Als Christian-Daniel Strauch und Oksana Molderf 2021 ihren ersten Band mit einer Auswahl ukrainischer Autorinnen und Autoren herausgaben, stand auch dieser schon im Zeichen eines Krieges. Eines Krieges, der in Westeuropa regelrecht verdrängt wurde, obwohl er seit 2014 vor sich hinkochte. Er wetterleuchtet auch noch in diesen Band hinein, auch wenn der nun tatsächlich geprägt ist vom russischen Großangriff auf die Ukraine im Februar 2022. Und auch wenn die Autoren und Autorinnen des Landes anfangs geschockt waren und sich fragten, wie man da noch schreiben kann, haben sie das Entsetzen dennoch auf Papier gebannt.
Und taten damit dasselbe, was ihre Landsleute auf allen anderen Gebieten auch taten: Sie ließen sich vom russischen Überfall nicht mundtot machen, wehrlos und tatenlos schon gar nicht. Und so beschreiben sie den Krieg so deutlich und greifbar, wie sie ihn erlebten. Denn betroffen waren sie alle. Die einen, weil sie aus den auf einmal unter Beschuss stehenden Gebieten fliehen mussten, die anderen, weil sie sich zur Truppe meldeten.
Weshalb der Band auch auf seine Weise eine Ehrerbietung ist, wenn er auch die Texte von Autoren bringt, die inzwischen in den Kämpfen gegen die Usurpatoren ihr Leben gelassen haben – wie Oleksandr Osadko und Maksym Krywzow. Oder die – wie der Dichter Wolodymyr Wakulenko – von den Besatzern ermordet wurden.
Butscha, Kyjiw, Mariupol
Es ist ein Buch, das einen nicht ruhen lässt, auch wenn die Autor/-innen sich oft genug fragen, wie man einen Krieg tatsächlich erzählen kann. Denn das Gefühl des Ungenügens bleibt immer. Das Erlebte ist finsterer, traumatischer, schrecklicher als alles, was man zu Papier bringen kann. Oder auf Online-Blogs beschreiben kann.
Und trotzdem erzählen sie manchmal direkt aus der Hölle – aus Bunkern, aus Kellern, aus den besetzten oder unter Beschuss stehenden Städten der Ostukraine, wo sie tage- und wochenlang auf die Gelegenheit warten, endlich fliehen zu können. Wo die Granaten direkt neben dem Haus einschlagen, die Besatzer plündernd in die Häuser eindringen und wahllos ihre Opfer zusammenzutreiben, um sie zu foltern.
Und so werden all die Städte noch einmal greifbar, die im ersten Kriegsjahr zum Symbo für die Brutalität des russischen Überfalls wurden – von Butscha bis Mariupol. Orte, in denen in den 30 Jahren der ukrainischen Unabhängigkeit das Leben aufgeblüht war, in denen die Menschen ihren Traum von einem freien Leben erfüllten und nicht wirklich daran glauben wollten, dass ein russischer Autokrat dieses friedliche Leben mit einem brutalen Krieg überziehen würde, weil er meint, er müsse die ukrainische Selbstständigkeit auslöschen.
Man erlebt diesen Überfall immer wieder aus der Sicht junger Mütter, die alles dafür tun, dass wenigstens die Kinder aus diesem Albtraum herauskommen. Denn Kinder sind die Hoffnung, wie der Dichter Artur Dron feststellt. Der längst weiß, dass es sich nicht lohnt über die Hoffnung zu reden. Denn sie steht neben einem: Die Kinder sind die Hoffnung.
Seine Gedichte korrespondieren mit den Prosatexten im Buch, die teilweise Ausschnitte aus Tagebüchern sind, aus größeren Erzählungen, aus Bühnendramen, die alle versuchen, den seltsamen Zustand derer zu zeigen, die in diesen Krieg geraten sind. Ein Zustand, der eigentlich nicht fassbar ist für den menschlichen Verstand, weil er allen Normen und Vorstellungen widerspricht.
Kein Leben ist mehr sicher. Die Truppen aus Mordor zerstören ganz gezielt, versuchen mit aller Gewalt die Menschen einzuschüchtern. Eine Strategie, die die Putin-Truppen bis heute ausüben. Obwohl sie nach fast drei Jahren begriffen haben müssten, dass sie damit in der Ukraine das Gegenteil erreichen.
Orks und Raschisten
Schon früh haben sie sich durch ihren brutalen Angriff Bezeichnungen wie Orks und Raschisten eingehandelt. Eben weil sie sich genauso benehmen, wie es die russische Propaganda der Ukraine vorwarf. Doch gerade, weil die Autorinnen und Autoren in der Regel fast tagebuchartig das beschreiben, was sie tatsächlich erlebten, wird sichtbar, dass diese Menschen nie aufgeben werden. Egal, welche Schrecken sie erlebt haben. Oder gerade deshalb.
Und nicht nur eine Großmutter taucht auf in der Erinnerung, welche die Schrecken des Holodomor und das Wüten der Soldaten im Zweiten Weltkrieg erlebt hat, ihre Angehörigen verloren hat und dennoch den Nachkommenden Mut macht, nicht aufzugeben, das eigene Leben nicht zu verschenken. Und die Herausforderungen des Lebens wieder mit einem Lächeln anzugehen.
Was gerade den verzweifelten Müttern schwerfällt, die in den bombardierten Städten ausharren und nur noch funktionieren wie Körper, deren Seele nicht anwesend ist. Und dennoch wissen, wie wichtig es ist, dass gerade die Mütter weitermachen und den Kindern das Gefühl geben, beschützt zu sein.
Wer schöne spannende Schlachtenberichte erwartet, ist hier – wieder mal – falsch. Die Texte erzählen die Wirklichkeit des Krieges, wie er von den Betroffenen tatsächlich erlebt wurde. Wie er das friedliche Leben der Ukrainerinnen und Ukrainer im „langen Februar“ von 2022 überrollte und sie alle zwang, Lösungen für ihr Überleben zu suchen. Auch an Orten, an denen das fast unmöglich scheint.
Die Modernität der Ereignisse wird deutlicher, wenn sich die Menschen in den Erzählungen mit ihren Smartphones versuchen mit der Außenwelt zu verbinden, Kontakt zu den geliebten Menschen zu finden. Und Schlimmstes vermuten müssen, wenn die Verbindung abreißt. Etwa mitten in Ereignissen wie dem Vormarsch der russischen Truppen auf Kyjiw, den die ukrainische Armee ja dann zurückschlagen konnte. Nur um dann zu registrieren, was die Besatzer an Unheil angerichtet hatten.
Tage des Grauens
Gerade weil es auch Autorinnen sind, die hier schreiben, wird deutlicher, wie der Krieg auch die Menschen jenseits der Kampfzone traf, wie Frauen, Kinder, Alte starben, bald jeder jemanden kannte, der in diesem Krieg den Tod fand, von Bomben getroffen wurde, in seinem Wohnhaus verschüttet oder von den russischen Soldaten ermordet. Es sind Texte, die – obwohl sie versuchen, die Distanz zum Erlebten herzustellen – berühren und aufwühlen.
Weil es eben doch einen gewaltigen Unterschied macht, ob man Schlagzeilen und Fotos in der Zeitung sieht oder mit den Erzählerinnen eintaucht in die Tage des Grauens, in dem sie nie die – auch nur scheinbare – Übersicht derer haben, die einfach nur die täglichen Nachrichten konsumieren.
Denn wenn der Empfang zusammenbricht, Internet, Strom und Wasser nicht mehr verfügbar sind, bekommt der Krieg ein zusätzliches Gesicht des Ungreifbaren. Wo stehen die feindlichen Truppen? Wen haben sie verhaftet? Wo gibt es noch Lebensmittel? Oder haben die Orks auch noch die Lebensmittelgeschäfte und Bäckereien geplündert?
Es sind keine kriegerischen Texte, die so entstanden sind. Es sind Texte, die vom Menschlichen erzählen in einer finsteren Zeit. Von Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft. Und ebenso von Kindern, die ihrerseits in einigen Texten zu Protagonisten werden und schildern, wie sie das Handeln der Erwachsenen erleben und den Krieg reflektieren.
Es sind Texte, die nach drei Jahren Schein-Gewöhnung daran erinnern, welches Trauma dieser Krieg für die Ukrainerinnen und Ukrainer ist. Und wie sie trotzdem nicht aufgeben, sich nicht einschüchtern lassen, auch wenn die digitalen Netze voller Nachrichten sind über Bekannte und geliebte Menschen, die dem Krieg zum Opfer fielen.
Im Vorwort schildern Christian-Daniel Strauch und Oksana Molderf die schwierigen Bedingungen, unter denen das Buch zustande kam. Denn die Autorinnen und Autoren leben ja auch heute noch in der Ukraine, erleben – selbst weit hinter der Front – immer wieder Bombardements und Raketenangriffe. Stromausfälle gehören zum Alltag. Und anders als beim ersten Band war eine Reise der deutschen Übersetzer in die Ukraine nicht möglich. Und auch eine Fahrt der Autorinnen und Autoren zu den Übersetzerworkshops in Leipzig nur unter erschwerten Bedingungen möglich.
Vor allem ukrainische Studentinnen und Studenten halfen mit, die Texte ins Deutsche zu übersetzen. Und diesen Band am Ende zu ermöglichen, der den Lesern im friedlichen Deutschland nahe bringt, den Krieg nachzufühlen in Texten, die oft noch unter den Ereignissen entstanden, die sie zu beschreiben versuchen.
Christian-Daniel Strauch, Oksana Molderf (Hrsg.) „Wiedergeburt in Waffen“, Edition Hamouda, Leipzig 2025, 18 Euro.
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