Dass gerade in deutschen Völkerkundemuseen viele Sammlungsbestände liegen, deren Herkunft sehr fragwürdig ist, ist den meisten Museen mittlerweile bewusst. Viele dieser Stücke wurden in kolonialen Zeiten „beschafft“, oft mit sehr fragwürdigen Methoden. Am 17. November gab es eine besonders wichtige Rückgabe im Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig nach Australien.

Im Rahmen einer feierlichen Zeremonie wurden am Donnerstag, 17. November, menschliche Überreste von sechs Vorfahren aus Australien, die sich im Besitz der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens (SES) befanden, an ihre traditionellen Custodians und Vertreter und Vertreterinnen der australischen Regierung zurückgegeben.

Die öffentliche Rückgabe im Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig ist bereits die dritte nach Australien. Sie ist das Resultat einer engen Zusammenarbeit mit First Nations Custodians, den rechtmäßigen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen innerhalb der Indigenen Gemeinschaften, sowie australischen Regierungsvertretern und Regierungsvertreterinnen und der australischen Botschaft.

Die koloniale Vorgeschichte

Bereits im April und November 2019 kehrten 83 Verstorbene, die zuvor Teil der Sammlungen waren, nach Australien zurück. Alle diese menschlichen Gebeine wurden im Rahmen kolonialer Aneignung und Plünderung in das Museum verbracht. Nun können Vertreter und Vertreterinnen der Mutthi Mutthi, Worimi, Gannagal und Awabakal aus New South Wales, ihre Vorfahren empfangen und nach Hause begleiten.

Vor der feierlichen Repatriierung bereiteten die traditionellen Custodians mit Zeremonien die Heimkehr der Ahnen vor. Die Repatriierung menschlicher Überreste Indigener Vorfahren ist ein wichtiger Teil der Dekolonialisierung der ethnologischen Museen Sachsens.

Die Zusammenarbeit mit den Vertretern und Vertreterinnen der First Nations aus Australien, sowie den politischen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen beider Länder ist ein zentraler Bestandteil der Repatriierung. Die Rückkehr der sterblichen Überreste ist für den Prozess der Versöhnung in Anbetracht kolonialer Vergehen, fundamental.

Die menschlichen Gebeine stammen aus Grabplünderungen, sowie von Opfern gewaltsamer Auseinandersetzungen. Sie gelangten zwischen 1876 und 1902 als Kauf und als Schenkung an das Königlich Zoologische und Anthropologisch-Ethnographische Museum, der Vorgängerinstitution des 1945 gegründeten Museums für Völkerkunde Dresden (MVD), das seit 2010 als Teil der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehört.

Gespräche seit 2017

Seit 2009 verfolgt die australische Regierung das Ziel einer Repatriierung der First Nations Vorfahren. 2017 fanden in Dresden Gespräche zwischen Mitgliedern der australischen Botschaft in Berlin und Mitgliedern der australischen Regierung, Vertretern und Vertreterinnen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sowie des Freistaats Sachsen statt.

Die Beteiligten vereinbarten, die Provenienzforschung zu den menschlichen Überresten Indigener Australier und Australierinnen zu intensivieren und eine Rückgabe an das Herkunftsland Australien und die entsprechenden Communities vorzubereiten.

Das Grassi Museum für Völkerkunde erforscht auch seine Leipziger Bestände seit Jahren auf die Provenienz der Sammlungsstücke und ihre mögliche koloniale Vergangenheit. Darüber informiert das Museum auf einer eigenen Website.

„Dass wir diese nunmehr dritte Repatriierung durch die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen erneut gemeinsam mit Herkunftsgemeinschaften begehen können, ist ein großes Privileg, für das wir sehr dankbar sind“, sagte Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden aus diesem Anlass.

„Die Nachfahren der Verstorbenen im Museum begrüßen zu dürfen, erlaubt uns, einen Prozess der Heilung mitzugestalten und Beziehungen zu reparieren, die lange Zeit von kolonialer Gewalt geprägt waren. Wir setzen uns dafür ein, dass auch die letzten Verstorbenen, die sich in sächsischen Völkerkundemuseen befinden, auf Wunsch der Nachkommen nach Australien zurückkehren können.“

Respekt für die Vorfahren

Susan Templeman MP, Sonderbeauftragte des australischen Premierministers für die Künste, betonte: „Diese Delegation hat sich auf eine emotionale Reise ans andere Ende der Welt begeben, aber wir haben sie in der Hoffnung angetreten, dass sie uns der Versöhnung einen Schritt näherbringen wird.

Das Wegbringen der Vorfahren vor mehr als 100 Jahren hat bei den First Nations Peoples Australiens tiefes Leid verursacht. Wir begrüßen die Zusammenarbeit mit den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen bei der Rückführung dieser Vorfahren und würdigen den Respekt, den sie den First Nations Peoples in dieser Delegation entgegengebracht haben.

Indem wir diese Vorfahren nach Hause bringen, wollen wir ihnen die Würde und den Respekt erweisen, die ihnen verweigert wurden, als man sie aus ihrem Land wegbrachte.“

Aber auch Vertreter der First Nations betonten die Wichtigkeit dieser Rückführung.

Rowena Welsh erklärte im Namen der Gannagal-Vorfahren von Port Jackson, New South Wales: „Es ist wichtig, dass unsere Vorfahren zurückgebracht und auf ihrem traditionellen Land von ihrem Volk in Übereinstimmung mit den Überlieferungen und Bräuchen der Aboriginal Peoples begraben werden. Die Rückführung unserer Vorfahren und die Teilnahme an diesem Prozess trägt dazu bei, unsere Kultur zu bewahren und die ungerechte Behandlung unseres Volkes seit der Kolonialisierung zu heilen und zu korrigieren.“

Im Namen der Awabakal-Vorfahren aus Newcastle, New South Wales, sagte Kumarah Kelly: „Es ist wichtig, dass die menschlichen Überreste der Aboriginal Peoples ins Land und zu Mutter Erde zurückgebracht werden, um den Übergang des Geistes in die nächste Ebene zu gewährleisten. Indem wir die menschlichen Überreste unserer Vorfahren ins Land zurückbringen, können wir unsere Gemeinschaft heilen und unser Land so gut wie möglich in seine rechtmäßige Position zurückbringen.“

Und David Feeney betonte im Namen des Worimi-Vorfahren aus Port Stephens, New South Wales: „Seit über 300 Jahren wurde das kulturelle Erbe der Aboriginal Peoples aus Australien entwendet, nach Übersee gebracht und in Museen, Universitäten und privaten Sammlungen untergebracht. Heilung wird dann beginnen, wenn unsere Vorfahren zurück auf ihrem Land sind.“

Für die Mutthi Mutthi Vorfahren von Balranald, New South Wales, sagte Kaleana Reyland: „Es ist unsere kulturelle Verpflichtung und unser ererbtes Recht, die Vorfahren auf ihr Land zurückzubringen. Die Rückgabe unserer Ahnfrau an das Land, wo sie hingehört, ist von großer Bedeutung. Wir werden die Reise der Rückführung unserer Vorfahren nach Hause, in unser Land, fortsetzen und hoffen, dass die jüngeren Generationen diese schwere Last nicht zu tragen haben.“

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