Wie soll man mit den Benennungen Leipziger Straßen umgehen, wenn damit Leute gewürdigt werden, deren Äußerungen nach heutigen Maßstäben schlicht nicht akzeptabel sind? 2020 gerieten ja Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn in die Debatte. Erst stimmte der Stadtrat für die Umbenennung der Arndtstraße, dann nahm er es zurück. Also lässt man die Schilder doch dran? – Aber bitte mit Erklärungstafeln, beantragte das Jugendparlament.

Am 14. September erklärte stellvertretend fürs Jugendparlament Oskar Teufert, warum sich das junge Gremium inzwischen anders entschieden hat. Denn die jungen Leute finden es nicht mehr zielführend, die Namen von Leuten wie Arndt einfach aus dem Straßenbild verschwinden zu lassen. Das wäre so eine Art Whitewashing. Die Namen verschwinden. Und keiner redet mehr darüber.

Mit einer simplen Streichung ist es nicht getan

Im Antrag des Jugendparlaments liest sich das so: „Das Jugendparlament versuchte 2020 mit einem Antrag im Stadtrat die Umbenennung der Arndtstraße in Hannah-Arendt-Straße zu erreichen. Ernst Moritz Arndt war ein Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und Verfasser wellenschlagender, demokratischer und anti-feudaler Schriften, aber er war auch Nationalist und seine Texte sind von antisemitischer Rhetorik durchseucht. Die deutsch-jüdische Autorin Hannah Arendt lieferte mit ihren politischen Analysen in der Zeit des Nationalsozialismus bis heute gültige und gelehrte Analysen zum Regime, aber auch zu politischen Systemen weltweit. Die Intention des damaligen Antragsstellers ist klar und der Impuls verständlich. Der Antrag fand im Stadtrat keine Mehrheit.

In meinen Augen war es die richtige Entscheidung. Whitewashing oder das Auslöschen unliebsamer Teile der Geschichte und Identität ist ein Problem. Vielmehr sollte ein differenzierter Ansatz vorherrschen. Ein Zusatz, wie er heute bekannt ist, beispielsweise stehen unter vielen nach Personen benannten Straßen deren berufliche Erfolge, kann die problematischen Abschnitte einer Person hervorheben, ohne die Verdienste komplett auszulöschen. Es ist ein Kompromiss und logischer Schritt.“

Ein QR-Code soll helfen

Wobei den jungen Leuten durchaus bewusst war, dass es zu einer wirklich fundierten Erklärung mehr braucht als die üblichen schmalen Erläuterungstafeln unter Leipziger Straßenschildern, auf die selten mehr passt als Lebensdaten und Tätigkeit der Gewürdigten.

Gerade über Arndt wurde ja so intensiv diskutiert, weil sich bei ihm Motive und Äußerungen vermischen.

Das muss erklärt werden. Und so schlug das Jugendparlament vor: „Denkbar ist auch eine Verknüpfung der Straßenschilder kontroverser Personen mit dem Onlinetool auf leipzig.de per QR-Code. Vor allem würde es endlich vorwärtsgehen in dieser Debatte. Beide Lager können die Vorschläge des gegenüberliegenden Lagers nur schwer verstehen. Die einen sollen geschichtsvergessen sein und die anderen unsensibel. So oder so, die Debatte steht still.“

Also braucht es am Straßenschild nur den QR-Code und jeder, der ein Handy hat, kann sich sofort über die Leipziger Debatte zu Arndt, Jahn oder auch Pinkert informieren.

Das Amt für Statistik und Wahlen, das den Standpunkt der Stadt erarbeitet hat, fand den Vorstoß gut: „Die Stadtverwaltung begrüßt die Idee, Erläuterungsinformationen an Straßenschildern mit kontro­versen Namensgebern anzubringen. Dieser Vorschlag regt zum einen die Diskussion um Namensgeber und die Geschichte an und bietet zum anderen die Möglichkeit, ein milderes Mittel als die Straßenumbenennung zu benutzen. Dies ist vor allem für die betroffenen Anlieger eine Entlastung.“

Das Amt für Statistik und Wahlen schlägt dafür die direkte Verlinkung zum Online-Verzeichnis der Leipziger Straßennamen vor.

Und wenn die Erläuterung zu kurz ist?

Da kann man aber gleich unter Arndtstraße nachschlagen und dürfte sehr unzufrieden sein mit der Erläuterung, die man da findet:

„Der Namensgeber der Arndtstraße wird aufgrund seiner frankophoben Schriften und Äußerungen seit 2019 kontrovers in der Stadtgesellschaft diskutiert und auch eine Umbenennung der Straße wurde dabei nicht ausgeschlossen. Letztlich entschied sich der Stadtrat unter Abwägung aller Argumente, den Namen vorerst beizubehalten und den Straßennamen kritisch zu würdigen und zu erläutern. [VII-P-00918]“

Das scheint deutlich zu wenig zu sein, um die Kritik an Arndt adäquat zu fassen. Es müsste also dringend eine Form gefunden werden, damit die Erläuterungen wirklich aufzeigen, warum eine Person derart umstritten ist.

Die Freibeuter-Fraktion hatte dann noch einen Ergänzungsantrag geschrieben, mit dem solche kritischen Erläuterungen auch zu Leipziger Denkmalen angebracht werden sollen: „Neben nach kontroversen Persönlichkeiten benannten Straßen gibt es ebenso Denkmale für kontroverse Persönlichkeiten, die von historischer und wissenschaftlicher Einordnung und Kontextualisierung profitieren können. Die mit dem Verwaltungsstandpunkt beschlossene Prüfung soll daher auf Denkmale erweitert werden.“

Die Üblichen waren wieder mal dagegen

Oskar Teufert stellte dann einfach nicht nur den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung, sondern übernahm auch den Änderungsantrag der Freibeuter. Als Umsetzungszeitraum hatte die Verwaltung angeboten, bis zum „I. Quartal 2023 zu prüfen, unter welchen Rahmenbedingungen die Stadtverwaltung ein Verfahren erarbeiten kann, welches das unkomplizierte Anbringen von Zusätzen zu Straßennamen auf Vorschlag aus der städtischen Gemeinschaft heraus ermöglicht.“

Und das Ergebnis der Abstimmung verblüffte überhaupt nicht, denn während die Stadtratsmehrheit das Paket positiv votete, stimmten nur die üblichen neun Stadträte dagegen, die das, was Arndt und Co. so äußerten, überhaupt nicht für ein Problem halten.

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