Es ist vielleicht kein guter Zeitpunkt, diesen Krimi ausgerechnet jetzt zu besprechen, wo viele Leute wieder früh aufstehen und zur Arbeit müssen. Noch vor wenigen Tagen hätte man sich guten Gewissens in diesen sechsten Kriminalroman des Dresdner Autors Andreas M. Sturm mit seinem unverwechselbaren Ermittlerinnenduo Wolf und König stürzen können, einfach riskierend, dass man ihn vor dem ersten Hahnenschrei nicht würde aus der Hand legen können.

Was nicht nur an den beiden attraktiven Ermittlerinnen Karin Wolf und Sandra König liegt, die sich bei der Kripo Dresden gesucht und gefunden haben, ihre Partnerschaft aber verbergen müssen, was ihnen denkbar schlecht gelingt. Auch weil sie natürlich umeinander bangen, wenn es für die eine oder andere lebensgefährlich wird. Und das wird es praktisch in jedem der nun sechs Krimis, die Andreas M. Sturm nun geschrieben hat. Denn die beiden sind nicht nur das Führungsduo in der härtesten Abteilung der Dresdner Kriminalpolizei, sie bekommen auch die schlimmsten Fälle auf den Tisch.

Was natürlich auch ein wenig am Autor liegt, der ein gewisses Faible hat für die ganz finsteren Seiten im Menschen – und damit auch für die wirklichen Psychopathen unter den Tätern, die nicht mal nur in einer Situation des Kontrollverlusts jemanden zu Tode bringen, sondern kühl kalkuliert agieren und dabei auch die Ermittlungen der Polizei mitbedenken. Mag sein, dass solche Typen in Dresden nicht herumlaufen und die Stadt an der Elbe doch eher nicht so gefährlich ist.

Aber Sturms Krimis wären nicht so stimmig, wenn er sein Ermittlerteam nicht auch die Atmosphäre dieser Stadt erspüren ließe, der er diesmal schon eine deutliche Veränderung attestiert. Auch Dresden ist kälter und hartherziger geworden, seit die besorgten Bürger die Stimmung anheizen und das Misstrauen säen. Und gleichzeitig treiben schamlose Glücksritter ihr Unwesen wie der aalglatte Rechtsanwalt, mit dessen gewalttätigem Tod dieser Fall beginnt.

Ein Tod, der die Ermittler/-innen in Karin Wolfs Team erst einmal in ganz eigene Abgründe führt und in eine Welt der gesetzlichen Finsternis, in der mit der gerichtlich verhängten Vormundschaft über demente alte Menschen Hallodri getrieben wird – oder besser: Raub und Diebstahl, gegen den sich juristisch unbewanderte Menschen kaum wehren können.

Das Gesetz steht nicht immer auf der Seite der Schwachen. Dass der Ermordete auch noch ein paar andere Abgründe hatte, beschäftigt die Ermittler/-innen ziemlich lange. Nur hat Andreas M. Sturm ein Kunstmittel ausgefeilt, mit dem er die Spannung hochhält: Er blendet hin und her zwischen all seinen Figuren, schaut Wolf und König über die Schulter, wie sie ein wichtiges Puzzle-Stück nach dem anderen finden und trotzdem zu spät kommen, um die nächsten zwei Morde zu verhindern.

Aber auch dem Täter hat er quasi eine Kamera auf den Kopf gesetzt und begleitet ihn an die Tatorte, während er in dessen Kopf die ganze Rechtfertigungslitanei ablaufen lässt, mit der eiskalte Mörder ihre Taten rechtfertigen.

Wobei wir mit dem einstigen Kumpel des Mörders noch so einen raffinierten Gauner kennenlernen, der noch dazu eine ziemlich abgedunkelte Vorgeschichte in den Finsternissen der Vor„wende“zeit hat. Eine Geschichte, die jenen Bereich zumindest streift, in dem sich die blutigen Einzeltäter kaum noch von jenen Tätern in Uniform unterscheiden, die ihre Hartherzigkeit damit entschuldigen, dass sie ja nur einen Auftrag erfüllen oder eine Mission.

Es sind nicht nur kaputte Eltern, die mit ihrer Gefühllosigkeit den Kindern gegenüber kleine, seelisch versehrte Monster hervorbringen. Es sind auch Staatsapparate und Ideologien, die das Brutalste in ihren Anhängern befördern und entfesseln. Und das ist nicht die Mordgier, sondern der eiskalte Dünkel der Macht.

Wenn Menschen andere Menschen nicht mehr als gleichwertig ansehen, beginnt unübersehbar die Kälte und das Misstrauen die Gesellschaft und die Stadt zu ergreifen. Menschen helfen einander nicht mehr, achten nicht mehr aufeinander. Und wenn ihnen dann Polizei und Justiz auch immer schlechter Schutz gegen all diejenigen gewährleisten, die die Gesetzeslücken und Feigheiten der Politik schamlos ausnutzen, dann wird es auch für die Polizist/-innen gefährlich. In diesem Fall mal wieder für Karin Wolf selbst, die am Rande der Ermittlungen beinah Opfer einer Vergewaltigung wird und es danach auch noch mit einem von seiner Genialität überzeugten Internettroll zu tun bekommt.

Nur darf es in so einem Krimi auch einmal ein bisschen anders sein als in der Wirklichkeit: Wenn man die beiden schlimmsten Ganoven, die am Ende ihre Strafe bekommen, dazuzählt, schaffen es Karin Wolf und ihre Kolleg/-innen in diesem Band tatsächlich, fünf dieser eingebildeten Würstchen zur Strecke zu bringen. Und das Wort „eingebildet“ entfleuchte mir nicht zufällig, denn diese mit Arroganz gepaarte Verachtung begegnet uns ja heute auch in immer mehr Bereichen, in der Schnöseligkeit von Politikern, die mit ihrer Verachtung für Arme und Schwache nicht hinter dem Berg halten, in der Aalglattheit von „Unternehmern“, die aus der Zerstörung von anderen Existenzen Profit schlagen, aber auch in der Niedermachmentalität ganzer Netzwerke, in denen zumeist Männer die kleine, unheimliche Macht ausleben, andere Menschen mit Hass und Beleidigung zukübeln zu dürfen.

Auch das thematisiert Sturm so ganz beiläufig. Sein von Blutrausch besessener Täter agiert in keiner Kulissenstadt. Auch wenn er anfangs selbst für dieses eingespielte Ermittlerteam fast nicht greifbar wird, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich eingestehen, dass sie es mit einem Serienkiller zu tun haben, dem seine Morde auch noch Befriedigung verschaffen.

Der Druck auf die Ermittler/-innen ist also enorm. Und er wird nicht kleiner, als sie merken, dass es der Täter dann auch noch auf eine von ihnen abgesehen hat. Und der Leser weiß es, ist ja als Augenzeuge überall dabei – auch bei den letzten friedlichen Handlungen derer, die dann wenig später in ihrem Blut liegen.

Fast im Seitentakt wechseln die Kapitel und damit die Kameraeinstellungen, ist der Mörder schon längst wieder bei der Vorbereitung seines nächsten Angriffs, während die Polizei noch akribisch den neuen Tatort untersucht und so einige aus Wolfs Mannschaft beginnen, auf eigene Faust loszuziehen, ganz nach dem Vorbild ihrer Vorgesetzten.

Hier wird nicht in zähen Sitzungen über die Ausweglosigkeit der Ermittlungen lamentiert. Wer eine Idee hat, setzt sie um – tut aber gut daran, der Chefin wenigstens eine SMS zu schicken. Denn die Brutalität des Täters nehmen sie alle irgendwie nicht so ernst. Und das wird nicht nur für eine aus dem Team brandgefährlich.

Und da Karin Wolf und ihre Kolleg/-innen selbst dann einfach aufstehen und weitermachen, wenn unsereins erst einmal seine Beulen und wunden Knochen auskurieren würde, gibt es im ganzen Buch keine Chance, es einfach mal vorm Lichtausschalten aus der Hand zu legen und dann einen ganzen Tag die Ungewissheit auszuhalten, wie denn nun die gerade gelesene brenzlige Situation wirklich ausgegangen ist.

Aber es gibt ja auch noch Wochenenden, an denen man sich die Wohltat gönnen kann, mit Wolf und König ein paar schlimme Verbrecher zur Strecke zu bringen, auch wenn es am Ende denkbar knapp wird. So knapp, dass nur noch ein nasses Handtuch, Haarspray und ein gut gezieltes Stück Seife helfen. So hygienisch wurde wirklich noch kein Mörder zur Strecke gebracht.

Und da garantiert der Hahn kräht (oder die Müllabfuhr rumpelt) wenn man an dieser Stelle angelangt ist, gibt das jede Menge Schwung für einen Alltag in einer Welt, in der ein Haufen Leute so tun, als wäre es toll, wie ein abgebrühter Ganove daherzukommen und mit erhobener Nase auf all die „Gutmenschen“ herabzuschauen, die sich immer so mühen, diese Welt wieder ein bisschen freundlicher zu machen.

So wie die kleine Truppe um Karin Wolf und Sandra König, die auch deshalb funktioniert, weil alle von Fall zu Fall mehr darüber erfahren, woran die anderen alles zu tragen haben, wo ihre Stärken und Schwächen sind. Das ist dann ein bisschen etwas anderes als der stets so gern beschworene Korpsgeist der Polizei, der nicht wirklich von Empathie und Lernfähigkeit erzählt. Und Empathie ist erstaunlicherweise die große Stärke in Wolfs Team, denn Empathie ist ein sehr guter Kompass, die warmherzigen Menschen von den eiskalten Egomanen zu unterscheiden. Das ist ein ganz guter Kompass auch in der realen Welt da draußen vorm Fenster.

Andreas M. Sturm Blutrausch, Edition Krimi, Hamburg 2020, 13 Euro.

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