Am 15. Dezember veröffentlichte die Körber-Stiftung eine neue Studie mit dem alarmierenden Titel „Demokratie in der Krise“. Sie zeige „geringes Vertrauen in Demokratie und öffentliche Einrichtungen“, meldete die Stiftung dazu. Und Philosoph Nida-Rümelin forderte gleich mal die „Erneuerung der Demokratie“. Klingt auf den ersten Blick überzogen, ist es aber nicht. Denn die vergangenen Jahre haben durchaus gezeigt, wie fatal es ist, wenn Politik nur noch „auf Sicht“ fährt und sich als „alternativlos“ verkauft.

„Eine Demokratie kann es sich nicht erlauben, größere Minderheiten in Fundamentalopposition, Resignation oder Wut abdriften zu lassen“, kommentierte Philosoph und Staatsminister a.D. Julian Nida-Rümelin die Ergebnisse der Umfrage.„Wenn solche Entwicklungen mit einem massiven Rationalitätsverlust einhergehen und in faschistisches, mythologisch oder religiös geprägtes fundamentalistisches oder auch esoterisch-verschwörungstheoretisches Denken münden, ist die Demokratie gefährdet.“
Gemeinsam mit der Körber-Stiftung hat er die Studie „Demokratie in der Krise. Ein Weckruf zur Erneuerung im Angesicht der Pandemie“ erarbeitet.

Darin fordert Nida-Rümelin unter anderem:

– Bürgerräte müssen häufiger ihre Expertise einbringen können, um der Absonderung politischer Eliten und Institutionen entgegenzuwirken;

– die Bürgerschaft muss stärker in die Entscheidungsfindung des Landkreises oder der Stadt eingebunden werden;

– Parteien müssen wieder eine langfristige Vision anbieten und ihr Profil schärfen.

Diese Forderungen nach vitaler demokratischer Praxis decken sich mit den Umfrageergebnissen. Denn in dieser Hinsicht stimmt ja der Titel, den die Körber-Stiftung dem Ganzen gab, nicht so ganz: „Demokratie in der Krise“.

Bürger wünschen sich mehr Beteiligung

Denn was die Teilnehmer/-innen der Umfrage als Misstrauen bekunden, ist ein Misstrauen in die Funktionsweise der Institutionen der Demokratie, wie sie aktuell erlebt werden. Und wahrscheinlich nicht mal das, denn kaum eine Bundesbürgerin, kaum ein Bundesbürger erleben Bundestag, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht oder „die Wissenschaft“ selbst. Auch mit Gerichten, Parteien und öffentlicher Verwaltung kommen die meisten Bürger im Alltag gar nicht in Berührung.

Demokratie erlebt der Bürger fast immer vermittelt – über Medien. Nach denen wurde in der Umfrage auch gefragt. 30 Prozent der Befragten haben so gut wie kein Vertrauen in Medien, im Westen 28 Prozent, im Osten sogar 34 Prozent.

Wie sich das Vertrauen in demokratische Institutionen verändert hat. Grafik: Körber-Stiftung
Wie sich das Vertrauen in demokratische Institutionen verändert hat. Grafik: Körber-Stiftung

Mal ganz abgesehen davon, dass es „die Medien“ nicht gibt und die Ergebnisse wahrscheinlich völlig anders ausdifferenziert würden, wenn man nach Zeitungen, öffentlichen und privaten Sendern, Lokalradios, Internet-Angeboten und „social media“ fragen würde – die Leute haben recht.

Was nicht nur mit der teilweise völlig wilden Corona-Berichterstattung in diversen Kanälen zu tun hat, sondern auch mit einer Medienkrise, über die die meisten Medien überhaupt nicht berichten. Man tut nur zu gern so, als wäre alles noch in Ordnung, obwohl der wichtigste Teil der Medien gerade still und leise den Bach runtergeht – die regionale Berichterstattung.

Denn das macht die Umfrage sehr deutlich: Die befragten Bürger/-innen interessieren sich eigentlich nicht die Bohne für Bundestag und Bundesregierung. Das ist die Narretei der Politiker/-innen, die glauben, da würde die Demokratie entschieden. Falsch: Sie wird vor Ort entschieden, dort, wo die Menschen leben und in ihrem Alltag erleben, wie Demokratie funktioniert, wie ihre Interessen wahrgenommen werden, wie sich ihr Lebensumfeld entwickelt.

Das wird deutlich, wenn die Bürger/-innen danach gefragt werden, was sie an der Demokratie eigentlich verbesserungswürdig finden.

Bürger erwarten mehr echte Beteiligung. Grafik: Körber-Stiftung
Bürger erwarten mehr echte Beteiligung. Grafik: Körber-Stiftung

Eine Mehrheit von 71 Prozent der Befragten befürwortet die Einbeziehung von Bürger/-innen in den Entscheidungsprozess wichtiger politischer Entscheidungen. Insbesondere in bürgernahen Bereichen halten große Mehrheiten der Befragten Bürgerbeteiligung für sinnvoll. Kommunale Fragen bilden dabei mit 84 Prozent den Spitzenwert, gefolgt von Fragen der Bildungspolitik (76 Prozent) und des Klimaschutzes (70 Prozent).

Und der Blick auf die Leipziger Lokalpolitik zeigt, wie schwer sich selbst kommunale Verwaltungen tun, so eine Bürgerbeteiligung tatsächlich so zu organisieren, dass Bürger tatsächlich spüren, dass sie etwas mitentscheiden und verändern können. Das hat auch mit den Zeitpunkten zu tun, ab denen ein bisschen Bürgerbeteiligung zugelassen wird. Denn meist gibt es die so schön moderierten Beteiligungsprozesse erst, wenn schon fast alles vorentschieden und durchgeplant ist und es nur noch um ein paar kleine „Korrekturen“ geht.

Erwartungen an staatliche Institutionen enttäuscht

Und das hört ja auf kommunaler Ebene nicht auf. Da ist – über Stadt-, Gemeinde- und Kreisräte – ja wenigstens noch ein Stück politischer Streit erlebbar – sofern regionale Medien darüber überhaupt noch berichten.

Aber schon auf der Landesebene beginnen ganz andere Königreiche und Machtebenen, wo sich Landesverwaltungen und Ministerien oft noch in feudaler Abschottung organisieren und große Teile der kommunalen Selbstverwaltung durch Kontrolle, Normsetzungen, Geldzuweisungen und Gesetze beschneiden oder aushebeln. Übrigens einer der Gründe dafür, warum die Schweizer seit Jahrhunderten an ihrer Form der regionalen und direkten Demokratie festhalten. Demokratie lebt von der Selbst-Wirksamkeit.

Und da wird es spannend. Denn wenn sich Menschen nicht mehr als selbst-wirksam erleben und auch die Medien nicht mehr als Mittler funktionieren, dann zerreißt das Gefüge der Gesellschaft und gewinnen autoritäre Bewegungen auf einmal Raum.

Und das Vertrauen in die eigenen, demokratischen Institutionen schwindet.

So wie es die Umfrage deutlich machte.

Die Körber-Stiftung fasst es so zusammen: „Nur 50 Prozent der Bundesbürger/-innen haben Vertrauen in die Demokratie, 30 Prozent vertrauen ihr weniger bis gar nicht. Auch für öffentliche Einrichtungen und Institutionen ist das Vertrauen nicht sonderlich stark ausgeprägt: Lediglich 32 Prozent der Befragten haben Vertrauen in Bundestag und Bundesregierung, nur 20 Prozent vertrauen Parteien.“

Akzeptanz der Corona-Maßnahmen. Grafik: Körber-Stiftung
Akzeptanz der Corona-Maßnahmen. Grafik: Körber-Stiftung

Wobei sich das fehlende Vertrauen in den Bundestag mit 28 Prozent im Westen und 33 Prozent im Osten nicht viel nimmt. Was eigentlich auch keine Rolle spielt. Denn Politik wird vor Ort erlebt. Da wird es konkret. Und da ist dann schon entscheidend, wie groß das Vertrauen in die örtliche Verwaltung ist. Und siehe da: 16 Prozent der Westdeutschen und 24 Prozent der Ostdeutschen haben kein Vertrauen in ihre eigenen örtlichen Verwaltungen.

Wobei die Umfrage auch deutlich macht, welche Rolle tatsächlich die Corona-Pandemie und die Berichterstattung darüber spielt. Denn dieses Vertrauen in öffentliche Verwaltungen sinkt ausgerechnet mit Dauer der Corona-Pandemie. Zeigten im Juni 2020 47 Prozent der Befragten (sehr) großes Vertrauen in die Verwaltungen, sank dieser Wert auf 44 Prozent im Januar 2021 und 35 Prozent im Oktober 2021.

Man kann das auch so interpretieren: Mit der Dauer der Pandemie und den Einschränkungen verlieren die Menschen die Geduld. Zwei Jahre im Ausnahmezustand leben – das ist für Menschen eine ungewohnte und schwer auszuhaltende Erfahrung. Die Zahl vom Juni 2020 erzählt in Wirklichkeit auch von einer großen Hoffnung.

Denn wer die Grafik genau anschaut, sieht: Das Vertrauen in die öffentlichen Verwaltungen ist jetzt wieder da, wo es im fernen Jahr 2017 auch schon war. Man hat also eine Menge erwartet von den Verwaltungen – und sieht sich jetzt enttäuscht.

Hoffnungsträger Wissenschaft

Und dasselbe gilt für Bundesregierung, Bundestag und Medien: Zu Beginn der Krise stieg das Vertrauen in alle diese Institutionen – und ist jetzt allgemein wieder auf Werte abgesackt, die es 2017 auch schon gab.

„Am stärksten ist der Zuspruch der Deutschen noch gegenüber der Wissenschaft (67 Prozent) und dem Bundesverfassungsgericht (55 Prozent) ausgeprägt“, liest die Körber-Stiftung noch aus den Zahlen heraus. Man kann die Zahlen also auch so interpretieren, dass Anfang 2020 die Erwartungen an alle staatlichen Institutionen sehr hoch waren, dass sie die Pandemie und die Folgen schnell und gut bewältigen würden. Was sich aber als Illusion erwiesen hat.

Stattdessen wurde für alle sichtbar, wie sehr unser Gesundheitssystem an den Rand der Leistungsfähigkeit gespart wurde, dass es keine verlässlichen Rettungspakete für Branchen gab, die auf Publikumsverkehr dringend angewiesen sind. Es gab heillose Diskussionen über Maskenpflicht, Impfen und Ausgangsbeschränkungen.

Und es wurde sichtbar, wie sehr sich riesige Teile der „Berichterstattung“ längst von den klassisch arbeitenden Medien in den Bereich der „social media“ verlagert haben, wo ganze Bevölkerungsgruppen regelrecht in Filterblasen abtauchten.

Zweifel an der Gefährlichkeit des Corona-Virus. Grafik: Körber-Stiftung
Zweifel an der Gefährlichkeit des Coronavirus. Grafik: Körber-Stiftung

„Das dramatisch gesunkene Vertrauen in Staat und Wissenschaft gefährdet den Zusammenhalt, hier zeigt sich dringender Handlungsbedarf“, meinte dann noch Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement, Zusammenhalt der Körber-Stiftung. „Es braucht eine neue Bürgerorientierung der Politik: Entscheidungen müssen erklärt, Dialoge auf Augenhöhe geführt und mehr Mitwirkung ermöglicht werden.“

Wobei das Vertrauen in Wissenschaft 2017 noch nicht abgefragt wurde. Wir haben also keinen Vergleichswert. Es kann also auch ein völlig irrationales Vertrauen in „die Wissenschaft“ gewesen sein, das da im Juni 2020 mit 72 Prozent ausgesprochen wurde, gespeist aus Erwartungen, die Wissenschaft gar nicht erfüllen kann.

So eine „Alles wird gut“-Hoffnung, die aber nicht funktionieren kann in einer Welt, in der sich die meisten Menschen ganz und gar nicht rational verhalten, vernünftig meistens nur dann, wenn sie einsehen, dass man sich vernünftig verhalten sollte. Was dann wieder mit Vertrauen und Solidarität zu tun hat.

Wobei ein Befragungsergebnis auch interessant ist, denn nur 15 Prozent der Befragten meinen, die Politik habe zu viel auf die Wissenschaft gehört. 50 Prozent meinten hingegen, die Politik habe zu wenig auf die Wissenschaft gehört.

Und durchaus bemerkenswert ist auch, dass der Anteil derer, die an der Gefährlichkeit von COVID-19 zweifeln, von Januar bis Oktober lediglich von 28 auf 31 Prozent stieg. Eine klare Mehrheit sieht nach wie vor die Gefährlichkeit des Virus. Aber die Nachrichten werden von den Zweiflern dominiert, die natürlich auch deshalb immer wieder große „Spaziergänge“ organisieren. Denn wer die Schlagzeilen dominiert, dominiert das Bild. Auch wenn die Mehrheit völlig anders tickt.

So gesehen erzählt die Umfrage eher vom Verspielen eines Vertrauens-Bonus in der Bewältigung der Corona-Pandemie. Wofür ja bekanntlich die hauptverantwortliche Partei im September 2021 abgewählt wurde. Eine Pandemie lässt sich nun einmal nicht aussitzen und schönreden. Und so sind wir wieder da, wo wir vor der Pandemie auch schon waren: bei der Frage, was eine Demokratie eigentlich braucht, um von ihren Mitgliedern als wirksam und vertrauenswürdig erlebt zu werden. Eine überfällige Diskussion.

Durchgeführt hat die Umfrage policy matters im Auftrag der Körber-Stiftung im Oktober 2021. 1.148 wahlberechtigte Personen in Deutschland wurden dabei zu ihren Einstellungen befragt.

Alle Ergebnisse, Tabellen, Grafiken sowie die Studie „Demokratie in der Krise. Ein Weckruf zur Erneuerung im Angesicht der Pandemie“ findet man auf der Homepage der Körber-Stiftung.

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