„Wie Autokraten Deutschland angreifen“, haben die beiden F.A.Z.Redakteure ihr neues Buch untertitelt. Das im Wesentlichen eine ungeheure Fleißarbeit ist. Denn die autokratischen Regime – allen voran Russland – führen schon seit Jahre einen hybriden Krieg auch gegen Deutschland. Das steht tatsächlich in der Zeitung. Fast täglich. Mal sind es Drohnen über Flughäfen, mal Angriffe auf die Server des Bundestags, mal Anschläge auf die Kabel der Bahn oder andere Sabotage-Aktionen, die oft auf den ersten Blick nicht wie Sabotage aussehen.

Denn darum geht es ja beim hybriden Krieg: Der Angegriffene soll die Attacken nicht zweifelsfrei zuordnen können. Es geht um Verunsicherung, Ängsteschüren und Abtasten.

2023 veröffentlichten Bingener und Wehner mit „Die Moskau-Connection“ schon ein Buch, das einen Teil dieser ganz und gar nicht freundlichen Einflussnahme Moskaus in Deutschland sichtbar machte. Und natürlich wird dieses Kapitel auch in diesem Buch angeschnitten. Denn mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 war mit diesen Connections deutscher Politiker zur herrschenden Clique in Moskau nicht Schluss.

Und es war auch schon lange nicht mehr allein die SPD-Truppe um den ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder, die hier Verbindungen knüpfte und den Putinschen Seilschaften Einfluss bis in die deutsche Politik hinein verschaffte. Längst haben sich auch Politiker anderer Parteien den Mächtigen in Moskau angedient, reisen ohne Skrupel selbst während des Krieges nach Russland und verkaufen das in Deutschland dann als „Friedens“-Politik. Oder als simple Privatbesuche.

„Das Kapern der Eliten“ haben Bingener und Wehner dieses Kapitel überschrieben, in dem wohlfeile Unionspolitiker genauso ihren Auftritt haben wie gefällige AfD-Politiker, die ganz offensichtlich keine Probleme dabei haben, sich auch noch fürstlich dafür bezahlen zu lassen, dass sie die Putinsche Propaganda in Deutschland zu Politik machen. Und da sind die Grenzen fließend zwischen willfähriger Propaganda und Spionage. Womit ein ganz eigenes Kapitel eröffnet ist.

Denn die Spionage durch russische und chinesische Geheimdienste ist seit Jahren bekannt. Sie haben ein reges Interesse daran, Informationen zu politischen Entscheidungen, Waffen und modernsten Technologien aus dem Westen zu bekommen.

Attentate und Sabotage

Auf dem Parkett der Geheimdienste war die schöne Zeit des friedlichen Nebeneinanders, welches bis heute das Bild vieler Deutscher vom großen „Partner“ Russland prägt, schon vor Jahrzehnten vorbei, wahrscheinlich auch mit der Auflösung der Sowjetunion nie wirklich beendet worden. Mit der Installation des ehemaligen KGB-Manns Putin im Kreml hat sich das Ganze wieder intensiviert.

Hunderte russischer Geheimdienstleute waren in den Botschaften und Konsulaten Russlands in Westeuropa stationiert – bevor sie nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs von den westliche Regierungen ausgewiesen wurden. Und sie waren oft auch Dreh- und Angelpunkt der politischen Morde, die Moskau im Westen in Auftrag gab. Morde, die oft für große Schlagzeilen sorgten, wenn russische Oppositionelle oder übergelaufene Geheimdienstmänner gezielt getötet wurden.

Einige dieser Fälle schildern Bingener und Wehner noch einmal akribisch – auch um zu zeigen, wie wenig Moskau auch schon vor dem Krieg gegen die Ukraine die Rechtsstaatlichkeit des Westens respektierte. Und dass man es längst nicht nur auf die „eigenen“ Leute abgesehen hat, zeigten die Attentatspläne auf einen deutschen Rüstungsmanager und die Implementierung von Sprengstoffpaketen in der Beladung von DHL-Flugzeugen. Eines dieser Pakete explodierte ja bekanntlich auf dem Flughafen Leipzig/Halle – glücklicherweise noch auf dem Flughafen, weil der Flug Verspätung hatte.

Und immer öfter häufen sich Fälle, bei denen von Moskaus gekaufte „Einmal-Agenten“ bei der Vorbereitung von Sabotage-Akten ertappt werden. Denn seit die westlichen Regierungen reihenweise russische Konsulate schließen ließen, fehlen vor Ort die hauptamtlichen Agenten, solche Sabotageakte zu steuern. Also werden, vor allem über Social-Media-Kanäle, gutwillige Trottel gesucht, die für ein Handgeld die Drecksarbeit für die russischen Geheimdienste übernehmen.

Und oft genug sind das Anschläge, bei denen das Motiv auf den ersten Blick nicht klar ist und auch nicht, wer dahinter stecken könnte. Aber Bingener und Wehner machen deutlich, wie die Moskauer Geheimdienste ticken. Denen geht es oft nur um Verunsicherung, um das Schüren von Ängsten.

Trolle und Hacker

Und das hat gerade im Internet längst System. Mit riesigen Trollfabriken und Hackerbrigaden wird der Westen attackiert. Die einen verbreiten russische Propaganda, bauen gefakte Websites, organisieren tausende Fake-Profile, die in den Netzwerken agieren, als wären es echte Nutzer. Und die Flut der Posts und Fakenews, die sie absetzen, zeitigen Erfolg.

Denn den Profilen ist ja meist nicht anzusehen, dass ihre Erschaffer in St. Petersburg oder Moskau sitzen und dass es ihnen vor allem um eins geht: Unruhe zu stiften, Ängste zu verbreiten und den Westen mit seiner Demokratie zu diskreditieren. Und gleichzeitig ein Bild zu erzeugen, als wäre ganz Westeuropa im Niedergang begriffen und ausgerechnet das Putinsche Modell wäre die Rettung für einen Kontinent, der gerade untergeht.

Was Menschen über ihr Land, ihre Gesellschaft, ihre Welt denken, das ist immer das Ergebnis dessen, was sie glauben. Wer die Narrative in den Griff bekommt, die die Menschen im Kopf haben, der kann sie beeinflussen. Und das betrifft schon längst nicht mehr nur die russischsprachige Community, die nach wie vor allem die Moskauer Medien zur Information nutzt. Das betrifft längst auch andere Menschengruppen, die ihr Weltbild auf russischen Kanälen gespiegelt und verstärkt sehen. Oft aber auch nicht einmal bemerken, dass sie es mit einem Medium zu tun haben, das aus Moskaus gesteuert und bezahlt wird.

Es ist auch eine lehrreiche Geschichte, die Bingener und Wehner hier erzählen. Eine Geschichte, die sichtbar macht, wie – nicht nur russische – Geheimdienste ihr über Jahrzehnte gesammeltes Knowhow über die Manipulierung von Menschen rigoros nutzen und dabei genau das ausnutzen, was eigentlich eine Stärke der westlichen Demokratien ist: Ihre grundgesetzlich verankerte Meinungsfreiheit, die Behörden davor zurückschrecken lässt, mit drastischen Maßnahmen gegen Fakenews und Propaganda im Netz vorzugehen.

Was dann eben leider auch demokratische Wahlen beeinflusst. Nachweisbar nicht nur für die Präsidentenwahl in den USA 2016 oder beim Brexit, sondern auch bei den deutschen Bundestagswahlen 2025.

Misstrauen und Verunsicherung

Dabei geht es dem Kreml nicht nur um logistische Unterstützung für die Parteien, die man als besonders moskaufreundlich empfindet – allen voran AfD und BSW. Es geht noch viel stärker um das Schaffen von Misstrauen, Verunsicherung, Angst. Denn wenn Menschen in Angst geraten, dann wählen sie auch nicht mehr rational. Sie werden manipulierbar.

Und so zur Schwungmasse, die westliche Demokratien aus dem Gleichgewicht bringen soll. Was dann wieder Regierungen und Parlamente in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt und somit schwächt, wie man während des Ukraine-Krieges erleben konnte – Zögern, Zaudern, Verweigern von Waffenhilfe. Diese hybride Beeinflussung der Verbündeten der angegriffenen Ukraine ist von Anfang an Teil der Moskauer Kriegsführung.

Die beiden Autoren gehen auch auf die Frage ein, wie man diese Art „flankierende“ Beeinflussung von Staaten nennen kann, die überhaupt nicht im offiziellen Krieg mit Russland stehen. Aber eins ist im Kern klar: Diese Art nicht-erklärter Kriegsführung gehört sei Jahren zum selbstverständlichen Arsenal der Autokratien. Nicht ganz so ausführlich etwa gehen die beiden Autoren auch auf die Praktiken Chinas und der Türkei ein. Denn Autokratien ticken alle ganz ähnlich.

Und alle haben sie in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass sie sich mehr Einfluss und damit Macht verschaffen können, wenn sie auch in ihren „informellen“ Methoden immer aggressiver und rücksichtsloser werden und gleichzeitig die Bevölkerung in den demokratischen Ländern möglichst massiv und systematisch beeinflussen.

Und die letztlich fast unregulierten „Social Media“ sind dafür ein geradezu formidables Einfallstor. Man kann dort unter falscher Flagge agieren, mit Bots und gefälschten Identitäten. Man kann die Websites renommierter Medien für seine Zwecke kopieren und mit Emotionen und erlogenen Geschichten für Aufregung sorgen. Und Bingener und Wehner stellen berechtigt fest, dass die Gegenwehr schwierig ist. Denn wenn die oft dramatisch aufgemachten Lügen-Geschichten erst einmal in den Köpfen der Nutzer stecken, haben auch Fakten-Checks und Aufklärung kaum noch eine Chance.

Geheimdienste wissen das. Wer die Story in die Köpfe bringt, hat eigentlich schon gewonnen. Der postet sich in die Köpfe der Nutzer, die sowieso schon heillos überfordert sind von einer Flut von Geschichten, die immer öfter ungeprüft durch die Netze wabert. Was ist noch echt? Was ist gelogen? Mit wem kommuniziert man da eigentlich?

Fakenews und Lügen

Und diese massenhaft verbreitete Desinformation ist ganz und gar nicht harmlos. „Eine weiche Waffe trifft Deutschland hart“, haben die beiden das zugehörige Kapitel übertitelt. Und auch hier liefern sie reihenweise Beispiele, die in deutschen Medien meist kurzzeitig für Aufsehen erregten, bis sie von den nächsten heißen Nachrichten verdrängt wurden. Gerade die Fülle der Meldungen, die allesamt Teile des von Moskau geführten hybriden Krieges sichtbar machen, zeigen das Ausmaß dieses heimlichen, nie erklärten Krieges Moskaus gegen den von Putin so verachteten Westen.

Und es ist ein Krieg. Wenn auch einer, auf den die üblichen Kriegsdefinitionen nicht passen wollen. „Eine besondere Herausforderung für die Reaktion auf hybride Angriffe gibt es auch in rechtlicher Hinsicht“, schreiben sie. „Denn durch den stillen Krieg der Autokraten entsteht ein Zustand, der zwischen Krieg und Frieden angesiedelt ist.“

Ein Zustand, der den willigen Helfern Moskaus ermöglicht, immer wieder so zu tun, als müsse man sich nur um gute wirtschaftliche Kontakte zu Moskau bemühen und mit dem Kreml-Herrscher verhandeln, obwohl dieser das gar nicht will. Und die wirtschaftlichen Kontakte erwiesen sich nicht zuletzt mit dem offenen Überfall auf die Ukraine 2022 als tatsächliche Mittel der Abhängigkeit und Erpressbarkeit.

Denn Autokraten denken nicht in Kategorien eines friedlichen Miteinander oder – wie von den SPD-Genossen lange Zeit mantraartig wiederholt – an „Wandel durch Handel“. Ihnen geht es nur um ihre eigene Macht und um die Idee ihres Imperiums. Da können die Politiker in Deutschland jahrelang die guten Beziehungen mit Russland feiern und salbungsvolle Reden auf Wirtschaftskonferenzen halten.

Mit der Realität im Putinschen Reich hatte das nie etwas zu tun. Mit Bingener und Wehner blickt man dem Wesen der Autokratien im Grunde direkt ins Gesicht und bekommt man eine Ahnung davon, wie sie tatsächlich auf den Westen schauen, auf Frieden und friedliches Zusammenleben.

Krieg um die Köpfe

Alles Dinge, die im tatsächlichen Alltag der Autokraten überhaupt keine Rolle spielen. Hier geht es nur um Macht, Machterhalt und – wie bei Russland, China und der Türkei – um imperiale Vorstellungen, die eigentlich ins Mittelalter gehörten, mit diesen Autokratien aber fröhliche Auferstehung feiern. Und deutlich machen, dass die Handlanger dieser Regime keinerlei Skrupel kennen, um die Interessen ihrer Regierung auch im Ausland durchzusetzen.

Und so nebenbei auch ein Bild in den Köpfen der Bürger westlicher Staaten zu erzeugen, in dem Russland als neuer Sieger der Weltgeschichte erscheint und Autokratien weltweit auf dem Vormarsch zu sein scheinen. Und die Kriege, die diese Autokratien anzetteln, erscheinen dann geradezu gerechtfertigt, weil man die Schuld daran den Überfallenen zuschreibt. Oder gleich dem Westen und der NATO.

Aber die Stärke des Buches ist letztlich, wie kompakt es diese stille, verdeckte und unheimliche Einflussnahme insbesondere Moskaus auf den Westen und speziell auf Deutschland nachzeichnet. Samt dem Zögern deutscher Regierungen und Geheimdienste, auf diese akute Bedrohung zu reagieren. Dabei kann es ganz schnell brandgefährlich werden, wie sie im Kapitel zu den Sabotageakten feststellen. Denn längst haben russische Hacker gezeigt, dass sie keine Skrupel haben, in die kritischen Infrastrukturen einzudringen.

Was passiert, wenn es ihnen gelingt, Strom- und Wasserversorgung lahmzulegen? Den Bahnverkehr zum Erliegen zu bringen oder ganze Verwaltungen? Die beiden Autoren sehen zumindest ein langsam erwachendes Bewusstsein dafür, wie gefährdet unsere digital vernetzten Infrastrukturen durch solche Angriffe tatsächlich sind. „Auch hier findet bereits ein Umdenken statt, gleiches gilt, wenn es um die Ausstattung und Befugnisse der Nachrichtendienste geht. Übereinstimmend wird berichtet, dass die deutschen Dienste nicht mehr so risikoscheu, oder wie manche sagen: übervorsichtig, agieren wie noch vor einigen Jahren.“

Der Frieden der Autokraten

So langsam wächst auch dort das Bewusstsein, dass sich moderne Kriege wie in der Ukraine eben nicht nur auf das Schlachtfeld vor Ort beschränken, sondern systematisch flankiert sind durch eine hybride Kriegsführung, die nicht nur auf das angegriffene Land zielt, sondern auch auf dessen Verbündete und Unterstützer.

Zuletzt in aller Deutlichkeit erlebt, als Schiffe der russischen Schattenflotte gleich mehrere wichtige Kabelverbindungen zwischen Skandinavien und dem europäischen Festland zerstörten. Mal wichtige Stromkabel, mal wichtige Internetverbindungen. Während immer wieder russische Schiffe dabei beobachtet werden, wie sie die Kabelverbindungen gerade in der Ostsee systematisch auskundschaften.

Man bekommt mit Autokratien keinen verlässlichen Frieden, wie ihn etliche Parteien im Bundestagswahlkampf auf ihre Plakate schrieben. Das würde den Charakter und das Machtdenken der Autokraten völlig negieren. Auch und gerade dann, wenn sie immerzu ihre friedlichen Absichten bekunden und gleichzeitig trotzdem einen hybriden Krieg gegen Länder wie Deutschland führen. Und Deutschland ist – da sind sich Bingener und Wehner sicher – seit Jahren das Hauptangriffsziel russischer Attacken. Was also tun?

Das Wichtigste ist wohl, die permanenten Angriffe mit unterschiedlichsten hybriden Methoden nicht mehr zu unterschätzen, sondern so ernst zu nehmen, wie sie auch gemeint sind. „Ziel aller dieser Bemühungen sollte es sein, für die Auseinandersetzung mit den aggressiven Autokraten Resilienz, Autonomie und Souveränität der rechtsstaatlichen Demokratien zu stärken.“

Denn: „Anführer wie Putin und Xi Jinping haben bewiesen, dass sie mit großer Hartnäckigkeit und strategischer Geduld daran arbeiten, das westliche Gesellschaftsmodell zu schwächen, zu unterwandern oder gar zu zerstören.“ Die Gefahr gilt es endlich wirklich ernst zu nehmen. Gerade in Deutschland, stellen die beiden fest.

Reinhard Bingener, Markus Wehner „Der stille Krieg“ C. H. Beck, München 2025, 20 Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Die Pressestelle des Kriegsministers, der Rüstungsunternehmen und die der transatlantischen Freunde hätten nicht besser formulieren können. Spionage, Lügen, Sabotage usw. hat es schon immer auf allen beteiligten Seiten gegeben haben. Was haben eigentlich die Untersuchungen der Behörden zu den Drohnen über Flughäfen, DHL Paketen / abgestürzten DHL Fliegern, Serverangriffen, Anschläge auf Kabel, Leyen Flieger Störung, Wahlbeeinflussung ergeben? Tatsächlich wurden ja einige Urheber ermittelt. Davon liest man bei Binger/Wehner/Julke leider nix. Passt wohl nicht ins willfährige Propaganda Programm, da es eben jenes entlarven würde? Ängste schüren (“Was passiert, wenn es ihnen gelingt, Strom- und Wasserversorgung lahmzulegen? “) und Feinde schaffen ( “Wer die Story in die Köpfe bringt, hat eigentlich schon gewonnen.”) ist halt wichtig. Paul Joseph hätte seine helle Freude gehabt.
Das Friedens und Nobel Preis verdächtige Verteidigungsbündnis NATO führt aktuell eine Atomwaffen-Übung über der Nordsee durch. Alle Spiegel (Bestseller Autoren) Fans können folglich beruhigt sein.

Schreiben Sie einen Kommentar