2018 startete Großpösna einen groß angelegten Beteiligungsprozess, um gemeinsam mit der Bürgerschaft die Zukunft der Magdeborner Halbinsel am Störmthaler See zu klären, zu gestalten, Visionen oder Leitlinien dafür zu entwickeln. Egal, wie man es nennt, es ist ein Prozess, der nicht einfach ist. Denn auch die Bewohner Großpösnas haben viele verschiedene Wünsche für das, was auf der Halbinsel entstehen soll. 2019 gab es deshalb auch noch eine Bürgerumfrage.

An der beteiligten sich von 4.688 Großpösnaern über 14 Jahre immerhin 1.026 Personen (21,9 Prozent). Über die Hälfte von ihnen (63,0 %) wählten dabei die Möglichkeit, den Fragebogen online auszufüllen, der andere Teil nutzte den schriftlichen Papierfragebogen.Und da sie auch gefragt wurden, in welchem Ortsteil der Gemeinde sie wohnen, konnte auch ermittelt werden, dass die Zusammensetzung der Teilnehmer ungefähr auch der Bürgerschaft Großpösnas entsprach: „Der mit Abstand größte Teil der Befragten (ca. 66 %) gab an in Großpösna zu wohnen, was in etwa auch dem tatsächlichen Anteil in der Grundgesamtheit entspricht. Fast genau 7 Prozent gaben Güldengossa und nicht ganz 10 Prozent Dreiskau-Muckern als ihren Wohnort an, auch diese Werte weichen nur geringfügig von den tatsächlichen Anteilen ab“, heißt es in der Auswertung der Bürgerumfrage, die im Juli 2020 öffentlich gemacht wurde.

Was den Ärger, über den wir hier berichteten, nicht verhinderte. Denn ein Aspekt wurde in der Bürgerumfrage nur indirekt abgefragt: die mögliche Ansiedlung des Helmholtz Zentrums „Centre for Climate Action and Innovation – Research & Engineering“ (CLAIRE), zu der es im Frühjahr schon ein Bekenntnis des Gemeinderats gegeben hatte.

Waren die Ergebnisse der Umfrage damit obsolet?

Nicht ganz, auch wenn damit eine Vorfestlegung getroffen war, die einen Teil der Umfrageergebnisse deutlich unterlief. Denn die Gemeinde hatte durchaus danach gefragt, ob sich die Großpösnaer auf der Halbinsel einen „Modernen Wissenschafts- und Bildungsstandort(Campus)“ vorstellen können.

Doch in der Rangliste der möglichen Vorhaben, die in der Gemeinde einen gewissen Zuspruch erhielten, rangierte der Wissenschaftscampus im hinteren Mittelfeld: 53 Prozent der Umfrageteilnehmer konnten sich so einen Campus auf der Halbinsel gar nicht vorstellen, nur 19 Prozent befürworteten so ein Projekt.

Womit die Idee eines Wissenschaftscampus ähnlich unbeliebt war wie die Entwicklung eines neuen Ortsteils Gruna (51 Prozent Ablehnung), einer Großsportanlage, z. B. Surfpark (Ablehnung 53 Prozent) oder der Bau eines „Großkunstwerks als touristisches Ziel, bspw. Kelpies in Schottland“ (Ablehnung 57 Prozent). Noch unbeliebter wäre nur eine „in sich geschlossene Ferienanlage, bspw. CenterParcs“ (Ablehnung 75 Prozent).

Wie die Großpösnaer zu den Vorschlägen der Gemeinde stehen. Grafik: Bürgerbefragung zur Zukunft der Magdeborner Halbinsel
Wie die Großpösnaer zu den Vorschlägen der Gemeinde stehen. Grafik: Bürgerbefragung zur Zukunft der Magdeborner Halbinsel

Schon diese Auflistung, die man in der Auswertung der Umfrage finden kann, deutet an, dass die Großpösnaer vor allem eines nicht wollten: dass die Halbinsel für ihre eigene Erholung nicht mehr zugänglich wäre.

Aber noch wichtiger war ein anderer Aspekt, wie die Autoren der Auswertung feststellten: „Insgesamt ergibt sich bei der Rückschau auf Kapitel vier ein stimmiges Gesamtbild. Die Großpösnaer haben eine klare Vorstellung davon, was sie sich für ihre Halbinsel wünschen und was nicht. Folgerichtig erscheint, dass es nun gilt die Wünsche nach Naturerhalt, leichtem touristischen Ausbau und der gleichzeitig hohen Nachfrage nach verschiedensten Möglichkeiten zur aktiven Freizeitgestaltung mit den Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde im Rahmen eines Beteiligungsprozesses, ganz im Sinne der Befragten – schrittweise – unter einen Hut zu bringen. Große Einzelprojekte stellen in Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse offensichtlich keine relevante Option dar.“

Und das Forschungszentrum wäre genau das: ein großes Einzelprojekt, das rund 15 Prozent der Fläche in Anspruch nehmen würde.

Es ist eigentlich ganz ähnlich wie bei den Umfragen zur Charta Neuseenland 2030, in der sehr deutlich wurde, dass die Bewohner des Neuseenlandes allesamt wenig Verständnis für (touristische) Großprojekte an „ihren“ Seen haben und sich eher lauter Angebote für die naturnahe Erholung am Wasser wünschen. Da unterscheidet sich das Stimmungsbild in Großpösna kaum.

Auch wenn erstaunlicherweise rund 58 Prozent der Befragten eine „Beibehaltung als Freifläche für (Groß-)Veranstaltungen wie Highfield-Festival etc.“ als passend empfinden. Was schon verblüfft. Augenscheinlich haben sich die Großpösnaer mit diesem doch recht lauten und nicht ganz abfallfreien Festival irgendwie arrangiert, das freilich nur für ein paar Tage im Sommer die Halbinsel zum Schauplatz hat.

Knapp dahinter folgt schon der Wunsch „Schrittweise touristische Entwicklung: Ferienhäuser, Spielplatz, Tourismus & Sport, Strand, Parkplätze“ mit 56 Prozent Zustimmung, gefolgt von „,Ruhiger‘ Erlebnispark ohne große und laute Fahrgeschäfte (bspw. Karls-Erdbeerhof)“ mit 47 Prozent Zustimmung.

Alle anderen Vorschläge der Gemeinde fanden keine wirkliche Zustimmung.

Was die Autoren der Auswertung zu dem Schluss brachte: „Mit Blick auf die weitere Entwicklung der Magdeborner Halbinsel weisen die Befragungsergebnisse in der Bürgerschaft auf verschiedenste Ideen, Wünsche und Bedürfnisse hin, die vom Erhalt des jetzigen Zustandes der Insel ohne weitere touristische Entwicklung (Re-Naturierung), über einen sanften schrittweisen naturnahen Tourismus bis hin zur vollen touristischen Erschließung reichen. Wobei klar ersichtlich ist, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung einen naturnahen sanften Weg des Tourismus präferiert. Dabei steht stets der Wunsch nach Ruhe, Natur und Erholung im Mittelpunkt der persönlichen Agenda für die Halbinsel.“

Wobei sich ja an der Auswahl dieser Vorschläge ein Streit in der Lenkungsgruppe entfachte. Denn die möglichen Visionen waren im Fragebogen vorgegeben. Ist das wirklich wissenschaftlich gedacht? Oder hat die Gemeinde hier die Bürger schon freundlich in eine bestimmte Richtung gestupst, weil eigentlich keiner der Vorschläge wirklich eine naturnahe Gestaltung impliziert, auch nicht der „,ruhige‘ Erlebnispark“ oder die „schrittweise touristische Erschließung“.

Was die Frage 4 im Fragebogen eigentlich sehr spannend macht, weil hier die Befragten selber eintragen konnten, welches „touristische Angebot“ sie sich auf der Halbinsel im Jahr 2035 vorstellen. Wo dann eben auch das auftauchte, was im Ankreuzschema nicht zu finden ist. Der Bericht zitiert einige sehr typische Antworten:

„Der Störmthaler See ist soo beliebt, weil er so ist, wie er ist! Hypermoderne Bebauungen wie KAP Zwenkau oder Markkleeberger Seepromenade sind störend. Gemütliche und naturnahe Einrichtungen (Gastronomie, Badestrand, Camping- u. Spielplätze etc.) sollten dem Störmthaler See als naturnahen, familienfreundlichen See gegenüber anderen, durchgestylten Seen ein Alleinstellungsmerkmal verleihen. Unser See könnte viel gewinnen, wenn gerade hier nicht alles wie an den anderen Seen entsteht.“

„Ich wünsche mir keine touristischen Angebote. Die meisten Seen um Leipzig sind bereits touristisch erschlossen. Die Parkgebühren sind unverschämt und das natürliche Aussehen durch geteerte Wege verschandelt. Es wäre Zeit, einen See der Natur zu überlassen und den Menschen die Möglichkeit zu geben Ruhe und Frieden zu finden ohne touristische Angebote, die nur diejenigen bereichern, denen diese Angebote gehören.“

„Gar KEIN touristisches Angebot! Der See und die Umgebung drum herum soll Natur bleiben. Die große Pflanzen- und Tier Vielfalt soll erhalten bleiben. Gegen Wälder und naturbelassene Parks gibt es nix einzuwenden.“

Und die Autoren des Berichts merken dazu an: „Kein Tourismus steht für eine Entwicklung, die darauf abzielt, den Status quo zu erhalten oder gar anstrebt, die bestehende touristische Infrastruktur zurückzubauen. Oft geht dieser Ansatz auch mit Überlegungen einher, die Natur (Flora und Fauna) sich, ähnlich wie in einem Naturschutzgebiet bzw. Nationalpark (Hainich, Harz), möglichst selbst zu überlassen. Antworten in dieser Kategorie begannen oft mit und enthielten oft das Schlüsselwort ,keine‘, teilweise wurde auch nur dieses Wort als Antwort auf die Frage angegeben.“

Wortwolke: Was sich die Großpösnaer auf der Magdeborner Halbinsel vorstellen können. Grafik: Bürgerbefragung zur Zukunft der Magdeborner Halbinsel
Wortwolke: Was sich die Großpösnaer auf der Magdeborner Halbinsel vorstellen können. Grafik: Bürgerbefragung zur Zukunft der Magdeborner Halbinsel

In Frage 3 haben dann viele ihre Visionen aufgeschrieben, die sich oft sehr deutlich von einer touristischen Erschließung unterscheiden – auch wenn sie sich natürlich Infrastrukturen wie Radwege oder kleine Gaststätten wünschen, aber oft eben auch deutlich mehr Freiraum für natürliche Entwicklungen. Die häufigsten Nennungen haben die Autoren des Berichts in eine computergenerierte Wortwolke gepackt. Und die häufigsten Nennungen in dieser Rubrik waren: Natur (174), Tourismus (110), Gastronomie (86), Ruhe (85), Erholung (78).

Und auch zur Frage 4 (touristische Entwicklung) gab es so eine Wortwolke. Hier waren die am häufigsten genannten Begriffe: Gastronomie (75), Status quo (72), Naturerhalt (59), Sanfter Tourismus (53), Wassersportangebote (53).

Das heißt: Die eigenen Vorschläge derjenigen Umfrageteilnehmer, die die Felder 3 und 4 im Fragebogen ausfüllten, unterscheiden sich spürbar von den ankreuzbaren Vorschlägen der Gemeinde, denn sie führen Aspekte wie Naturerhalt, sanften Tourismus, Ruhe und Erholung ein, die eigentlich auch einer deutlich sensibleren und der Natur mehr Raum einräumenden Entwicklung der Halbinsel das Wort reden.

Gut möglich, dass das auch zum Ärger in der Lenkungsgruppe beitrug, auch wenn eine Grafik im Bericht recht deutlich macht, was sich die Großpösnaer eigentlich wünschen. Und da steht mit 59 Prozent eine „sanfte Entwicklung“ der Halbinsel an erster Stelle, gefolgt von „keine Entwicklung“ mit 20 Prozent (was wohl darauf zielt, der Halbinsel eine naturnahe Entwicklung zu ermöglichen). Nur 12 Prozent der Umfrageteilnehmer bevorzugen eine „harte Entwicklung“.

Eigentlich ein sehr klares Stimmungsbild, bei dem die Kompromisssuche eigentlich zwischen den Ideen für eine „sanfte Entwicklung“ und den Wünschen nach „gar keiner Entwicklung“ stattfinden müsste, wenn die Gemeinde der Stimmung in der Bürgerschaft wirklich folgen will.

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