Am 6. Juli stand in der Ratsversammlung eigentlich eine richtig schöne Fachförderrichtlinie zur Beschlussfassung: die „Fachförderrichtlinie der Stadt Leipzig über die Förderung freier kultureller und künstlerischer Projekte und Einrichtungen (Fachförderrichtlinie Kultur) und Förderstrategie Freie Kunst und Kultur“. Auf einen kurzen Nenner gebracht: das Geld, mit dem Leipzig die vielen Projekte in der Freien Szene fördert. Aber Freie Szene – sind das nicht lauter verkappte Linksextremisten?

Freischaffende Künstlerinnen und Künstler sind es garantiert, Kulturmacher aller Sparten, kreative Leute, eigensinnig, experimentierfreudig und – wie Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke betonte: professionell auf hohem Niveau. Leipzig wirbt auch mit seiner Freien Szene, den sie gehört zu den Attraktionen dieser Stadt.

Fachförderrichtlinie der Stadt Leipzig über die Förderung freier kultureller und künstlerischer Projekte und Einrichtungen (Fachförderrichtlinie Kultur) und Förderstrategie Freie Kunst und Kultur

Und dann das: Eine CDU-Fraktion, die ein uraltes Instrument der Kontrolle aus der Truhe holt und beantragt, die Antragsteller aus der Freie Szene sollten jetzt alle eine Extremismusklausel unterschreiben. So wie das in Sachsen von 2011 bis 2014 bei Programmen gegen den Rechtsextremismus der Fall war, weil stockkonservative Regierungen meinten, sie dürften und müssten Antragsteller erst einmal auf ihre Verfassungstreue überprüfen.

„Alles Linksextremisten …“

Aber wer soll das eigentlich tun? Das Kulturamt der Stadt? Die Rechtsabteilung?

„Es ist ein reiner Schaufensterantrag“, stellte Bert Sander für die Grünen-Fraktion fest. Eine reine Show-Veranstaltung. In diesem Fall auch mit klarer Stoßrichtung, die CDU-Stadtrat Michael Weickert auch benannte: „Linksextremismus“.

Und das war natürlich eine Steilvorlage für AfD-Stadtrat Siegbert Droese, der seine Falschbehauptungen vom Vortag einfach wiederholen konnte. Für ihn ist das von der Stadt geförderte „Conne Island“ ein Sammelplatz für Linksextremisten. Das muss er nur immer wieder behaupten, irgendwann glauben es die Leute.

Obwohl es bei einer Veranstaltung am 9. Juni in „Conne Island“ vor allem um eine Informationsveranstaltung für all die jungen Leute ging, die am 3. Juni unverschuldet im Kessel der Polizei gelandet waren und nun auf einmal rechtlichen Beistand gegen die von der Polizei behauptete Anschuldigung des schweren Landfriedensbruchs brauchen.

Schon das ein irritierender Vorgang, dass so ein überzogenes polizeiliches Vorgehen auch noch in einen Generalverdacht gegen all die eingekesselten Menschen mündet.

Aber dieser Verdacht ist natürlich Futter für Leute wie Siegbert Droese, immer wieder falsche Anwürfe des „Linksextremismus“ vorzubringen. Und freudig dem Antrag der CDU-Fraktion zuzustimmen, die hier ganz eindeutig die demokratische Diskursebene verlassen hat, indem sie sich wünschte: „Wer eine Förderung im Rahmen der Fachförderrichtlinie Kultur beantragt, muss nachweisen, dass er auf dem Boden der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung steht und sich klar gegen Rechts- und Linksextremismus, religiösen Extremismus, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit positioniert.“

Berechtigterweise fragte Bert Sander, wie dieser Nachweis aussehen soll? Soll jeder Antragsteller ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen? Soll er ein Schriftstück unterzeichnen, dass er sich immer verfassungstreu verhalten will?

Eine ganze Szene unter Generalverdacht

Auf einmal soll ein Gremium, das über künstlerische und kulturelle Projekte und ihren Wert für die Leipziger Kultur entscheiden soll, auch noch eine Gesinnungsprüfung machen?

Das kann es nicht sein, stellte auch Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke fest, die ziemlich deutlich machte, dass dieser Antrag der CDU-Fraktion völlig vom eigentliche Thema ablenkte: nämlich mit städtischer Förderung Vielfalt und Reichtum der Freie Szene in Leipzig zu fördern.

Und sie deutete noch etwas an, was wohl auf den Kern zielt – dass die konservativen Redner an diesem Tag die Freie Szene der Stadt wohl überhaupt nicht kennen, schon gar nicht die Vielfalt, die jeder da findet, wenn er abends losgeht und eine „extrem hohe Qualität“ des Dargebotenen erleben kann. Eine Qualität, die es zu erhalten gilt, weshalb rund 12 Millionen Euro an hunderte verschiedene Projekte ausgereicht werden.

Nichts findet derart öffentlich statt wie das, was die Freie Szene in Leipzig auf die Bühne bringt. Jeder kann hingehen. Und es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass dabei Extremisten – welcher Couleur auch immer – in Leipzig zum Zuge gekommen wären. Weshalb dann die Vorfälle bei der Ausstellungsreihe documenta in Kassel 2022 als Beispiel herangezogen wurden, die nun so gar nichts mit Leipzig zu tun haben.

Bert Sander brachte es auf den Punkt, wenn er der CDU-Fraktion vorwarf, hier wieder einen Nebel zu schaffen und einen Generalverdacht in die Welt zu setzen, der sich irgendwie gegen die gesamte Freie Szene richtet. Als wären die dort Tätigen schlichtweg von vornherein verdächtig, irgendwie Extremisten zu sein.

Künstler sind per se verdächtig …

Skadi Jennicke wies deutlich darauf hin, dass es nicht Aufgabe einer Stadt sein dürfe, ihre Antragsteller auf ihre „richtige“ Gesinnung hin zu überprüfen. Das sei Sache von Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden, falls so ein Fall publik werden sollte. Aber CDU-Stadtrat Michael Weickert machte im Grunde deutlich, wie sehr die sächsische CDU von Überwachung und Kontrolle beseelt ist. Und dass sie sich vom Getöne der AfD zum Linksextremismus nur zu gern anstecken lässt.

Aber dieser Generalverdacht hat Folgen: Er bringt Künstler dazu, sich einige Projekte sofort zu verkneifen, lieber gar nicht erst anzuecken bei so derart kontrollsüchtigen Bürgern, die nicht einmal begreifen, dass sie damit nicht nur die künstlerische Freiheit beschneiden . Denn dann ist der Raum für Denunziation, irgendein ein Stück, eine Ausstellung, ein Auftritt könnten „extremistisch“ sein, Tür und Tor geöffnet.

Mit der Denunziation aber beginnt genau das, was George Orwell in „1984“ beschrieben hat: Ein Staat, der die Gedanken seiner Bürger kontrolliert. Und der sie allein schon mit dem Generalverdacht dazu bringt, nichts mehr zu tun, was kontroverse Diskussionen hervorrufen könnte.

Da wunderte es am Ende nicht, dass CDU- und AfD-Fraktion gemeinsam stimmten für diesen Schaufensterantrag zur Extremismusklausel. Der damit aber abgelehnt wurde – mit 19:39 Stimmen.

Denn es ging um etwas völlig anderes: Förderung für eine reiche Szene, die ein Aushängeschild der Stadt ist. Und niemand, der all diese Angebote wahrnimmt, käme auf die Schnapsidee, den Künstlerinnen und Künstlern Extremismus vorzuwerfen.

Und es kam noch besser, denn die CDU-Fraktion stimmte mit der AfD-Fraktion auch gegen die Vorlage zur Fachförderung selbst. Eine Förderrichtlinie, die in Jahren ernsthafter Diskussion zwischen Stadt, Kulturausschuss und den Aktiven aus der Freien Szene entstand. Es steckt also eine Menge Arbeit drin und ein sehr detailliertes Regelwerk, wann Antragsteller Geld aus diesem Topf bekommen und wann nicht. Und wann ihnen die Förderung auch wieder entzogen werden kann, wie Skadi Jennicke betonte.

Kein Wort – weder bei Weickert noch bei Droese – dazu, dass sich viele der antragstellenden Projekte, Künstlerinnen und Künstler in Leipzig sehr prekär durchschlagen und auf die Förderung dringend angewiesen sind. Und auch auf eine Fortsetzung der Projektförderung, wenn ihre Projekte erfolgreich waren.

Weshalb Linke, Grüne und SPD einen Änderungsantrag geschrieben haben, dass es künftig auch eine Basisförderung für Projekte geben soll, die man dauerhaft etablieren möchte. Ein Antrag, der 40:18 Stimmen bekam.

Unübersehbar, wie CDU- und AfD-Fraktion an diesem Tag immer wieder gegen die Förderung der Freien Szene gestimmt haben.

Ein SPD-Antrag, den freien Projekten künftig auch bei der Eigentumsbildung zu helfen, wurde von OBM Burkhard Jung erst einmal als Prüfauftrag formuliert. Denn da gibt es tatsächlich rechtliche Bedenken.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar