Seit den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt steht eine durchaus berechtigte Frage im Raum: Wer hat die AfD eigentlich zur 24-Prozent-Partei aufgeblasen? Und warum sind SPD und Linke so abgesoffen? Eine Frage, die sich vielleicht nicht so einfach beantworten lässt, wie es die ostdeutschen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und aus dem Abgeordnetenhaus Berlin jetzt in einem gemeinsamen Positionspapier getan haben.

Am Montagabend und am Dienstag, 11. und 12. April, trafen sie sich in Erfurt zum diesjährigen Ostfraktionstreffen, wo sie dann auch ein Papier „Dem Rechtspopulismus der AfD entgegentreten – Mit Klarheit und Mut für eine solidarische Gesellschaft“ beschlossen.

„Wir Grünen in ostdeutschen Ländern müssen uns verstärkt damit auseinandersetzen, wie die Rhetorik von Abschottung, Ausgrenzung, Entsolidarisierung, der sozialen Kälte Früchte trägt. Und damit, wie die AfD die Ängste in der Bevölkerung gezielt auf Geflüchtete, Migrantinnen oder auf Muslime lenkt. Wir werden dieser nationalstaatlichen und völkischen Ideologie unsere Vorstellungen einer liberalen, offenen Gesellschaft entgegensetzen“, sagte dazu Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag. „Wir werden weiter entlarven, dass die AfD Konflikte befeuern will und nicht an Lösungen interessiert ist. Wir werden entlarven, wie sie sich als Stimme des Volkes und als Opfer des Establishments – etwa der angeblichen ‚Lügenpresse‘ und der ‚Altparteien‘ – inszeniert.“

Was natürlich stimmt. Die AfD steht für eine ziemlich fatale Entwicklung in der deutschen Politik.

Und nicht nur die Grünen haben beobachten können, wie die Behauptungen, Übertreibungen und Skandalisierungen dieser Partei in den letzten zwei Jahren die politische Diskussion in Deutschland zunehmend bestimmt haben.

„Wir überlassen der AfD im politischen Diskurs nicht das Feld, lassen uns aber die politische Agenda nicht von der Partei diktieren. Wir führen Diskussion dort, wo wir es für nötig erachten. Das bedeutet auch, nicht über jedes Stöckchen zu springen und nicht auf jeden Unsinn zu reagieren“, sagt Zschocke. „Das beinhaltet ein klares Ja zu demokratischer Debatte und Widerspruch zu rassistischen oder sexistischen Äußerungen. Wir werden zeigen, dass die programmatischen Positionen der AfD nicht mehrheitsfähig sind.“

Womit er zumindest andeutet, warum SPD und Linke so blass wirken. Zumindest im Diskurs der Linken merkt man so langsam, dass einige Leute dort munter geworden sind und begriffen haben, dass man mit einigen populistischen Tönen den ganz Rechtsaußen regelrecht die Bühne bereitet.

Recht hat Zschocke, wenn er feststellt, dass die eigentliche Gegenposition zum nationalistischen Gedöns der AfD fast verstummt ist. Was auch damit zu tun hat, dass reihenweise Politiker lieber mit den Hardlinern der AfD über deren Themen diskutierten, als die eigentlichen Positionen zum Thema zu machen oder solche erst einmal auszuformulieren. Eigentlich haben Linke, SPD und Grüne diese Positionen.

Und dazu gehört natürlich auch die Position, die ein Europa ohne Grenzen und mit der Fähigkeit zur Integration als eigentliche Zukunftsoption sieht.

Während die AfD ja eindeutig für ein Europa der abgeschotteten Staaten und Gesellschaften steht. Die AfD sei eindeutig ein „Gegenpol zu unseren Vorstellungen von Pluralismus, Europa und einer vielfältigen Gesellschaft und zeichnet ein Bild eines vermeintlich homogenen Volkskörpers“, sagt Zschocke. „Es gilt, die Auseinandersetzung mit den rückständigen Vorstellungen ihrer Familien- und Gesellschaftspolitik, zur Energiewende und zu Europa zu suchen, indem wir unsere demokratischen, sozial-gerechten und ökologische Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit geben.“

Und dann geht er auf die Punkte ein, die durch das aktuelle Lamento, in dem fast alle Beteiligten nur noch das Lied der AfD zu singen scheinen, völlig aus der Diskussion verschwunden zu sein scheinen, obwohl es die eigentlich brennenden Themen sind: Es geht um die Bekämpfung von Armut, um Verteilungsgerechtigkeit, gegen das Ausspielen von bedürftigen Gruppen.

„Die weitere Umsetzung der Energiewende, gegen die Absicherung des Kohle- und Atomgeschäfts der großen Energiekonzerne zu Lasten der Allgemeinheit“, sagt Zschocke. „Das Einstehen für ein offenes, vielfältiges Europa mit starken demokratischen Institutionen. Und das Anstreben einer solidarischen Gesellschaft, in der verschiedene Menschen ohne Angst verschieden leben können.“

Wobei er damit eigentlich den Punkt berührt, wo das Projekt Europa tatsächlich in der Krise steckt: Wir haben kein „Europa mit starken demokratischen Institutionen“. Wir haben ein sturmreif geschossenes Europa, in dem Partikularinteressen regieren und Wirtschaftsinteressen mehr Gewicht haben als die berechtigten Sorgen der Bürger. Die Verhandlungen um TTIP sind dafür nur ein Symbol.

Und ganz ähnlich ist es in Berlin. Und das ist Ergebnis eines sehr langen Prozesses, in dem Politiker, die die Marktkonformität zum absoluten Mantra ihres Handelns gemacht haben, die Gewichte deutlich verschoben haben. Der Wahlspruch „Alle Macht geht vom Volke aus“ stimmt schon lange nicht mehr. Das Unbehagen ist bei den Bürgern, die heute AfD wählen, genauso präsent wie bei den Linken. Viele Gesetze sind längst so gestrickt, dass nicht mehr der Wille der demokratisch gewählten Volksvertreter die oberste Priorität hat, sondern der „Investorenschutz“. Und immer mehr verantwortliche Politiker verhalten sich auch genauso: als Investorenschützer, nicht als Volksvertreter.

Auch deshalb wird nicht mehr über sinnvolle und nachhaltige Lösungen für die Probleme der Gegenwart diskutiert, sondern darüber, wie groß die politischen Spielräume noch sind, ohne die „Investoren“ zu verschrecken.

Regelrecht vorgeführt wurde diese Tatsache ja am Beispiel Griechenland.

Und da wundern sich sogar linke Politiker, dass die Völker immer öfter populistische Rabauken vom rechten Rand wählen?

Es geht nicht mehr nur darum, demokratische Positionen verbal zu vertreten – es geht tatsächlich darum, die Demokratie wieder zu stärken und zu reparieren und dafür zu sorgen, dass demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente überhaupt wieder handlungsfähig werden. Von unseren finanziell ausgebluteten Kommunen ganz zu schweigen. Die AfD ist eigentlich nur ein Symptom für einen desolaten Zustand der empfundenen Machtlosigkeit.

Und das ist logischerweise fatal für ein Land, das sich noch als demokratisch begreifen will.

Das Positionspapier der Grünen „Dem Rechtspopulismus der AfD entgegentreten – Mit Klarheit und Mut für eine solidarische Gesellschaft“.

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Im stillen Kämmerlein ticken so manche Berufspolitiker nicht anders als die AfD, trauen sich aber nicht, offen so zu reden. Seehofer mal ausgenommen. Die AfD wird also von etablierten Politikern benutzt um die unschönen “Wahrheiten” und Forderungen auszusprechen. Und schwups sind die Themen in der Diskussion und schwups wird ganz eilig drüber beraten und Gesetze erlassen, die die Fordeungen der AfD fast identisch umsetzen. An der Geschwindigkeit der Änderungen des AsylBlG sieht man das sehr deutlich.

Für die etablierten Parteien ist es endlich an der Zeit interne Grabenkämpfe und Nabelschau zu beenden, denn sonst hat die AfD noch mehr Zulauf

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