So entmachtet sich ein Stadtrat selbst. Am Mittwoch, 24. August, hat der Leipziger Stadtrat mehrheitlich das „Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im Mitteldeutschen Raum“, kurz TWGK, beschlossen. Der Ökolöwe - Umweltbund Leipzig e.V. hatte mehrfach davor gewarnt, damit dem Massentourismusgeschäft im Leipziger Neuseenland Tür und Tor zu öffnen. Obwohl: Massentourismus? Man kann sich auch selbst in die Tasche lügen.

Denn das Grundproblem dieses Papiers, das nicht mal ansatzweise ein Konzept ist, ist die Konstruktion eines „Wassertourismus“, den es in dieser Art gar nicht gibt in Mitteldeutschland. Auch nicht an der Saale oder dem Geiseltaler See. Alle „Leuchttürme“ sind auf die hypothetische Zunahme eines Tourismussegments angelegt, das in den gegenwärtigen Tourismusstatistiken gar nicht ausgewiesen ist, weil es schlicht zu klein ist.

Während der eigentlich existente Tourismus einfach ausgeblendet wird: der Kultur- und Städtetourismus, der bislang die Tourismuszahlen um Städte wie Leipzig, Halle, Merseburg oder Dessau ausmacht.

Da haben also Dilettanten ein Konzept in Auftrag gegeben, um sich neue Spielwiesen abseits demokratisch legitimierter Gremien zu verschaffen.

Und das entsprechende Leipziger Gremium hat am Mittwoch einfach gesagt: Macht doch.

Logisch, dass die Naturschützer entsetzt sind bei so viel Fahrlässigkeit.

„Die Volksvertreter haben mit ihrer Entscheidung viel Gestaltungshoheit aus der Hand gegeben“, sagt Anja Werner, umweltpolitische Sprecherin des Ökolöwen. „Das Papier, das den Namen ‚Konzept‘ nicht verdient, wird ab jetzt immer dann als Grundlage herangezogen werden, wenn es um die Gestaltung der Landschaft in und um Leipzig gehen soll. Sollte die Verwaltung der Stadt nun Zweckverbände gründen und den Ausverkauf des Neuseenlandes vorantreiben, dann wird es stets heißen ‚Das war doch Wille des Stadtrates, also der Leipziger Bürger‘. Dabei hat es fürs TWGK keine echte Bürgerbeteiligung gegeben.“

Es hat überhaupt keine Bürgerbeteiligung gegeben, nicht mal so eine scheinbare wie zum Beispiel zur „Charta Leipziger Neuseenland“. Oder zum „Wassertouristischen Nutzungskonzept“ (WTNK), mit dem in den vergangen zehn Jahren Projekte und Vorstöße im Leipziger Gewässerverbund immer wieder begründet wurden. Oft genug wurden dabei die simpelsten naturschutzrechtlichen Belange einfach ausgeblendet.

Aber Leipzigs Ratsversammlung ist noch immer mit Leuten besetzt, die einfach zu denken aufhören, wenn ihnen lauter Arbeitsplätze und wachsende Wirtschaftsbereiche suggeriert werden. Nur dass die Zahlen dazu im „Konzept“ sämtlich erfunden sind.

Sie spiegeln eine wissenschaftliche Untermauerung wider, die gar nicht gegeben ist.

„Als Umweltverein haben wir uns den 300-Seiten-Wälzer genau angesehen und dazu ein Positionspapier erarbeitet. Das TWGK macht Entwicklungs- und Gewinnversprechen, die nicht belegt sind. Es ignoriert Naturschutzrecht und lässt kaum Raum für Naherholung und naturverträglichen Tourismus. Auf einer solchen Basis lässt sich keine verantwortungsvolle Entwicklung begründen“, sagt Werner.

Was jetzt kommt, werden natürlich immer wieder neue Vorlagen sein, mit denen eine sichtlich unterbeschäftigte Verwaltung Gelder beantragen wird, um ihre Träume von „wir machen mal Wasser-Wirtschaft“ zu verwirklichen. Das erste wird der Antrag für Gelder für einen zu gründenden Zweckverband sein, in dem ein paar eifrige Parteiarbeiter neue Beschäftigung in schönen Büros finden werden.

Der Ökolöwe jedenfalls will sich nun die Umsetzung anschauen und natürlich immer dann für die Rechte der Natur und für die Erholung der Leipziger eintreten, wenn es nötig ist.  Was schon mal eine Menge Arbeit und Ärger verheißt, denn bei den Themen taucht Leipzigs Verwaltung gern ab.

„Derartige absehbare Konflikte hätten im Vorfeld umschifft werden können, wären die Leipziger Bürger beteiligt worden und hätte man die Naturschutzgesetze direkt mitgedacht“, sagt Werner. „Es hätte die Chance gegeben, unsere Landschaft nachhaltig zu entwickeln.“

Nachhaltigkeit in der Leipziger Stadtpolitik? Das wäre ja mal was ganz Neues. Aber dazu braucht man Bürgermeister, keine Traumtänzer.

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