Auf dem Titelfoto sehen sie alle noch jung aus. Auch Wolf Biermann, den die Machthaber in der DDR gerade ausgebürgert hatten. Er hatte einen großen Anteil daran, dass die anderen drei an diesem Tag in Westberlin mit ihm auf dem Foto sein konnten und nicht in einem Gefängnis in der DDR: Gerulf Pannach, Günter Kunert und Jürgen Fuchs. Auch sie in den Westen abgeschoben, nachdem ihnen für ein in Leipzig aufgenommenes Tonband der Prozess gemacht werden sollte.

Doris Liebermann nimmt ihre Leserinnen und Leser mit hinein in diese beiden heftigen Jahre 1976/1977, in denen der kurze Frühling, den Honeckers Machtantritt 1971 in der Kulturszene der DDR ausgelöst hatte, rabiat beendet wurde. Biermanns Ausbürgerung ist ja nur das bekannteste Ereignis in dieser Zeit. Den Leipzigern in Erinnerung ist auch noch das Verbot der damals beliebtesten Rockgruppe in der DDR: „Renft“. Deren Mitglied war ja Cristian Kunert. Gerulf Pannach schrieb Texte für die Band und trat in ihren Programmen mit auf.

Salli Sallmann hat im Lukas Verlag gerade erst die gesammelten Liedtexte von Gerulf Pannach herausgegeben. Hier begegnen sich quasi zwei Bücher, die zueinandergehören.

Von der Stasi überwacht

Was Doris Liebermann hier auf 300 Seiten herausarbeitet, ist deutlich mehr als die Geschichte jenes Tonbands, das Gerulf Pannach, Christian „Kuno“ Kunert und Jürgen Fuchs am 16. und 17. Oktober 1976 in Leipzig aufgenommen haben, beobachtet von etlichen Geheimdienstmitarbeitern, die jeden ihrer Schritte an diesem Tag verfolgten und protokollierten.

Denn dass die drei den Plan hatten, mit einem Tonbandgerät von Wolf Biermann ein ganzes Programm aufzunehmen, das im Westen als Schallplatte veröffentlicht werden konnte, hatte zuvor ein IM verraten. Die Stasi wusste also Bescheid, konnte aber nicht verhindern, dass das Tonband dennoch in den Westen geschmuggelt wurde.

Dass alle drei im Visier der Stasi waren, wussten sie längst. Und dass es für sie als Musiker und Schriftsteller eigentlich keine Zukunft in der DDR gab, auch. Denn gerade Pannach und Kunert hatten in Leipzig ja erlebt, wie die hiesige Konzert- und Gastspieldirektion unter Leitung von Ruth Oelschlegel alles dafür tat, ihre Arbeit als Berufsmusiker zu verhindern. Erst war es nur Pannach, dem seine Spielerlaubnis unter fadenscheinigen Gründen entzogen wurde, dann traf es nach dem Verbot von „Renft“ auch Kunert.

Erstmals erzählt Liebermann, wie eng verquickt auch das Verbot von „Renft“ mit den staatlichen Bemühungen war, Pannach jede Auftrittsmöglichkeit zu verunmöglichen. Denn „Renft“ hatte Pannach auch dann noch eine Bühne gegeben, als ihm die Spielerlaubnis schon entzogen war.

Und da Doris Liebermann dicht entlang an Originaldokumenten erzählt, taucht auch der heutige Leser ein in eine Zeit, in der das öffentliche Sprechen immer vom – meist gar nicht guten – Willen einer Nomenklatura abhing, die im Jahr 1976 noch genauso davon überzeugt war, dass Musik und Literatur zensiert werden müssten, wie im „Kahlschlag“-Jahr 1965.

Wenn die Funktionärinnen und Funktionäre meinten, dass Musiker und Autoren nicht den richtigen „sozialistischen Standpunkt“ vertraten, hatte das nicht nur Auftritts- und Veröffentlichungsverbote zur Folge. Die Gemaßregelten wurden fast automatisch auch zum Beobachtungsobjekte des MfS, um sie herum entstand ein dicht gebautes Spitzelnetz und in dicken Akten sammelte sich Material für Anklagen, die aus selbstbewussten Äußerungen einen Staatsverrat strickten.

Der Mut zu öffentlichen Protest

Spätestens dann, wenn Texte und Aufnahmen in den Westen gelangten, weil in der DDR jede Publikationsmöglichkeit genommen war, wurden aus den gesammelten Stasi-Protokollen Anklagen, die den Überwachten Haftstafen von acht bis zehn Jahren einbringen konnten. Genug Gummiparagraphen bot das DDR-Strafrecht. Und sie wurden gegen Tausende auch willlkürlich angewandt.

Gegen Pannach und Fuchs lief die Maschine schon seit einem eigentlich winzigen Auftritt in Thüringen, dessen Vorgeschichte und Nachwirkungen Doris Liebermann genauso akribisch beschreibt und mit Briefzitaten der Beteiligten genauso illustriert wie mit den offiziösen Schreiben der Funktionäred und den Protokollen der Stasi.

Erst so bekommt die Geschichte ihre Dichte, merkt man, wie an den widerborstigen jungen Künstlern, die sich damals noch keinen berühmten Namen gemacht hatten, Exempel statuiert werden sollten. Dass freilich auch landesweit bekannte Schauspieler und Schriftsteller nicht verschont wurden, wurde spätestens dann klar, als die Mächtigen rigoros auf die Unterschriftenlisten reagierten, die sich gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aussprachen.

Während die namhaften Schauspieler, Autorinnen und Autoren eher mit Auftritts- und Veröffentlichungsverboten rechnen mussten, wurden die weniger bekannten – wie die Jenaer Gruppe, zu der Doris Liebermann gehörte – ebenso verhaftet und mit langen Haftstrafen bedroht wie Pannach, Kunert und Fuchs.

Gegen das Schweigen und Verschwinden

Aber Liebermann erzählt auch die Gleichzeitigkeit der Ereignisse. Denn Geschichte findet nie nur in einem Strang statt. Während die Maschinerie der Zensoren und Überwacher heiß lief und die Beobachtung der „verdächtigen Subjekte“ mit jeder Menge Personal und Material forciert wurde, saßen die Beobachteten ja nicht still, sondern hielten Kontakte zu Gleichgesinnten aufrecht, fuhren etwa auch zu Robert Havemann in Berlin, der sich längst als bekanntester Kritiker des DDR-Regimes profiliert hatte.

Westdeutsche Journalistinnen und Journalisten halfen dabei, Texte und Tonbänder über die Grenze zu bringen und im Westen Veröffentlichungsmöglichkeiten zu finden. Denn so langsam wurde immer klarer, dass der einzig wirkliche Schutz für die in der DDR Inhaftierten war, wenn sie im Westen bekannt wurden und dort Unterstützer fanden. So konnten sie nicht einfach in irgendeinem Zuchthaus der DDR verschwinden.

Und so bekam auch Jürgen Fuchs mit „Gedächtnisprotokolle“ seine erste Veröffentlichung bei Rowohlt. Ein Jahr später sollte er mit „Vernehmungsprotokolle“ auch das Buch schreiben, in dem er detailgenau schilderte, wie es ihm in der MfS-Haft ergangen war, wie er zermürbt und gebrochen werden sollte.

Pannach und Kunert erging es nicht viel anders. Und während sie in zahllosen Verhören gegeneinander ausgespielt werden sollten, liefen auf mehreren westdeutschen Sendern die ersten Ausschnitte aus ihrem in Leipzig aufgenommenen Programm. Was dann zwar zur Strafverschärfung wieder gegen sie verwendet wurde, was aber endgültig dafür sorgte, dass ihre Namen nicht nur im Westen, sondern auch in der DDR bekannt wurden.

Denn nicht nur die Stasi hörte eifrig mit, was der RIAS und Karl Corino in seiner Sendung „Transit“ im Hessischen Rundfunk sendeten. Auch viele DDR-Bürger hörten diese Sendungen mit, wohl wissend, dass die Journalisten im Westen eben vieles wussten, was ostdeutsche Medien nicht wissen bzw. berichten durften. Und sie schnitten auch eifrig mit.

Die Strukturen der Macht

An einer Stelle stellt die Autorin die durchaus berechtigte Frage: Was wäre das eigentlich für eine DDR geworden, die alle diese aufmüpfigen Stimmen zugelassen hätte? Die „Renft“ nicht verboten hätte, Jürgen Fuchs Buchveröffentlichungen ermöglicht und Gerulf Pannach seine eigene Amiga-Scheibe „Dein Weg bleibt dein Weg“ genehmigt hätte?

Eine spannende Frage. Denn in der Rückschau sind sich die meisten Historiker sicher, dass die Ausbürgerung Wolf Biermanns den Anfang vom Ende der DDR markiert. Biermanns Ausbürgerung hatte geradezu eine Welle von Ausreisen bekannter Autoren, Musiker und Schauspieler zur Folge.

Und darunter viele, die sich wie Pannach und Fuchs als echte Sozialisten verstanden und nun merkten, dass die „führenden Genossen“ jeden gewollten Dialog abwürgten und unterbanden. Und zwar mit allen Mitteln. Sodass es die überfällige Diskussion über eine andere DDR nicht gab.

Wobei man in Liebermanns akribischer Aufarbeitung merkt, dass allein schon die Struktur des Machtapparates so eine Diskussion überhaupt nicht zuließ. Vielleicht werden künftige Geschichtsschreibungen die DDR als ein exemplarisches Beispiel dafür anführen, wie sich Machtapparate verselbstständigen, wenn sie keiner Kontrolle unterliegen.

Wie egal die jeweilige Ideologie ist, die von den Tribünen posaunt wird. Denn die gesichtslosen Männer in ihren Ledermänteln und in den Verhörzimmern haben keine Empathie. Und Gerechtigkeit interessiert sie auch nicht. Sie sind nur die willigen Vollstrecker einer Macht, die sich eingemauert hat und jede Kritik an sich als Angriff verstehen will – oder gleich mal als „vom Westen gesteuerte“ Subversion.

Wer das im heutigen Russland als Muster nicht wiedererkennt, muss wirklich Tomaten auf den Augen haben.

Und deshalb liest sich das Buch, obwohl es 45 Jahre zurückliegende Ereignisse schildert, so aufwühlend und gegenwärtig. Denn genau das, was Pannach und Fuchs in ihren Texten beschreiben, ist nicht wirklich aus der Welt verschwunden.

Es steckt noch immer im Denken etlicher Leute, die den 1989 überwundenen Zuständen und Denkweisen nachweinen, die sich nach einer „gelenkten Demokratie“ sehnen, Populisten anhimmeln und nicht verstehen, warum junge Menschen, wie es Pannach, Kunert und Fuchs damals noch waren, sich so aufopfern konnten, nur um über die Dinge, die sie erlebt hatten, offen und ehrlich sprechen zu können.

Den Widerspruch wagen

Von den vieren auf dem Titelfoto leben nur noch Biermann und Kunert. Fuchs und Pannach sind früh gestorben. Beide wurden nicht einmal 50 Jahre alt. Und natürlich droht das Vergessen, je mehr Zeit vergeht. Dann geht auch das Wissen darum verloren, wie die DDR mit all denen umging, die den Widerspruch wagten und sich nicht verbiegen und stumm machen lassen wollten.

Doris Liebermann würdigt dabei auch all jene, die damals den Protest gegen die Inhaftierung von Pannach, Fuchs und Kunert organisierten. Einige kommen im Interview noch persönlich zu Wort.

Die Schallplatte mit den Tonbandaufnahmen, um die es im Zentrum der Ereignisse geht, erschien dann sogar erst, nachdem die drei Gefangenen nach Westberlin abgeschoben worden waren. Gleichsam ein Zeichen des Protestes und des Neuanfangs.

Denn in den nächsten Jahren gingen Pannach und Kunert als Duo auf die Bühnen, wie sie es in ihren letzten Monaten vor der Verhaftung in der DDR eigentlich geplant hatten. Und Jürgen Fuchs veröffentlichte all die Bücher, in denen er sich mit den Machtstrukturen in der DDR beschäftigte und ein regelrechtes Psychogramm der Machthaber schuf. Etwas, was wohl nur ein studierter Psychologe so schreiben konnte.

Bis 1999 verhängte die DDR dann auch noch ein Einreiseverbot über alle drei, das sich ja bekanntlich 1989 in Luft auflöste mitsamt der DDR, die die drei so deutlich kritisiert hatten. Christian Kunert konnte mit „Renft“ ein Revival starten und war noch für viele Jahre Frontsänger der Band. Der frühe Tod von Fuchs und Pannach ging dann beinahe unter, weil die Menschen im Osten Ende der 1990er Jahre ganz andere Sorgen hatten.

Im Grunde die letzten Sätze in ihrem Buch überlässt Doris Liebermann Kennzeichen-D-Moderator Hanns Werner Schwarze, der sich am 1. November 1977 so verabschiedete: „Schade. Wenn diese jungen Leute Konzerte als offizielle Vertreter der DDR-Kulturszene bei uns geben könnten, sie hätten manches westliche Zerrbild über diesen zweiten deutschen Staat infrage gestellt. Wer sie stattdessen verbietet, einsperrt und abschiebt, der darf sich nicht darüber wundern, dass er bei solchem Verhalten so aussieht, wie viele ihn hier sehen.“

Doris Liebermann Gegen die Angst, seid nicht stille Mitteldeutscher Verlag, Halle 2022, 25 Euro.

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Es gibt 2 Kommentare

Lieber Herr Julke, haben Sie herzlichen Dank für diese Rezension. Ich möchte Sie nur schnell auf einen kleinen Fehler hinweisen: der ehemalige keyboarder von “Renft”, der dritte im Bunde mit Pannach und Fuchs, heißt Christian “Kuno” Kunert, nicht Günter Kunert, das ist der Schriftsteller. Das lässt sich sicher leicht ändern. Herzliche Grüße aus Berlin Doris Liebermann

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