Keiner beherrscht das Spiel mit der Skurrilität des menschlichen Daseins so perfekt wie Wolfgang Krause Zwieback, der sich in seinen Publikationen mittlerweile zu Ray Zwie Back gewandelt hat. Aber an seiner durch und durch poetischen Haltung zur Welt hat sich nichts geändert. Mit H.-Christoph Bigalke hat er jetzt einen durch und durch poetisch-skurrilen Fotoband gemacht.

Die Fotos sind von Bigalke, ganz im vertrauten Stil. Die beiden haben schon öfter zusammengearbeitet und haben wohl denselben Sinn für das leicht Schräge, Irritierende, den Moment, an dem ein scheinbar einfaches Situationsfoto kippt und zeigt, wie seltsam sich der Mensch ausnimmt in seinen eigenen technischen Kulissen. Erst recht, wenn dieser inszenierte Mensch ein gewisser Herr Zwieback ist, mal im legeren Manager-Outfit, mal im berühmten silbernen Anzug, mit dem er sich an tristeste Orte begibt.

Von Ray Zwie Back sind die Gedichte, denn um das handelt es sich ganz eindeutig, typische Gedichte, die seine Handschrift und auch seinen Sinn fürs immerwährende Staunen, Verwirrt- und Verblüfftsein verraten. Und wenn man weiß, dass er das alles auch in seinen Shows mit einem unerschütterlichen Ernst vorträgt, ahnt man, was für einen ermunternden Zeitgenossen die Leipziger da haben.

Verstörend darf man das auch nennen. Denn gerade weil er so gern spaziert, wandelt und sich selbst als geradezu Außer-Irdischen in die Landschaften platziert, macht er auf sanfte, freundliche Art deutlich, wie erleichternd es ist, sich als Mensch hienieden nicht so wichtig zu nehmen. Erst recht nicht die Rollen, in denen wir alle stecken und so tun, als wären wir was. Irgendwas anderes, was wir gern wären. Aber nicht, weil wir es gern sein wollten, sondern weil wir glauben, dass andere das erwarten könnten von uns.

Das Ergebnis: Ein genormtes Irgendwassein.

Aus dem Krause-Zwieback seit Jahren konsequent und ernsthaft aussteigt, wenn er Kunst macht. Obwohl es kein Aussteigen ist, sondern ein Erden, ein Suchen nach dem, was in ihm selbst murmelt und wispert und alleweil versucht zu verstehen, was ihm gerade passiert, was ist und wie man es nennen könnte.

Einige andere Zeitgenossen kennen das bestimmt auch. Im letzten Gedichtband – „Leben in der Blauen Stunde“ – hat er es ja ziemlich plastisch erzählt, wie er sich die Freiheit nimmt, aus dem Rasen und Lärmen der anderen auszusteigen, sich als Flaneur und Beobachter und Vor-sich-hin-Denker wieder einen eigenen Blick auf alles zu erobern. Und eigene Gedanken. Solche mit vielen …………….. darin, was all jene, denen es auch noch manchmal gelingt, selber nach- und beiseitezudenken, nur zu gut kennen. Die …. stehen ja für das Schweifen.

Und wer nicht mal mehr weiß, was es eigentlich mal bedeutete, seine Gedanken schweifen und abschweifen zu lassen, der lese Ray Zwie Back.

Es sind nicht wirklich viele Gedichte, die er in dieses formidable Buch gestreut hat. Die Fotos, in denen er mit Bigalke zusammen das Umherschweifen in durchaus befremdlichen Räumen inszeniert, sind eigentlich das Grundgerüst. Fotos, die auch mal ganz ohne den Helden auskommen und dafür einfach Orte aus unserer von seltsamen Landschaftsarchitekten gestalteten Welt zeigen, die vor Einsamkeit glühen. Wahrscheinlich lernen die meisten Architekten das so. Sie können nicht anders. Sie bauen Orte, an denen sich der dort gelandete Irdische nur noch sagt: Aber nix wie weg hier!

Die beiden Künstler freilich haben sich gesagt: Nun gerade da hin. Da machen wir ein paar richtig verrückte Fotos, solche, in denen Zwie Back seltsame Dinge tut, so wie der Grenzstreifenmonteur, der „völlig überraschend (…) zu Mast 17 gerufen“ wurde. Der Text ist Bilderläuterung, Abschweif und Gedicht zugleich.

Wahrscheinlich kann der sportliche Poet gar nicht mehr anders, als Welt dichtend und verdichtend zu beschreiben. Als ewig wartender Passagier steht er auf leeren Bahnsteigen, in Tunneln, jagt über Flugfelder, versucht Hubschrauber zu fangen und kryptische Verkehrszeichen zu lesen.

Der Bildband würde auch ohne Text funktionieren, denn hier erkunden zwei eine betörend unsinnige Welt. Die die unsere ist. Oder vielmehr das, was entsteht, wenn monströse Architekturen unsere Landschaften fressen, selbst dann unendlich leer und groß, wenn es nur Provinzflughäfen, Braunkohletagebaue oder alte Grenzstreifen sind. Alles Zeugnisse für ein politisches Denken der betongewordenen Okkupation von Raum. Spielwiese von Leuten, die nur noch in Kilotonnen denken können, aber jegliches Maß für den vielleicht doch noch anwesenden Menschen verloren haben.

Man denkt so beiläufig an den Buchtitel „Der Mensch erscheint im Holozän“ von Max Frisch, jenem Holozän, das einige Geologen auch schon mal in Anthropozän umbenennen möchten, weil der Mensch die Erdoberfläche so stark verändert, wie das vorher nur geologische Zeitalter hinbekommen haben. Und das leider oft nicht zum Besseren. Das Ergebnis sind genau solche von Planern hingeklotzten Landschaften, in denen nichts mehr wächst und keiner lebt, riesige Nutzobjekte einer Indienststellung des Raumes, in der der auftauchende Mensch wie ein Fremdkörper wirkt. Und sich selbst fremd fühlt. Genau das, was die beiden Künstler in den Bildern bewusst in Szene setzen. Hier würde kein Faust seinen blöden Spruch vom „Hier bin ich Mensch …“ sagen.

Im Gegenteil. Und das, was schon im Buch-Untertitel „Sintflutprotokoll“ anklingt, wird sichtbar. Denn solche leeren, leblosen Räume werden immer mehr. Immer mehr lebendige Landschaft wird in etwas verwandelt, worin auch der Mensch sich nicht mehr heimisch fühlen kann. Das Ergebnis ist: zunehmende Vereinzelung, Vereinsamung, Wurzellosigkeit.

Und das fasst Ray Zwie Back am kompaktesten in das Gedicht „es ist doch ganz einfach …“

Auch eines mit vielen …… Aber es endet in einer verwirrenden Erkenntnis über die Menschen, die alle denken, sie wären einzigartig: „ … aber sie verhalten sich nicht so …. / glauben nicht an wunder .. die sie / tagtäglich und in der nacht erleben … / wundern sich nicht … sind respektlos … / haltlos im unglauben. stürzen sich dann gern / auf einfache .. radikale ideen.“

Es lohnt sich, die Gedichte laut zu sprechen. Dann merkt man, wie die Gedanken sich formen. Und dann stutzt man, weil dieser Weltenwandler dann auf einmal etwas ganz einfach sagt, was einem in dieser Einfachheit noch gar nicht auffiel: Ja, radikale Ideen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ganz einfach sind. Dutzendware. Billiger Talmi für Leute, die sich keine Zeit und keinen Raum mehr zum Denken nehmen, die nicht mehr hinschauen und sich nicht mehr wundern.

Das passt mit diesen betongewordenen Landschaften zusammen, die im Buch auch konfrontiert werden mit den skurrilen Zeichnungen Ray Zwie Backs. Der Käufer des Buches bekommt also einen dicken Foto-Gedicht-Zeichnungsband, in dem alles miteinander verwoben ist und miteinander wispert und denkt. Wohldurchdacht, denn für die wichtigsten Fotostrecken haben Zwie Back und Bigalke ja extra ein richtiges Flughafen-Shooting organisiert.

Es ist ein Bildband geworden, den man am besten nicht da hinstellt, wo die opulenten Kunstbildbände sonst so stehen, die man in der Regel nur wieder hervorholt, wenn der Künstler gerade mal wieder 500 Jahre alt wird, sondern vorn hin, zu den Büchern, die man immer wieder zur Hand nimmt, abends, nach einem verstörenden Tag, wenn man das Gefühl hat, dass man sich jetzt gedanklich irgendwie wieder in Ordnung bringen sollte. Denn die menschliche Ordnung sind nicht diese verplanten Wüsten aus Beton. Ehe das die Planer begreifen, kommt wahrscheinlich wirklich die Sintflut. Die menschliche Ordnung steckt in den vielen stutzenden, abschweifenden und aufmunternden Pünktchen in Zwie Backs Texten. Denn in denen steckt das Staunen und Wundern – auch über die Fähigkeit, beim Spazieren auf neue und erstaunliche Erkenntnisse und Einsichten zu kommen.

Aber dafür braucht man eine Stille im Kopf, die man nur findet, wenn man all den technischen Krempel zu Hause lässt und auf zwei Beinen losgeht, um frische Luft und stille Momente zu finden. Draußen irgendwo.

Ray Zwieback, H.-Christoph Bigalke Durch die Wand ins eig’ne Land, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2019, 30 Euro.

Die poetischen Klein-Briefe eines aufmerksamen Stadt-Spaziergängers an eine Unbekannte

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