Eigentlich müsste es jetzt losgehen. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, in Leipzig ein medienwirksames Schwerpunktjahr Demokratie starten zu lassen, sagt Katharina Krefft, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat. Aber so schnell wird's wohl nicht gelingen, Leipzig wieder als „die Stadt der Demokratie“ in die Medien zu bringen.

Den Antrag mit dem Titel „Demokratie leben – Demokratie lebt: 2017 zum Schwerpunktjahr Demokratie machen“ hat die Grünen-Fraktion am Dienstag, 9. Februar, gerade erst ins Verfahren gegeben. „Seit 2012 habe ich mich damit gedanklich beschäftigt“, sagt Krefft. Die Idee baut eigentlich sogar auf einem Grünen-Antrag von 2008 auf. Damals wollten die Grünen die Friedliche Revolution dauerhaft im Leben der Stadt verankern. Im Ergebnis wurde aus dem Lichtfest die überregional ausstrahlende Veranstaltungsreihe an jedem 9. Oktober auf dem Augustusplatz und auf dem Innenstadtring. Leipzig bekam mit dem 9. Oktober sogar einen eigenen Feiertag (auch wenn es dafür keinen arbeitsfreien Tag gibt).

Aber Demokratie ist etwas, das darf nicht nur an Feiertagen Thema sein.

Das muss im Alltag wahrnehmbar sein. Aber was passiert, wenn sich Politik und Bürgerschaft zunehmend entfremden, wenn regelmäßige Akzeptanz-Studien des Leipziger Büros Hitschfeld die gewachsene Skepsis der Bürger bestätigen, dass Transparenz und Teilhabe im politischen Diskurs überhaupt nicht gewollt sind?

Seit „Stuttgart 21“ gärt das Thema ja deutschlandweit. Seit 2014 ist die Entfremdung auch Thema auf Sachsens Straßen und es sieht so aus, als wolle ein Teil der Bürger gar nicht mehr teilnehmen an der politischen Diskussion und stellt mit immer radikaleren Forderungen die demokratische Gesellschaft in Frage. Als wäre es die Angelegenheit anderer Leute, an der sie überhaupt keinen Anteil haben.

Da kann man schon mal vergessen, was die Grünen in ihrem Antrag noch einmal formuliert haben:

„Demokratie bildet den Rahmen unserer Gesellschaft, in welchem Meinungsfreiheit, Schutz der Minderheiten, Gleichberechtigung und Freizügigkeit gesichert sind.“

Aber das alles steht irgendwie zur Disposition, wenn man den Parolen bei Pegida und Legida zuhört. Die Grünen: „Seit einem Jahr ist Leipzig ein wesentlicher Ort der Auseinandersetzung zwischen Antidemokraten und einer Zivilgesellschaft, die unsere Demokratie verteidigt. Die Spaziergänge gegen die Pluralität, gegen Menschenwürde, gegen Rechte von Frauen, Gläubigen, Flüchtlingen, gegen Staatsvertreter und Staatsvertreterinnen, gegen Medien als vierte Säule der Demokratie, fordern uns heraus. (…) Im Windschatten der Demonstrationen wird das öffentliche Leben mit gewaltvollen Aktionen und zuletzt verschärften und gewaltsamen Gegenaktionen herausgefordert.“

Höchste Zeit also, sich wieder selbst zu vergewissern: Wo stehen wir eigentlich mit unserer Demokratie?

Dass sie keine Selbstverständlichkeit ist, wissen auch die Leipziger Stadtratsfraktionen. Sie erleben Monat für Monat mit, wie schwierig die Aushandlungsprozesse schon zwischen Verwaltung und gewählten Stadträten sind. Gerade erst im letzten Jahr sind die Grünen mit dem Vorstoß gescheitert, den Leipziger Stadtbezirksbeiräten mehr Entscheidungskompetenzen zu geben. Die sind genauso demokratisch gewählt wie der Stadtrat – dürfen aber nur Anträge beim Stadtrat stellen, ohne selbst über die brennenden Probleme im Stadtteil mitbestimmen zu dürfen.

Auch dazu gibt’s ein aktuelles Beispiel: Die Entscheidung zur Einstellung der Linie 9 nach Markkleeberg – vom Stadtbezirksbeirat Süd mehrheitlich abgelehnt. Hier weiß man, wie wichtig eine funktionierende Straßenbahnlinie auf der Strecke auch für den Stadtteil war/ist. Die Stadtratsmehrheit sah es anders.

Ähnliche Lieder können die Bürger der Stadt selbst singen. Viele Initiativen gibt es, die sich für ein Thema erwärmen, emsig Stimmen sammeln und Petitionen einreichen – und dann mit einem simplen „Nein“ abgespeist werden und einer amtlichen Erklärung, warum etwas nicht geht. Uwe Hitschfeld und sein Büro würden auch in Leipzig selbst schon genug Beispiele dafür finden, wie frustrierend der Versuch von Bürgern sein kann, sich in politische Willensbildungsprozesse einzuklinken, um dann an einer Wand der Unwilligkeit abzuprallen – etwa wenn es um den Fluglärm im Leipziger Norden geht oder die Bewahrung des Naturkundemuseums am alten Standort. Mal ist das fehlende Geld die Ausrede, mal sind es Wirtschaftsinteressen, dann wieder zerleppern sich Themen, bei denen die Stadtverwaltung Abhilfe zugesagt hat, in einem jahrelangen Kleinklein.

Im Grunde stünde in einem Jahr der Demokratie die Bestandsanalyse an erster Stelle:

Was funktioniert? Was nicht? Wo erleben Bürger Beteiligung? Wo erleben sie Frustration, Ablehnung, Verweigerung?

Denn die Polis – so sagte es ja auch Oberbürgermeister Burkhard Jung erst am 2. Februar wieder bei der Verleihung der Goerdeler-Preise – ist der Ort, an dem Menschen Demokratie hautnah erleben.

Oder eben nicht.

Oder eben auch, wie frustrierend es ist, wenn man sich professionell einbringt – zum Beispiel in den vielen Fachvereinen – und dann doch nur erlebt, wie unwillig die Verwaltung auf den Wunsch nach Beteiligung auf Augenhöhe reagiert. Oder auch nicht. Oft kämpft man leider nur gegeneinander, nicht miteinander. Die Streitpunkte um Auenwald, Gewässerkonzept und Hochwasserschutz sind Beispiel und Legion.

Leipzig braucht also so etwas wie ein Jahr der Vergewisserung, in dem die Stadtgesellschaft erst einmal wieder thematisiert, was Demokratie eigentlich sein kann und sein muss. Mit einer aktuellen Stunde im Stadtrat (die man – so schlägt es jetzt mal die L-IZ vor – durchaus auch in einen größeren Saal verlegen könnte, damit mehr Leipziger zuschauen können), einer Stärkung der Demokratiekonferenz, öffentlichen Vorlesungen der Hochschulen, Angeboten für Leipzigs Partnerschaftsvereine (denn Demokratie wird auch in den Partnerstädten völlig unterschiedlich erlebt), Weiterbildung für die Stadtverwaltung (die letzte gab es so 1990 um den Dreh), einer Plakatkampagne und einer Wiederauflage der Leipziger Disputation. Womit die Grünen mal nicht Luther und seine Reformation meinen, auch wenn das passt wie die Faust aufs Auge: Denn 2017 ist natürlich auch das Abschlussjahr der Reformationsdekade. 500 Jahre vorher hat Martin Luther seine berühmten 95 Thesen angeschlagen.

Und 2017 soll dann auch nach Vorstellung der Grünen das Schwerpunktjahr Demokratie in Leipzig stattfinden. Das brauche halt Vorlauf, wenn man es richtig vorbereiten wolle, sagt Krefft. Und die ganze Liste mit Vorschlägen, was man alles machen könne, hätten die Grünen erst mal weggelassen. Das könne dann aber alles vorgelegt werden, wenn der Verwaltung keine sonderlich tollen Sachen einfallen.

Aber in 2 Millionen Euro, die die Grünen für das Demokratie-Jahr beantragt haben, passt eine Menge hinein. Erst recht, wenn man dann wirklich alle einbindet, die sich in Leipzig sowieso schon mit dem Thema Demokratie und Beteiligung beschäftigen – Vereine und Initiativen. „Allein die Stiftung Friedliche Revolution hat eine ellenlange Liste an Vorschlägen“, so Krefft. Und eigentlich kann das Jahr 2017 (in dem dann auch noch die Bundestagswahl stattfindet) einfach überleiten ins Jahr 2018, in dem dann in Leipzig die große internationale Demokratiekonferenz stattfindet und das Zeitgeschichtliche Forum seine Dauerausstellung neu gestaltet eröffnet. Das Jahr könnte dann unter dem Motto stehen: „Demokratie gestalten“.

Denn am Ende funktioniert das meist gar nicht so einfache Projekt Demokratie eben nur, wenn Partizipation wirklich funktioniert und die Bürger der Polis das Gefühl haben, wirklich mitgestalten zu können. Was dabei zu erreichen wäre, so die Fraktionsvorsitzende, wäre Leipzig nach außen hin eindeutig mit dem Label „Die Demokratiestadt“ zu verbinden. Und eigentlich würde das Projekt von Anfang an auf den Tisch des OBM gehören. „Das ist eigentlich Chefsache.“

 

Der Antrag der Grünen.

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