Von der Idee bis zur fertigen Umsetzung hat es fast fünf Jahre gedauert, jetzt ist es soweit: Seit Mitte Juli hat Leipzigs erster alternativer Sexshop, die „Voegelei“ seine Pforten geöffnet. In dem Ladengeschäft in der Wurzner Straße im Leipziger Osten gibt es neben nachhaltig und fair produzierten Sextoys und Literatur abseits von traditionellen Geschlechterrollen und Körperbildern, Hygieneartikel sowie Beratungsangebote und Workshops. Die Idee der Gründer/-innen ist klar: Den Sexshop rausholen aus der „Schmuddelecke“ und zu einem Ort machen, der sexuelle Entwicklung und Lust fördert.

In der Voegelei beginnt dieser Vorsatz mit der Gestaltung des Ladens: In dem Eckgeschäft prägen helle Farben, Pflanzen, gemütliche Sitzmöglichkeiten und Kunst die Stimmung. Alles darf angefasst und ja, auch anprobiert werden. Die Mitglieder des Ladenkollektivs, das sind Steph, Calle, Lotte und Max, setzen auf „Sexpositivität“ – das bedeutet, sich mit der eigenen Sexualität, Phantasien und auch persönlichen Grenzen auseinanderzusetzen.

Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden. „Wir wollen nicht ‚alles neu‘ machen; wir machen das Alte zunächst einfach erstmal nicht mehr“, erzählt Max. „Das Alte“, damit sind zum Beispiel Abbildungen auf Produktverpackungen gemeint, die sich auch heutzutage noch stark an idealisierten Körperbildern und den traditionellen Rollenbildern von Mann und Frau orientieren. Auf solche Anblicke wird man in dem „Sexlädchen“ nicht stoßen.

Ganz selbstverständlich findet sich in den Regalen der Voegelei Sexspielzeug, das jede sexuelle Orientierung einbezieht. „Queer“, „Homosexualität“, „Geschlechterdiversität“ sind Begriffe, die seit einigen Jahren unsere Gesellschaft prägen und verändern. Da scheint es nur natürlich, dass auch die Produktpalette im Sexshop des Vertrauens diese bunte Orientierungslandschaft widerspiegelt. Einen Großteil der Toys bezieht das Kollektiv von kleinen Manufakturen. Viele von ihnen arbeiten nicht mit Anbietern wie Amazon oder Amorelie zusammen.

Auch das Beratungsangebot bezeichnet einen neuen Umgang mit dem Thema Sex in der Gesellschaft. „Wir haben heutzutage einfach ganz andere Freiheiten“, ist sich Max sicher. Während ältere Generationen oft allein schon durch praktische Gründe ihre Lust eher als nebensächlich einstuften, scheint heute das Zeitalter gekommen, in dem Raum gegeben ist, um sich und seine individuellen Neigungen zu entdecken und auszuleben.

„Als ich beispielsweise in der Schule war, wurde natürlich über den Körper aufgeklärt; wie wird man nicht schwanger und ähnliche Fragen. Aber Körperwahrnehmung und Lustgewinnung – das waren keine Themen“, erinnert sich Max. Heutzutage sei der Zugang zu entsprechenden Informationen, sei es in Büchern, im Internet oder Social Media, leichter.

„[Es gibt] beratende Literatur, inspirierende Pornographie und Workshopkonzepte, die dabei unterstützen, das eigene Begehren und die eigenen Grenzen zu erkennen, einen positiven Zugang zum eigenen Körper und der eigenen Sexualität zu entwickeln und die Phantasie beflügeln. Das Ladenkollektiv […] möchte diese alternativen Angebote der breiten Öffentlichkeit leichter zugänglich machen“, beschreibt das Team seine „Mission“ auf der Website.

Max selbst hat drei Jahre lang eine Ausbildung zum Paar- und Sexualberater am Institut für Beziehungsdynamik in Berlin absolviert. „Ich glaube, wir brauchen diese Angebote, um zu erkennen, was wir mögen und was wir wollen. Wie kann ich das in einer Partnerschaft kommunizieren, sodass ich mich wohlfühle? Wie kann ich meine Sexualität lebendig gestalten? Diese Fragen sind für fast jede/-n eine Herausforderung und oft mit Scham behaftet.“

Ein langer Weg bis zum alternativen Sexladen

Etwa eineinhalb Jahre suchte das Kollektiv nach einer geeigneten Ladenfläche. Schließlich kam das Modellprojekt OST e.V. auf die Gründer/-innen zu. Die LWB, von der der Verein Dann begann die Bauphase: „Wir haben Kabelschächte neu verlegt, Wasser und Heizung eingerichtet, Wände durchbrochen.“ Durch den schlechten Zustand der Bausubstanz stiegen nicht nur die Kosten, sondern auch der Zeitaufwand.

Am Ende dauerte es mehr als ein Jahr, bis das Ladengeschäft fertig renoviert war. Es folgte Corona und damit wieder ein über Jahr, in dem nicht eröffnet werden konnte. Am 16. Juli nun fiel der Startschuss. Bisher haben, coronabedingt, jeweils drei Personen Zutritt zum Geschäft. Workshops dürfen bisher noch nicht durchgeführt werden. Zwar hätte die Voegelei auch schon früher eröffnen können, Abholsysteme wie „Click&Collect“ hätten sich schlichtweg noch nicht gelohnt. „Ich hoffe, dass wir uns nun hier etablieren können.“

Künftig sollen die Räume auch für Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt werden. An den Wänden hängen Werke von Leipziger Künstler/-innen. „Wir wollen, dass man hier verweilt; sich umschaut, liest, ausprobiert, Kunst anschaut und sich austauscht.“

Wer Lust darauf hat, kann mittwochs bis samstags jeweils von 14 bis 19 Uhr in der Voegelei vorbeischauen oder online stöbern unter www.voegelei.de

„Im Leipziger Osten wird jetzt „gevoegelt“ erschien erstmals am 30. Juli 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 93 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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