Das Wundern muss aufhören. Das fand auch die Leipziger SPD-Fraktion und stellte im Oktober vergangenen Jahres den Antrag zur Aufstellung eines „Sofortprogramms Radverkehr“. Denn auch die heftigen Diskussionen im ersten Lockdown zeigten, dass Leipzigs Verkehrsplaner beim Ausbau des Radnetzes um Jahre der Entwicklung hinterherhinkten. Und der 2020 fällige neue Radverkehrsentwicklungsplan liegt ebenfalls nicht vor.

Die Kritik daran im Antrag der SPD-Fraktion war deutlich: „Viele der aufgeführten Maßnahmen sind relativ schnell und preisgünstig zu realisieren, haben auf den Radverkehr in Leipzig positive Auswirkungen. Wenn mehr Menschen vom Auto auf das Rad umsteigen, bedeutet dies auch, dass die, die auf das Auto angewiesen sind, weiterhin in unserer Stadt vorankommen. Umfragen im Rahmen des Bypad-Verfahrens haben allerdings gezeigt, dass die Zufriedenheit mit den Radverkehrsanlagen in der Stadt Leipzig gesunken ist.“„Es liegt deshalb nahe, dass die Aktivitäten des Dezernates Stadtentwicklung und Bau in den letzten Jahren nicht passgenau gewesen sind. Viele der Maßnahmen, die in der Liste enthalten sind, sind bereits Bestandteil des Radverkehrsentwicklungsplans und des Hauptnetzes Rad und damit bereits seit längerem Beschlusslage im Stadtrat. Andere benannte Themen wurden bereits vor der Sommerpause durch die Leipziger SPD nach Hinweisen aus den Stadtbezirken zusammengetragen über die Fraktion an das Dezernat Stadtentwicklung und Bau übermittelt.“

Beschlusslage heißt in diesem Fall: die Beschlusslage zum Radverkehrsentwicklungsplan von 2012, deren Umsetzung der ADFC Leipzig im Frühjahr 2020 einmal unter die Lupe genommen hat mit dem eindeutigen Ergebnis, dass daraus gerade einmal ein Viertel der Maßnahmen umgesetzt wurde.

Und viele der damals vereinbarten Maßnahmen hatte die SPD-Fraktion nun in ihren Vorschlag für ein Sofortprogramm geschrieben.

In ihrer Stellungnahme aus dem Dezember kündigte die Verwaltung an, dass sie für die beiden Jahre 2021/2022 tatsächlich ein Sofortprogramm plante für insgesamt 8,6 Millionen Euro.

Anfang 2021 stellte sie es tatsächlich öffentlich vor. So gesehen ein deutlicher Erfolg für den Antrag der SPD-Fraktion. Im Verwaltungsstandpunkt formulierte das Verkehrs- und Tiefbauamt dazu: „Die Verwaltung hat bereits ein Aktionsprogramm Radverkehr für die kommenden beiden Jahre in Arbeit und legt dem Stadtrat dazu eine Vorlage vor. Maßnahmen der mit dem Antrag vorgelegten Liste sollen zu einem Teil im Rahmen eines Aktionsprogramms umgesetzt werden. Der Inhalt des in Abstimmung befindlichen Aktionsprogramms beruht auf Einschätzungen des Fachamtes, welche Maßnahmen in den Jahren 2021–2022 realistisch umsetzbar sind. Maßnahmen darüber hinaus sind mit den aktuellen Ressourcen nicht abgedeckt oder benötigen längere Planungsvorläufe.“

Was zumindest auch ein Eingeständnis dafür ist, dass man „längere Planungsvorläufe“ nicht hat, dass also viele der Maßnahmen, die 2012 beschlossen worden waren, bis heute nicht mit Planungen untersetzt sind.

Fotoshooting zur Beschilderung der Beethovenstraße als Fahrradstraße. Foto: Ralf Julke
Fotoshooting zur Beschilderung der Beethovenstraße als Fahrradstraße. Foto: Ralf Julke

Und auch ein weiteres Thema fiel in der Leipziger Verkehrsplanung sieben Jahre lang einfach unter den Tisch, obwohl die Verkehrsplaner 2012 kurzfristige Prüfergebnisse versprochen hatten – es betrifft die Fahrradstraßen in Leipzig. Ein Thema, in das erst 2019 wieder Bewegung kam, nachdem das Jugendparlament einen entsprechenden Antrag eingereicht hatte.

„Die Einrichtung von Fahrradzonen soll grundsätzlich diskutiert werden, die Umsetzung muss jedoch gut vorbereitet sein“, meinte nun das Verkehrsdezernat.

„Neben den straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen sind bauliche Maßnahmen erforderlich, um dem Ziel von Fahrradzonen gerecht zu werden. Ein Pilotprojekt kann bei der Auslastung der personellen Ressourcen im Fachamt mit radverkehrlichen Aufgaben jedoch erst in Erwägung gezogen werden, wenn entsprechende Mehrbedarfe zur Verfügung stehen. Dies kann jedoch aufgrund der derzeit coronabedingt besonders erforderlichen gesamtstädtischen Prioritätensetzung bei der Personalplanung der Dezernate erst mit der Diskussion zum Haushalt 2023ff in Betracht gezogen werden.“

Wieder so eine schön verräterische Stelle, die zeigt, warum da sieben Jahre lang fast nichts passiert ist: Genauso wie bei der ÖPNV-Planung hat man auch in der Radverkehrsplanung einfach die nötigen Planerstellen nicht besetzt. Und als man darangehen wollte, gab es auf einmal (coronabedingt) wieder einen Einstellungsstopp in der Verwaltung, den es offiziell gar nicht gegeben haben soll.

Aber so ganz gibt sich die SPD-Fraktion mit der Auskunft nicht zufrieden. Sie hat den eigenen Antrag noch einmal überarbeitet. Unter anderem mit der Forderung, all die vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen, die das Verkehrsdezernat in sein Sofortprogramm für 2021/2022 nicht übernommen hat, fest in die beiden Folgejahre 2023/2024 einzutakten. „Ein Maßnahmenpaket für 2023/24 mit den im Antrag benannten Maßnahmen wird Bestandteil des fortzuschreibenden Radverkehrsentwicklungsplans sein.“

Und eine jährliche Berichterstattung beantragt die SPD-Fraktion ebenfalls, nachdem auch hier acht Jahre lang Funkstille herrschte: „Der erste Umsetzungsbericht wird spätestens im 4. Quartal 2021 vorgelegt und enthält auch eine fundierte fachliche Beurteilung der im Antrag benannten Maßnahmen.“

Und eine Aufforderung zum kurzfristigen Handeln steckt auch drin: „Sollten sich durch Förderprogramme des Bundes bzw. des Landes neue Finanzierungsmöglichkeiten ergeben, wird das Volumen entsprechend aufgestockt.“

Und weil sich jetzt schon andeutet, dass sich der eigentlich für 2020 versprochene Radverkehrsentwicklungsplan mindestens bis ins Jahr 2023 verschiebt, beantragt die SPD-Fraktion ebenfalls entsprechend kurzfristige Maßnahmen auch in den Jahren ab 2023: „Sollte sich die Fortschreibung des Radverkehrsentwicklungsplans analog dem Nahverkehrsplan zeitlich verzögern, wird das Aktionsprogramm verlängert und die im Antrag benannten Maßnahmen werden prioritär behandelt.“

Und die SPD-Fraktion dürfte nicht die einzige Fraktion sein, die mit diesem amtlich organisierten Vertrödeln der letzten Jahre keine Geduld mehr hat. Die Verwaltung täte gut daran, die Planerstellen im Verkehrsdezernat endlich zu besetzen und den Leipziger Radfahrer/-innen zu zeigen, dass man nicht nur Auto kann, sondern auch Fahrrad. Was einen an ein kleines, lehrreiches Interview zur Verkehrsplanung in Wien erinnert, das die „Zeit“ just am 13. Februar veröffentlichte: „Städte sind für die Bedürfnisse von Männern geplant, sagt die Stadtplanerin Eva Kail.

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Es gibt 3 Kommentare

Dass die Stadt von autofahrenden weißen Männern der Mittelschicht verwaltet und regiert wird, ist – denke ich – nicht nur mir klar. :-/
Klientelpolitik.

Danke für den Link auf das tolle Interview mit Frau Kail (Wien). Hieraus ein Zitat: “Vor dreißig Jahren gab es den Sager `Planer sind autofahrende, weiße Männer der Mittelschicht.'”
Stimmt, denn Leipzig ist in Sachen Verkehrspolitik wirklich stets pünktlich 30 Jahre hinterher. 1991 gab es im gebrauchten Westen nämlich auch schon einige Jahre Radwege und so etwas wie ein Bewusstsein für vielfältige Mobilität. Das ging damals gerade verstärkt los.

Es scheint, als ob der Leipziger OBM und seine Stadtverwaltung sich stets nach dem Kalender einer fiktiven Großstadt von (jetzt:) 1991 richteten.

Das beobachte ich schon seit mehreren Jahren. Immer so ca. 30 Jahre Abstand.

Ich denke, der “Osten” will mal aufholen? Oder sitzen an den Entscheiderstellen immer “Wessis”, die “drüben” wegen zu hohen Benzingehalts im Blut nicht mehr genommen wurden? Oder was läuft hier eigentlich? Mal im Ernst.

Verbesserungen und Ausbau beim Radverkehr, ein ewiges Thema in Leipzig – mit Vorschlägen, Konzepten, Studien, Entwicklungsplänen, es wird vom zuständigen Amt, dem vta, alles Erdenkliche getan zur Hinhaltetaktik, um ja keinen Eingriff in die geliebte (Kfz) Verkehrsplanung vornehmen zu müssen.
In den vergangenen Konzepten war mal die Rede den Radverkehr von 17%igen Anteil am Verkehrsaufkommen auf über 20% zu bringen. Das ginge nun mal nur mit baulichen Verbesserungen, Veränderungen, Attraktivität.
In dem Amt sind anscheinend Bearbeiter/innen am Werk, die mit der autogerechten Stadtplanung älter geworden sind. Es fehlen die neuen Leute, die andere Ideen und Erfahrungen mit einbringen. Und die haben keine Chance, da die Stadtverwaltung keine ausreichenden zusätzlichen Stellen schafft. Das ist leider nicht nur beim Radverkehr so, auch zur Bewältigung des Klimanotstandes fehlen in der Verwaltung die Ideen, die Mittel, die Mitarbeiter, anscheinend der Wille, an oberer Stelle angefangen …

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