Carsten Hütter ist ehemaliger Bundeswehrsoldat, Dresdner Autohausbesitzer und hat den Sächsischen Landtag für die AfD schon mit einigen seltsamen Anfragen wie die nach angeblichen Dresdner Vergewaltigungen im (Moskauer) Maxim-Gorki-Park erfreut. Nun hat der Landtagsabgeordnete eine zwei Jahre alte Anfrage des Leipziger CDU-Abgeordneten Ronald Pohle wieder vorgeholt, aber wohl nicht wirklich verstanden, was darin stand. Oder er hat es bewusst ein bisschen verdreht, sodass Außenstehende meinen könnten, die Staatsanwalt hätte vielleicht ein Ermittlungsverfahren gegen die L-IZ einleiten können.

Das klang in der Einführung in seinem Fragepaket, das er im Oktober an die Staatsregierung richtete, nämlich so: „Im Zusammenhang mit den Krawallen im Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 hatte die Leipziger Internet Zeitung (L-IZ) am 08.08.2016 mitgeteilt, dass den Redaktionen der L-IZ.de und der Leipziger Zeitung die Namen der 215 Tatverdächtigen vorliegen. Am 11.08.2016 fand sich dieser Artikel auf der Web-Seite linksunten.indymedia.org. Die Staatsregierung teilte unter der Drs.-Nr.6/8265 mit, dass diesbezüglich von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen ‚fehlender belastbarer Erkenntnisse‘ abgesehen wurde.“

Was schlicht falsch ist. Die beiden Veröffentlichungen waren eine einzige, weil das damals noch stärker als heute anonym betriebene Portal indymedia von der L-IZ abgekupfert, also die Texte zwei Tage später via Copy/Paste gestohlen hatte. Doch die Inhalte selbst waren für die Staatsanwaltschaft richtigerweise kein Grund, über irgendwelche Ermittlungen nachzudenken. Deswegen musste sie auch von keinen Ermittlungen absehen, was Justizminister Sebastian Gemkow 2017 so auch Ronald Pohle erklärt hatte.

Der Passus lautete damals nämlich: „Nach der Veröffentlichung der 215 Namen im Rahmen der Plakatierung im Stadtgebiet Leipzig am 30. Dezember 2016 wurden durch das Operative Abwehrzentrum der Polizeidirektion Leipzig umgehend entsprechende Ermittlungen eingeleitet. Aufgrund fehlender belastbarer Erkenntnisse hinsichtlich der Veröffentlichung am 11. August 2016 wurde in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen.“ Damit war schon damals der indymedia-Beitrag gemeint, welcher erst einmal nur das wiedergab, was die L-IZ.de schrieb.

Und dass die Presse auch an nicht-öffentliche Informationen kommt, ist die grundgesetzliche Normalität und nun einmal kein Fall für Staatsanwaltschaften. Und wenn doch, haben vor allem seriöse Medien und Journalisten das Recht, auch vor Gericht keine Quellenangaben machen zu müssen, da im Falle eines Falles auch eben jene Organe des Staates betroffen sein könnten, zu denen eine Redaktion gerade recherchiert.

Anders kann der Fall liegen, wenn durch Veröffentlichungen jemand geschädigt oder in seinen Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt wird. Das war aber erst 2016 der Fall, als jemand die ganzen Namen auf Plakate druckte und im Leipziger Süden an die Wände klebte.

Was natürlich die eigentliche Frage aufmacht, ob die Quellen der L-IZ.de hier einen Schritt gemeinsam mit anderen und unabhängig von den Artikeln unserer Zeitung unternahmen (in welchen eben keine Klarnamen genannt wurden), eine namentliche Nennung der rund 215 inflagranti gefassten Rechtsextremen des Überfalls auf die Wolfgang-Heinze-Straße mittels Plakaten vorzunehmen.

Aber warum das Wissen von Medien über die Namen von Tatbeteiligten schlicht kein Grund ist, Ermittlungsverfahren gegen Medien aufzunehmen, das erläutert jetzt Innenminister Dr. Roland Wöller dem AfD-Abgeordneten noch einmal ganz genau. Denn auch aus Sicht der Staatsregierung zwang erst das öffentliche Plakatieren die Staatsanwaltschaft zum Einschreiten.

Was Hütter freilich erst im zweiten Passus seiner Frage-Einleitung erwähnt: „Ende Dezember 2016 tauchten im Leipziger Süden mehrere Plakate der sog. ‚Antifa‘ auf, auf denen die Namen der von der Polizei erkennungsdienstlich behandelten Beteiligten veröffentlicht wurde. Am 11.09.2019 teilte die Leipziger Volkszeitung unter Hinweis auf die Staatsanwaltschaft mit, dass bis heute ungeklärt sei, ,woher die brisanten Infos aus dem Ermittlungsverfahren stammten‘, kein Tatverdächtiger ermittelt und das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde.“

Hütters erste Frage war dann durchaus seltsam, nämlich so: „Welche ,fehlenden belastbaren Erkenntnisse‘ führten zu der Entscheidung, nach der Mitteilung der L-IZ vom 08.08.2016 bzw. dem indymedia-Artikel vom 11.08.2016 auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu verzichten?“

Was Hütter da falsch verstanden oder einfach verdreht hatte, erklärt ihm Roland Wöller so: „Im Hinblick auf die ersten Veröffentlichungen im August 2016 wurden keine Ermittlungen veranlasst, weil zu diesem Zeitpunkt noch keine Erkenntnisse vorlagen, die die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gerechtfertigt hätten. In den o. g. Veröffentlichungen wurde lediglich die Behauptung aufgestellt, im Besitz einer ,Liste‘ zu sein, ohne dass dies zunächst durch entsprechende weitere Aussagen und Beiträge bestätigt wurde. Konkrete Anhaltspunkte für den tatsächlichen Besitz der Daten ergaben sich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht.“

Erst die Plakatierungen wurden zum Ermittlungsgegenstand. Und dazu wollte Hütter gern wissen: „Wegen welcher Straftatbestände wurde nach der Veröffentlichung der Namen der von der Polizei erkennungsdienstlich behandelten Personen auf Plakaten im Leipziger Süden ermittelt?“

Eine Frage, die gleich mehrere Antworten nach sich zieht, denn die so öffentlich Angeprangerten haben auch gleich reihenweise Anzeige erstattet, wie Wöller berichtet: „Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat nach Kenntniserlangung und Vorlage der polizeilichen Erkenntnisse ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der üblen Nachrede sowie des Verstoßes gegen das Sächsische Datenschutzgesetz eingeleitet. Insgesamt wurden durch 50 betroffene Personen im Zusammenhang mit der Plakataktion Strafanzeigen unter anderem wegen falscher Verdächtigung, Verleumdung und Bedrohung erstattet. Sämtliche Strafanzeigen wurden in dem durch die Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungsverfahren zusammengefasst. Nach Veröffentlichung der Namen und weiterer persönlicher Daten einschließlich Bildern der 215 Beschuldigten am 6. Februar 2017 auf der Internetseite ,https://ie1101.noblogs.org/post/tag/Ieipzig‘ wurde durch die Staatsanwaltschaft Leipzig von Amts wegen ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Tatvorwurfs der Verletzung des Dienstgeheimnisses eingeleitet.“

Hütter hatte da aber so einen Verdacht. Hätte es sein können, dass sich jemand unberechtigten Zugang zu den Gerichtsakten verschafft haben könnte? Hütter: „Wann wurde wie vielen Personen – im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die 215 Tatverdächtigen und den Ermittlungen gemäß Frage 2 – Akteneinsicht gewährt?“

Aber die Antwort von Wöller ist logischerweise knapp: „Soweit die unter Frage 2 dargestellten Ermittlungsverfahren betroffen sind, wurde kein Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht gestellt.“

Auch wenn dann ein ganzer langer Erklärungstext erläutert, warum eine Durchforstung aller Akten nach den Einsicht nehmenden Personen völlig unverhältnismäßig wäre: „Ob in einem Ermittlungs- bzw. Strafverfahren Akteneinsicht gewährt wurde, wird in den Datenbanken der Staatsanwaltschaften nicht erfasst. Eine Beantwortung der Teilfrage wäre daher nur dann möglich, wenn sämtliche Verfahrensakten zu dem Verfahrenskomplex ,Connewitz 11. Januar 2016‘ einer händischen Auswertung unterzogen werden würden. Allein durch die Staatsanwaltschaft Leipzig wurden zum Verfahrenskomplex ,Connewitz 11. Januar 2016‘ 103 Anklagen gegen 202 Beschuldigte erhoben.“

Bekanntlich ziehen sich die meisten Verhandlungen gegen die Tatbeteiligten bis heute hin. Eine tiefere Strukturermittlung gegen die Vorbereiter des Überfalls auf Connewitz im Umfeld einer Legida-Demonstration unterblieb. Was das allein über die Behörden des Freistaates aussagt, interessierte Hütter in dieser Anfrage nicht. Dafür hatte er eine vierte Frage dazu, warum die Namen von über 200 vor Ort erwischten Tätern plakatiert wurden: „In welchem Zeitraum und durch welche konkrete Stelle wurden die Ermittlungen gemäß Frage 2 geführt?“

Wöller: „Das vormalige Operative Abwehrzentrum (OAZ) bei der Polizeidirektion Leipzig hat im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der 215 Namen am 30. Dezember 2016 auf Plakaten in Leipzig-Connewitz nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Leipzig noch am gleichen Tag Ermittlungen gegen Unbekannt aufgenommen. Die Unterlagen wurden der Staatsanwaltschaft Leipzig erstmals am 17. Januar 2017 vorgelegt. Nach Abschluss der Ermittlungen wurde das Verfahren mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 6. November 2017 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt, da ein Täter nicht ermittelt werden konnte.“

Wie kamen die verflixten Reporter an die Namen der 215 Tatverdächtigen von Connewitz?

Wie kamen die verflixten Reporter an die Namen der 215 Tatverdächtigen von Connewitz?

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