Es gibt ja diesen platten Sponti-Spruch „Stell dir vor, es ist Krieg. Und keiner geht hin.“ Nur dummerweise haben junge Männer in Kriegsregimen diese Wahl nicht. Wenn sie nicht hingehen oder zurückkommen vom Heimaturlaub, werden sie mit Gewalt geholt. Oder gleich als Deserteure an die Wand gestellt. Haben die beiden überlebt, die gleich auf dem Titel zu sehen sind bei ihrem Besuch im Dresdner Zwinger 1943?

Natürlich verunsichert so ein Bild erst einmal. Denn für gewöhnlich werden die zwölf Jahre Hitlerzeit auch in solchen Einst-und-heute-Bildbänden ausgelassen. Auch weil die Bilder mit Hakenkreuzfahnen, aufmarschierenden SS-Verbänden und sonstiger Nazi-Symbolik verstören. Also gibt es meist Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Zeit davor, gegenübergestellt mit Farbfotos aus der Gegenwart.

Die eigenen Erfahrungen des Autors aus Paderborn

Aber für Ulrich Vogt aus Paderborn war der Ansatz von Anfang an ein anderer. Denn in Soest aufgewachsen, erlebte der 1941 Geborene mit, wie auch seine Heimatstadt am 5. Dezember 1944 nahezu komplett zerstört wurde. Sein Vater grub die Familie mit bloßen Händen aus den Trümmern des von Bomben getroffenen Hauses. Ähnliches erlebte auch Paderborn, das nach mehreren Angriffen alliierter Bomberverbände zu 85 Prozent zerstört war.

Das erste Buch, das Vogt veröffentlichte, war dann eines über das zerstörte Paderborn. Vier weitere folgten. Und das Besondere daran war, dass er sich von Anfang an auf die Suche nach Farbfotos aus den 1930er und 1940er Jahren gemacht hat, um den Früher-heute-Vergleich auch in Farbe bildhaft zu machen.

Ein frappierendes Unterfangen, denn diese Farbfotografien, die es tatsächlich gibt, zeigen eben nicht nur die Propaganda der Nazis. Die interessierte Vogt auch nicht. Dafür zeigen viele dieser Fotos, die in Familienarchiven überdauert haben, den Alltag in deutschen Städten bis in die Kriegszeit hinein. Wenn man nicht wüsste, dass gleichzeitig ringsum der Krieg tobte, würde man die Motive eher in den 1920er oder 1950er Jahren verorten. In friedlicheren Zeiten, in denen die Menschen in Parkanlagen spazieren gegen, sich auf Bänken sonnen, beim Straßenhändler Äpfel kaufen oder eben im Sonntagsstaat ins Museum gehen.

Dass Vogt dann auch auf Dresden aufmerksam wurde, das ja am Ende dasselbe Schicksal erlitt wie alle großen Städte im Westen, ist kein Zufall. Denn natürlich sah Vogt hier dasselbe scheinbar noch völlig intakte Leben, eine Stadt, die in sich ruhte, als könne hier gar nichts geschehen. Die meisten Fotos, die Vogt zum Vergleich heranziehen kann, stammen aus dem Jahr 1943. Wohl sogar dem Sommer 1943. Natürlich trügt die Idylle, denn mit der Schlacht um Stalingrad hat der Krieg im Winter zuvor gerade eine dramatische Wendung genommen. Auch die Bombardierung von Leipzig im Dezember 1943 stand noch bevor. In Sachsen konnte man also noch so etwas wie eine Idylle vor dem Sturm erleben.

Noch einmal den Zwinger sehen

Und wer als Soldat noch einmal auf Heimaturlaub wollte, der ließ sich wahrscheinlich die Gelegenheit nicht entgehen, noch einmal die Schätze seiner Heimat zu sehen. So wie die Soldaten auf dem Titelfoto, das auch dort schon mit dem Farbfoto des zerstörten Zwingers vom Februar 1945 konfrontiert wird. Aber da waren es dann keine urlaubmachenden Soldaten mehr, die mit Contax oder Leica den Urlaub in Farbe festhielten, sondern eher Leute wie Walter Hollnagel als Eisenbahnfotograf, der erst die Einsätze der Reichsbahn an den Kriegsschauplätzen fotografierte und dann – als der Krieg nach Deutschland zurückkehrte, das zerstörte Dresden.

Manchmal liegen nur wenige Monate zwischen den Aufnahmen, die einmal den friedlichen Alltag zeigen – Spaziergänger auf der Brühlschen Terrasse, Besucher im Schlosshof, Eisläufer auf dem Zwingerteich, Schlendernde im Zwinger. Und dann am selben Ort, fast aus derselben Perspektive, die zerstörten Schönheiten Dresdens. Die Urgewalt des Krieges, der keine Rücksicht nimmt auf Menschen, Schlösser, Kirchen. Bilder, die heute frappierend an ganz ähnliche Bilder aus der Ukraine oder dem Erdbebengebiet in der Türkei erinnern.

Und wie tief die Wunden waren, sieht man in vielen Nachkriegsbildern, die Vogt zum Vergleich beigegeben hat. Denn auch wenn die Dresdner Stadtverwaltung sofort nach Kriegsende begann, an den Wiederaufbau des Zwingers zu denken, nahm die Neuerrichtung der anderen prägenden Bauten der Dresdener Altstadt Jahrzehnte in Anspruch – vom Schloss über die Semperoper bis hin zur Frauenkirche, die heute geradezu zum Symbol für den Wiederaufbau Dresdens geworden ist.

Die frühe Zeit der Farbfotografie

Vor dieser Kulisse sind die jährlichen Trauermärsche, welche an die Zerstörung Dresdens erinnern, nicht mehr wirklich nachzuvollziehen. Gebäude um Gebäude kann Vogt zeigen, wie die Schönheit des barocken Dresdens wieder hergestellt wurde. Was dann wieder den Damals-heute-Vergleich möglich macht. Da muss man manchmal sogar die Jahreszahl neben dem Foto lesen, um auseinanderzuhalten, ob es ein Farbfoto von 1943 ist oder eins von heute.

Im Vorwort erläutert Vogt aber auch noch etwas, was zwingend dazu gehört: die Geschichte der Farbfotografie. Denn gerade in den 1930er Jahren kamen auch in Deutschland erstmals Farbfilme auf den Markt. Dresden selbst war eines der Zentren der deutschen Optikindustrie. Hier wurden auch die handlichen Fotoapparate hergestellt, die damals das Fotografieren auch für Amateure erschwinglich machten. Farbabzüge gab es zwar noch nicht. Man bekam die entwickelten Bilder als Diapositiv aus dem Labor zurück.

Und so haben sie sich dann auf viele Flohmärkte gefunden oder tauchen auch auf Verkaufsplattformen im Internet auf, wo Vogt seit Jahren emsig auf der Suche ist nach Aufnahmen aus dieser Zeit. Unterstützung fand er bei seinem Buch auch in David Wiliams, der als US-Soldat in der Nähe von Bitburg stationiert war und damals ebenso begann, Fotos und Diapositive aus dem Zweiten Weltkrieg zu sammeln. Farbfotos vom alten Dresden steuerte zudem der Sammler Michael Sobotta bei.

Bilder einer Stadt

Das Ergebnis ist ein Bildband, der natürlich verstört. Denn was man hier bis 1943 unzerstört sieht, hätte so auch noch heute stehen können, hätte es nicht den von den Nazis entfesselten Krieg gegeben. Und dass die Dresdner auf ihr Canaletto-Panorama stolz waren, muss Vogt gar nicht extra erklären. Dafür aber erzählt er auch, wie Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, vor 270 Jahren arbeitete. Denn seine Bilder bestechen ja vor allem durch die detailgetreue Wiedergabe, die ja beinah an Fotos erinnert. Und es steckt ja tatsächlich auch der kurfürstliche Wunsch dahinter, das augusteische Dresden so genau wie möglich in Stadt- und Landschaftsansichten zu verewigen.

Und so taucht der Canaletto-Blick auch in den Fotos immer wieder auf. Mal mit vollständiger Kulisse, mal von den Kriegsschäden zerrupft. Die damals beliebten Sehenswürdigkeiten dominieren die Auswahl. Das Alltagsleben scheinen auch damals die auf Fotopirsch gehenden Amateure eher selten in den Fokus genommen zu haben. Aber das sind dann oft auch Plätze und Straßen, die so tatsächlich völlig aus dem Dresdener Stadtbild verschwunden sind. Denn rekonstruiert wurde ja vor allem das Herz von Altdresden.

Vieles verschwand auch, weil in der DDR-Zeit so manche Lücke einfach mit Plattenbauten gefüllt wurde. Und natürlich schwebt über so einer Bildauswahl auch immer die Frage: Hätte das alles auch anders kommen können?

Die Antwort lautet natürlich ja. Doch wer zieht die Lehren? Wie leicht lassen sich Menschen, die eben noch friedlich lebten, von Propaganda, Fahnen und Marschmusik zu Mitläufern machen? Denn die Bilder der Zerstörung gehören nun einmal direkt neben die Bilder aufmarschierter SA-Verbände im Winter 1940 auf dem Adolf-Hitler-Platz, wie sie damals den Theaterplatz umbenannt haben. Kriege entstehen nicht aus dem Nichts. Sie entstehen dann, wenn Nationalisten an die Macht kommen, Leute, die glauben, andere Länder und Menschen für minderwertig erklären zu können. Es ist die offizielle Politik, die mit dem scheinbar noch friedlichen Alltag kontrastiert.

Dresden war keine Ausnahme

Man kann sich nicht wirklich mit den Soldaten freuen, die da scheinbar noch einmal ihr Vergnügen suchen – im Museum oder auf der Kirmes, stolz in die Kamera schauend. Ein Blick, der auch heißen könnte: Seht, ich lebe noch. – An welche Front werden sie zurückfahren müssen? Was werden sie als Erinnerung mitgenommen haben? Haben sie überlebt? Haben die Frauen und Männer überlebt, die da 1939 und 1943 geschäftig über den Altmarkt laufen, just den Platz, auf dem nach dem Bombardement die Leichen verbrannt wurden?

Man sieht den zerstörten Hauptbahnhof, wo die Schutzräume für Hunderte zur tödlichen Falle wurden. Aber man kann auch die Bildbände zu Paderborn daneben legen und sehen, dass Dresden eben das nicht ist, was es Februar für Februar zelebriert: ein besonders betroffenes Opfer. Es war auch ein Preis für all die Durchhalteparolen eines Regimes, dem viele Dresdener zuvor freudig zugejubelt haben. Und dem die Schutzlosigkeit der Städte letztlich egal war. Was Vogt eben auch berührt, wenn er daran erinnert, dass es deutsche Bomberverbände waren, die als erste begannen, die Städte anderer Länder in Schutt zu verwandeln – in diesem Fall das englische Coventry, mit dem Dresden heute eine Städtepartnerschaft hat.

Diese Erinnerung ist wichtig. Man sollte sie mitdenken, wenn man das vom britischen „Dresden-Trust“ finanzierte goldene Turmkreuz auf der Frauenkirche funkeln sieht, die seit 2005 wieder in alter neuer Schönheit in Dresdens Zentrum steht. Heller als auf den alten Aufnahmen. Das kennt man auch aus Leipzig, wo die Fassaden der alten Gebäude vom Ruß geschwärzt waren, was Stadtansichten bis 1990 stets irgendwie düster machte. Man vergisst bei all der sanierten Schönheit auch viel zu oft, was wieder erlebbar und sichtbar geworden ist. Die jahrzehntelang herumstehenden Ruinen findet man nur noch auf den alten Fotos – in diesem Fall auch auf ORWO-Color aus der DDR.

Wunden schließen sich wesentlich langsamer, als sie geschlagen wurden. Und so unterschätzt man eben leider auch die Zeiten des Friedens, die scheinbar so unspektakulär sind. Nicht so schön dramatisch erzählbar wie die Bombardierung einer Stadt, die noch kurz vor Kriegsende in Flammen aufging.

Ulrich Vogt „Dresden in Farbe“, Thelem Universitätsverlag, Dresden und München 2022, 29,80 Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Danke für diese – mal wieder – interessante und anregende Rezension. Buch ist bestellt.

Schreiben Sie einen Kommentar