Es gärt im Leipziger Nordwesten. So sauer waren die Aktiven in den diversen Bürgerinitiativen lange nicht. Und sie haben sich auch noch nie so verschaukelt gefühlt. Seit Februar wissen sie nun, dass der Flughafen das versprochene passive Schallschutzprogramm noch nicht mal zur Hälfte geschafft hat. Und beim Thema Triebwerksprobeläufe im Freien macht ein dubioses Gutachten von sich reden.

Ein halbes Dutzend Anträge hat die Fluglärmkommission auf dem Tisch, die heute wieder in ihrem halbjährigen Turnus tagt. Es steht ja nur als Option in ihrem Statut, dass sie sich „bei Bedarf“ auch öfter treffen könnte. Aber das scheint nicht im Interesse der Mitglieder. Der halbjährige Turnus hilft ja dabei, Probleme immer wieder aufs Neue zu verschieben und zu vertagen. Auch dann, wenn sie ungelöst sind und dringend nach einem Lösungsvorschlag verlangen.

Und während die Anträge der Kommunen und Bürgerinitiativen in den Beratungsschleifen feststecken und einfach nicht zu einer Verbesserung der Lage umgesetzt werden, geht es andererseits recht flott, dass ein Antrag des Flughafens zur Entscheidung auf dem Tisch dieser mehrheitlich von Flughafenseite besetzten Kommission liegt. Man will – obwohl es seit 2011 eindeutig untersagt ist – doch wieder vermehrt Triebwerksprobleläufe außerhalb der dafür errichteten Halle durchführen.

Das Gutachten, das dabei zitiert wird, findet Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiativen „Gegen die neue Flugroute“ / „Gegen Flug- und Bodenlärm“ sehr suspekt:

„Der Flughafen Leipzig-Halle beabsichtigt wieder einmal, die von der Genehmigungsbehörde im Planfeststellungsbeschluss zur Betreibung des Flughafens auferlegten Regelungen zu ändern, oder sollte man zutreffender sagen, auszuhebeln. Praktischerweise wird ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten gleich mitgeliefert. Beachtenswert dabei, mit welcher Unverfrorenheit dabei Tatsachen verfälscht bzw. Sachverhalte vereinnahmt werden“, kommentiert er den Vorgang.

Und hat gleich ein Bündel Fragen im Vorfeld der heutigen Kommissionssitzung. „Wie kann es sein, dass sich im Gutachten auf Statistiken ab 2008 berufen wird, die Parlamentariern des sächsischen Landtages zum gleichen Sachverhalt nicht zugänglich gemacht wurden? (siehe hierzu Anfrage des Landtagsabgeordneten Günther). Die ab 1. Juli 2011 durchschnittliche Anzahl von einem nächtlichen Triebwerksprobelauf pro Monat ist das Ergebnis einer Anzeige der Bürgerinitiative Gegen die neue Flugroute. Bereits damals hatte der Flughafen angekündigt, eine Klarstellung der Regelung zu erwirken.“

Aber auf welcher Basis arbeitet das Gutachten eigentlich? Zimmermann: „Die Ergebnisbetrachtung des Gutachtens beruht auf einer DLR- (Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt) Studie von 2004, wonach die ‚theoretische‘ Zumutbarkeit von Fluglärm betrachtet wird, ‚geglättet‘ mittels Durchschnittswerten. Zwischenzeitlich hat sich die Welt allerdings weiter gedreht. Zweckmäßig für den Flughafen zudem, dass die Studie auf Werte bis zu 0,4 kommt. Bis dahin wird auf Null abgerundet, das sogenannte Schutzziel ist eingehalten.“

Besonders bedenklich findet Zimmermann, dass mit so einem Gutachten jetzt etwas hergestellt werden soll, was es an anderen Flughäfen schon lange nicht mehr gibt: „Es sei außerdem festgehalten, dass nächtliche Triebwerksprobeläufe außerhalb der Halle bisher an keinem deutschen Flughafen erlaubt sind.“

Und am 26. Februar musste Flughafenchef Dierk Näther auf einem durch die Bürgerinitiative Gegenlärm Schkeuditz veranstalteten Forum zugeben, dass der Flughafen sein Versprechen, das passive Schallschutzprogramm bis 2013 abzuwickeln, nicht gehalten hat. Nur 45 Prozent aller Anträge wurden bislang bearbeitet.

Für Lutz Weickert aus Böhlitz-Ehrenberg ein „Offenbarungseid“, der „die ganze Skrupellosigkeit der Verantwortlichen aus Wirtschaft und Politik in Bezug auf den Schutz vor nächtlichen Fluglärm“ verdeutliche. „Während die Nachtflugerlaubnis wie an keinem anderen Flughafen Deutschlands ohne Einschränkungen genutzt, unterstützt und weiter ausgeweitet (Stichwort: Nächtliche Triebwerksprobeläufe) wird, sind über 50 % der Antragssteller trotz bis 2012 erfolgter fristgemäßer Antragstellung ohne Lärmschutz.“

Er hat sich dann einfach mal die Jahresberichte des Flughafens vorgenommen und alle Aussagen zum Schallschutzprogramm verglichen. Augenscheinlich hat man von Anfang an das Ausmaß der nötigen Maßnahmen unterschätzt. Wohl auch, weil man wohl Vergleichszahlen von anderen Flughäfen zugrunde gelegt hat, die keine Nachtflugerlaubnis besitzen. Doch gerade nachts brauchen Betroffene besonderen Schallschutz, was auch die hohe Zahl von Anträgen erklärt.

2006 hatte es der Flughafen tatsächlich geschafft, das Schallschutzprogramm für die Start- und Landebahn Nord zu beenden. Die liegt in weniger dicht besiedelter Schneise, die Kosten waren am Ende mit insgesamt 16,5 Millionen Euro für 1.300 Wohnhäuser, 10 Kitas und Schulen beziffert.

Die Flugzeuge, die auf der stadtnäheren Startbahn Süd niedergehen oder abheben, überfliegen ein deutlich dichter besiedeltes Gebiet. Doch hier haben sich die Planer augenscheinlich völlig verschätzt: Das Schallschutzprogramm für SLB Süd umfasst 211 km² mit 8.000 Wohneinheiten und ist 2005 angelaufen. Bis Dezember 2007 waren hier schon 5,2 Millionen Euro aufgewendet worden. Damals schätzten die Betreiber noch, bis zum Jahre 2012 Kosten von rund 21 Millionen Euro zu bekommen.

Bis zum prognostizierten Jahr 2012 hatte man für die Start- und Landebahn Süd dann 93 Millionen Euro für Schallschutz aufgewendet, davon 40 Millionen Euro „für Grunderwerb Absiedlung/ Lärmschutz“. Für die Folgejahre wurden da noch 17 Millionen Euro „für Absiedlung“ erwartet. Der Aufwand für den Schallschutz im Siedlungsgebiet hatte sich also mehr als verdoppelt.

2013 ging man in den Schätzungen sogar noch herunter, bezifferte die Aufwendungen für den schon umgesetzten passiven Schallschutz auf 36,2 Millionen Euro, die Erwartungen für die Folgejahre aber nur noch auf 9,3 Millionen Euro. Das sah also ganz so aus, als hätte man das Thema im Griff und nur noch einen kleinen Teil der Anträge abzuarbeiten.

Verständlich, dass die Bürger-Teilnehmer des Forums am 26. Februar in Schkeuditz aus allen Wolken fielen, als Dierk Näther erklärte, dass von 7.100 Anträgen zum 31. Dezember erst 44,9 Prozent komplett abgearbeitet waren.

Da zweifelt nicht nur Lutz Weickert, ob die jüngsten Prognosen überhaupt noch etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben: „Für 3.190 bisher abgearbeiteten Anträgen wurden 36,2 Millionen Euro ausgegeben. Für die restlichen 3.910 Antragsteller stehen noch 9,3 Millionen zur Verfügung!?“

Das sieht dann wohl eher so aus, dass aus den 2007 noch kalkulierten 26 Millionen Euro am Ende eher 70 bis 80 Millionen Euro werden. Und noch ist nicht klar, bis wann der Flughafen das Programm, das eigentlich 2013 beendet werden sollte, nun tatsächlich wird abschließen können.

Die Grünen-Anfrage zu nächtlichen Triebwerksprobeläufen als PDF zum Download.

Die Pressemitteilung der BI „Gegen die neue Flugroute“ von 2011 zur Einstellung der nächtlichen Triebwerksprobeläufe als PDF zum Download.

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