumswohnung, auch wenn der Markt der Eigentumswohnungen in Leipzig seit Jahren boomt. Aber die Käufer der Eigentumswohnungen stammen zumeist eben nicht aus Leipzig, sondern nutzen den Kauf Leipziger Eigentumswohnungen als Kapitalanlage.

Eigentlich genug Ansatzpunkte, um über die finanziellen Schieflagen des heutigen Leipzig nachzudenken. Und über die Last, die es tatsächlich bedeutet, wenn Haushalte mit Einkommen zwischen 1.100 und 2.300 Euro im Schnitt 31 Prozent der Einkünfte für die Miete ausgeben müssen, bei den Leipziger/-innen mit unter 1.100 Euro Monatsnettoeinkommen sind es sogar 43 Prozent. Und das, obwohl selbst die deutsche Sozialpolitik davon ausgeht, dass ein Mietanteil über 30 Prozent eigentlich nicht mehr sozial verträglich ist.

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