Sie haben es in Stötteritz versucht. Sie haben es in Lindenthal versucht. Am 9. Februar versuchten die Stadträte der AfD auch im Leipziger Stadtrat, die Emotionen gegen die Unterbringung Geflüchteter in Leipzig zu schüren. Auch mit der Falschbehauptung, die Stadt informiere nicht genug. Dabei wurde jedes Mal genau eine solche Informationsveranstaltung missbraucht, um die Stimmung anzuheizen.

Und zwar systematisch schon im Vorfeld dieser Sitzungen von Ortschaftsrat und Stadtbezirksbeirat, wo die Leiterin des Sozialamtes, Martina Kador-Probst, Rede und Antwort stand genau zu der Frage, wo und wie nun in Stötteritz und Lindenthal weitere Geflüchtete untergebracht werden sollen.

Den Hintergrund sprach dann am Ende der Debatte am 9. Februar in der Ratsversammlung OBM Burkhard Jung noch einmal an, denn nach Deutschland und damit auch nach Sachsen und Leipzig werden in nächster Zeit noch viel mehr Geflüchtete kommen. All die Konflikte in der Welt, die seit 2015 immer mehr Menschen nach Europa fliehen lassen, sind leider keineswegs gelöst.

Im Gegenteil: Diktatoren und Populisten heizen die Lage weiter an. Und wirklich beendet ist der Bürgerkrieg in Syrien bis heute nicht. Millionen Menschen leben in der Region noch immer in Flüchtlingslagern. Und genau dort gab es am 6. Februar 2023 das Erdbeben mit der Magnitude 7,5 und seinen verheerenden Folgen.

Was natürlich dafür sorgen wird, dass weitere tausende Menschen versuchen werden, im Norden Europas eine Zuflucht zu finden.

Alle drei Monate umfassende Informationen

Am 9. Februar stand eigentlich nur eine Informationsvorlage auf der Tagesordnung der Ratsversammlung. Eine Vorlage, wie sie in Leipzig seit den Erfahrungen der Jahre 2015/2016 zur Routine geworden ist: Vierteljährlich informiert das Sozialamt über den aktuellen Stand der Unterbringung von Geflüchteten in Leipzig. In diesem Fall mit dem Sachstand zum 31. Dezember 2022. Die Ratsversammlung erfährt also alle drei Monate konkret, wie Leipzig die Unterbringung der geflüchteten Menschen gelingt.

Und auch, dass es immer schwieriger wird. Denn 2022 allein hat Leipzig ja in einem Kraftakt rund 10.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Ein Kraftakt auch deshalb, weil die Wohnungsmarktlage in Leipzig seit Jahren angespannt ist und die Stadt mit dem Bau von sozial geförderten Wohnungen gar nicht hinterherkommt.

Und zu den Geflüchteten aus der Ukraine kamen noch weitere Menschen hinzu, die aus Krisenregionen nach Sachsen geflüchtet waren und Leipzig zugewiesen wurden: „Die 1.453 Asylsuchenden nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die im Jahr 2022 bis Ende Dezember der Stadt Leipzig zugewiesen wurden, kamen aus 32 verschiedenen Ländern. 414 Personen aus Syrien und 277 Personen aus Venezuela bildeten die beiden größten Gruppen mit jeweils Anteilen von rund 28 % bzw. 19 % an allen Zugewiesenen.“

Die Informationsvorlage des Sozialamtes zur Unterbringung von Geflüchteten in Leipzig, Stand 31. Dezember 2022

Hilfe für Geflüchtete ist eine Menschenpflicht

Und diese Unterbringung ist nicht nur ein Akt der Menschlichkeit, worauf Burkhard Jung hinwies, sondern eine Pflichtaufgabe, welche die Kommune zu erfüllen hat. Es ist kein demokratischer Beteiligungsprozess, in dem einzelne Orte oder Parteien für sich beschließen können, dass sie da nicht mitmachen und die Hilfe verweigern. Aber genau so agiert die AfD in Leipzig in engem Schulterschluss mit rechtsextremen Akteuren.

Tage vor den Informationsveranstaltungen in Stötteritz und Lindenthal heizte sie über die (a-)sozialen Netzwerke die Gemüter an, schürte die Emotionen und malte ihre üblichen Schreckensbilder an die Wand. Wohl wissend, dass man Menschen nur in Angst und Schrecken versetzen muss, dann laufen sie auch bei menschenfeindlichen Kundgebungen mit.

Dass das in Stötteritz und Lindenthal nicht eskalierte, liegt auch an der sachlichen Arbeit und dem beherrschten Auftreten von Martina Kador-Probst, die mit Engelsgeduld erklärt, was die Stadt plant. Und manchmal auch beim beherzten Agieren von Stadträten wie Andreas Geisler (SPD), der am 9. Februar den Stadträten der blauen Fraktion auch ziemlich deutlich erklärte, dass ihnen alle Informationen zugänglich sind und sie überhaupt keinen Grund haben, immerfort zu behaupten, die Stadt Leipzig informiere nicht – oder nicht genug oder nicht früh genug.

Über das durchaus komplexe Abstimmungsverfahren in der Verwaltung, wie es zu einzelnen Standortentscheidungen kommt, konnte man in der dann doch entfachten Debatte am 9. Februar einiges erfahren. Und auch darüber, dass es auch OBM Burkhard Jung völlig gegen Strich geht, geflüchtete Menschen wieder in Zelten unterbringen zu müssen, weil adäquate feste Unterbringungen oder gar genügend Wohnungen einfach nicht zur Verfügung stehen.

Auch ein AfD-Stadtrat kann keine Deals aushandeln

Und Sozialbürgermeisterin Martina Münch erklärte noch einmal deutlich, dass sie einem AfD-Stadtrat Kriegel ganz und gar nicht versprechen kann, dass in die geplante Unterkunft in Lindenthal, die ab dem 7. März bezogen werden soll, nur Familien kommen. Da konnte Kriegel noch einmal und noch einmal nachfragen. Die Stadt strebt das an, weil sich das Haus in Lindenthal mit seinen 30 Plätzen gut für die Unterbringung von Familien eignet. Aber Leipzig weiß nun einmal nicht, welche Menschen genau in diesem Jahr zugewiesen werden.

Leipzig kennt bis jetzt nur die Zahlen. Und die besagen nun einmal nur, dass bis Ende Februar über 700 Menschen nach Leipzig zugewiesen werden, bis Ende des Jahres ist mit 3.000 zu rechnen. Und das sind nur die Zahlen, die der Freistaat Sachsen prognostizieren kann. Wie heftig sich die Folgen des Erdbebens in der Türkei und in Syrien auswirken werden auf die Flüchtlingszahlen, weiß ja noch niemand.

Am Ende wurde Burkhard Jung sehr emotional. Erst recht, als AfD-Stadtrat Tobias Keller noch einmal versuchte, die verquere Sicht der AfD am Mikrofon zu artikulieren. Da ließ ihm Jung – auch das eine Seltenheit im Leipziger Stadtrat – kurzerhand das Mikro abdrehen.

Denn über das Wie der städtischen Informationspolitik könne man ja durchaus reden, wie FDP-Stadtat Sven Morlok anmerkte. Aber dass die Stadt aus 2015 nichts gelernt habe und nicht genug informiere, genau das kann man Leipzigs Verwaltung nicht vorwerfen.

Dass es sowieso ein Scheinargument ist, wird deutlicher, wenn man weiß, wie ausgerechnet AfD-Stadträte die Stadtbezirksbeiratssitzung in Stötteritz dazu nutzten, ihre Positionen in weitschweifigen Vorträgen auszubreiten, statt den Stötteritzern selbst den Raum fürs Fragenstellen zu lassen.

Gezielte Stimmungsmache

Es ist also echtes politisches Theater mit immer spürbarem, ausländerfeindlichem Hintergrund, das hier sichtbar wird. Und es ist eine falsche Debatte, welche die AfD in trauter Gemeinschaft mit rechtsradikalen Gruppierungen anzettelt, um den leichtgläubigen Menschen einzureden, sie könnten das Thema Flucht und Vertreibung einfach ignorieren und so tun, als gingen die Katastrophen draußen in der Welt sie nichts an.

Als wäre Sachsen eine Insel, die nicht in einer Welt voller Kriege, Bürgerkriege und Umweltkatastrophen liegt. Einer Welt voller Konflikte, die seit Jahren zunehmen, weil insbesondere Diktatoren und Populisten überhaupt nicht daran interessiert sind, die Konflikte zu lösen.

Was Leipzig 2022 alles geleistet hat, um geflüchtete Menschen unterzubringen, ist in der Informationsverlage „Unterbringung von Geflüchteten in der Zuständigkeit der Stadt Leipzig“ aus dem Sozialamt nachzulesen. In drei Monaten wird es die nächste geben. Und möglicherweise wird die Stadt dann noch weitere Unterkünfte schaffen müssen, damit Menschen, die Haus und Heimat verloren haben, wenigstens ein Dach über dem Kopf vorfinden, wenn sie nach Leipzig kommen.

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