Mehrere ostdeutsche Landschaften hat der Buchverlag für die Frau schon in dieser kleinen quadratischen Reihe vorgestellt, mit ihrer unverwechselbaren Küche, die stets sehr viel mit Geschichte und Reichtum der Region zu tun hat. Mit diesem Band geht die Reise erstmals ins Nachbarland, dessen Küche fast so berühmt ist wie das Bier.

Böhmische Küche – vielen nicht unbekannt

Und auch vertraut. Jedenfalls für alle, die die Küche in Thüringen und im Erzgebirge schon kennen. Denn natürlich teilen diese Regionen auch eine Menge gemeinsamer Geschichte. Besonders markant in der Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří, die seit 2019 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und wo man eine jahrhundertealte gemeinsame Geschichte des Erzbergbaus erleben und erfahren kann. Und damit auch gleich die hier heimische Küche, die mit ihrem Fleischreichtum und der Vielfalt der Knödel an die Küchen nordwärts des Gebirgskamms erinnert.

Etliches davon hat Regina Röhner in den Kapiteln „Fleischgerichte und warme Soßen“ und „Knödel, Beilagen und Salate“ gesammelt. Eins dieser Gerichte – Schweinebraten mit Knödeln und Kraut – gilt als „böhmisches Nationalgericht“, schreibt Röhner und verweist dabei auf die Kochbuchautorin Gabriela Triwaldowá, die das Gericht 1885 gar nicht erst in ihr Kochbuch aufnahm, „weil es so allgemein ist, dass es nicht notwendig ist darüber zu schreiben“.

Viel Fleisch und jede Menge Knödel

Das kann auch schiefgehen. Dann nämlich, wenn sich auch die Küchenkultur verändert – ob nun durch andere Lebensstile bedingt, das Verschwinden großer Familienfeiern oder auch, weil sich die Essgewohnheiten der Menschen verändern.

Denn es trifft ja auch für Böhmen zu, was auch für die erzgebirgische Küche gilt: Die reichhaltige und fleischreiche Speisekarte stammt aus Zeiten, in denen die Menschen noch körperlich schwere Arbeit zu leisten hatten, egal, ob als Bauern und Bäuerinnen, als Bergleute oder Waldarbeiter. Nationalgerichte erzählen meist viel weniger von National-, als von Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

Und damit letztlich von dem, was den Menschen tatsächlich als Zutaten zur Verfügung stand, als sich die regionale Küche herausbildete. Und glücklich können sich alle kulinarischen Forscher schätzen, wenn kluge Frauen frühzeitig daran gegangen sind, die Rezepte ihrer Heimat zu sammeln und als Kochbuch herauszugeben.

In Böhmen war das Magdaléna Rettigová, die 1826 das Standardwerk der böhmischen / tschechischen Küche herausgab: „Domácí kucharka“, von deren Rezepten sich Regina Röhner ebenfalls inspirieren ließ. Und natürlich zeigt das Buch auch mit Bildern und kleinen Geschichten, wie eng verbunden die Küche mit Land und Leuten ist.

Wer ins Land von Rübezahl, Pan Tau, Speibl und Hurvinek fährt, der lässt die großen Verlockungen einfach nicht links liegen, der besucht Schwejk, Hasek und Kafka in Prag, der fährt auf Schloss Dux, um den Ort zu besichtigen, wo Casanova seine letzten Lebensjahre verbrachte, und der lässt auch die berühmten Bäder nicht aus, wo man auf Goethes Spuren und denen seiner letzten Liebe wandeln kann, was uns ja immerhin die stimmungsvolle Marienbader Elegie beschert hat.

Nach dem Krieg um sechs …

So nebenbei erfährt man zumindest, dass Goethe etwas für geräucherte Zungen übrig hatte. Ob er auch Karlsbader Kolatschen oder Quarkknödel mit Erdbeeren verputzt hat, verrät die Autorin freilich nicht. Ist ja auch kein Goethe-Rezepte-Buch, auch wenn sich Goethe natürlich in dieser Landschaft mit ihren Menschen und der guten Küche so wohlfühlte, dass er immer wieder kam.

So wie echte Schwejk-Fans jedes Jahr nach Prag fahren, um in einer der vielen Schwejk-Kneipen oder gleich im „U Kalicha“ dieses antiheldischsten aller literarischen Helden zu gedenken, der sich in den Krieg verabschiedete mit den legendären Worten: „… nach dem Krieg um halb sechs im Kelch.”

Oder etwas genauer: „Wenn der Krieg zu Ende ist, treffen wir uns um sechs, dauert er etwas länger, um halb sieben.“

So stehen normale Leute wie unsereins zum Krieg.

Dass dieses Buch auch im Jahr 2022 seine volle Brisanz entfalten könnte, wäre ja noch vor wenigen Monaten nicht denkbar gewesen. Denn eigentlich schienen die Dinosaurier eines Zeitalters, als mit Kriegen Machtpolitik ausgetragen wurde, endgültig ausgestorben. Aber sie sind wie Untote und machen auch den braven Soldaten Schwejk immer wieder aktuell.

Liwanzen, Knoblauchsuppe und „Knödle“

Und vielleicht ist man ihm oder seinem Schöpfer Jaroslaw Hasek schon recht nah, wenn man sich sauer eingelegte Wurst servieren lässt, eine Knoblauchsuppe oder ein Käseschnitzel. Es braucht oft gar nicht viel, um sich des Lebens zu freuen und sich beim Schmaus wieder zu vergewissern, dass die Ambitionen der Großen in dieser Welt alle ziemlich Wurst und Käse sind und jeder mit Tschingderassa einposaunte Krieg eine Farce ist. Genauso wie die Heldengeschichten, die sich die Großen dann von ihren Bücklingen schreiben lassen.

Was dann dicke Wälzer ergibt, in denen dann die Schwejks und die anderen in Uniform Befohlenen in der Regel nicht vorkommen. Außer als Zahl Totgeschossener.

Worum geht’s denn im Leben? Doch eigentlich immer um Liebe, Geselligkeit und eine gute Mahlzeit. Mehr wollen die Meisten gar nicht und sind froh, wenn sie keine Uniform anziehen müssen. Dafür einen Teller herrliche Liwanzen bestellen dürfen beim Wirt oder gebackene „Knödle“ nach Anton Günther, der ja auch gleich noch ein Gedicht darüber geschrieben hat.

Haben Sie schon mal probiert, einen Band Heldengedichte zu lesen? Und dann einen Band Gedichte über Schmaus und Trank?

Dann wissen Sie, was das für Unterschiede sind. Und warum die Sachsen und Tschechen lieber ihre Dichter ehren und die Feldherren in der Regel schnellstens vergessen. Außer diese geraten zufällig in die Dichtung, wie der General Wallenstein, der in Prag und Cheb lebte und durch Schiller in die Literatur fand. Aber dieser Wallenstein spielt in Regina Röhners Buch natürlich keine Rolle. Es sind andere Leute, die wegen Wallenstein ins Böhmische fahren, als die, die es wegen Schwejk und Kafka tun.

Buchteln, Quark- und Pflaumenkuchen

Am Ende wird natürlich auch dieses Buch lecker und süß, geht es um Buchteln, Quarkkuchen und altböhmischen Pflaumenkuchen. Spätestens da wird man hibbelig und sucht im Fahrplan nach dem nächsten Zug, der einen schleunigst ins Böhmische bringen kann, die Region, die Regina Röhner seit 1990 wie so viele andere ausgiebig erwandert hat. Denn natürlich gehören all diese Leckereien zu einer Landschaft, die man sich am besten zu Fuß erläuft – manchmal mit Gänsehaut im Riesengebirge, manchmal mit Vorfreude auf Burgen und Schlösser und ein Gasthaus, wo es unter Garantie Gulasch, Knödel, Bröselblumenkohl und Böhmische Kartoffelpuffer gibt.

Natürlich kann man das alles auch daheim am eigenen Herd zubereiten. Mit dem kleinen Ratschlag, den Regina Röhner gerade bei den Kartoffelpuffern mitgibt, im Hinterkopf: Für den großen Appetit … die doppelte Menge zubereiten.

Regina Röhner Die besten Rezepte aus Böhmen, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2022, 12,95 Euro.

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