Es wäre so schön gewesen, die lockerste und flockigste Einstimmung auf das kommende Fest der Feste. Geplant war sie für den 28. November in der Peterskirche. Doch auch das „Winter Wonderland“-Programm von Quintense musste aufgrund des „Lockdowns Light“ abgesagt werden. Und nun? Fällt damit Weihnachten ins Wasser?

Natürlich nicht. Und eigentlich kann man das ganze Gejammer in großen und kleinen Zeitungen und Sendern über das gefährdete Weihnachtsfest nicht mehr hören und lesen. Genauso wenig, wie man die ewige Wham-Weihnachtsschnulze auf überfüllten Weihnachtsmärkten mehr hören mag.

Eigentlich entlarvt sich die Plattheit unserer Konsumwelt jedes Jahr genau mit diesem überall gleichen, stereotyp mit Kunst-Gefühlen aufgemotztem Seligkeits-Gedudel, das weder mit dem ursprünglichen Sinn des Weihnachtsfestes noch mit wirklicher Besinnung irgendetwas zu tun hat.

Statt dass wir einfach mal froh sind, dass es ein Jahr ohne diesen ganzen Ramsch und besoffene Glühwein-Horden in unseren Innenstädten gibt. Sondern Stille.

Und deutlich nachdenklichere Einkäufer, die lieber genau nachdenken, was sie dieses Jahr wirklich kaufen und schenken wollen und wie sie mit ihren Nächsten umgehen, die sie eben nicht einfach zum üblichen Gemeinsam-Feiern-Alibi-Fressen einladen, nach dem hinterher alle irgendwie froh sind, dass es vorbei ist und sie der buckligen Verwandtschaft nicht mehr stundenlang eine fröhliche Miene zum gackernden Besäufnis machen müssen, obwohl sie sich nach nichts mehr sehnen als nach Ruhe. Und zwar ohne Weihnachtsmusik aus dem Standardprogramm der deutschen Fernseh-Volks-Besinnlichung.

Denn das ist möglich.

Und als hätten sie es geahnt, haben die Fünf von Quintense schon im April angefangen, ein ordentliches Crowdfunding anzukurbeln, um ihre beiden Wunsch-CDs noch in diesem Jahr einspielen zu können. Zeit hatten Katrin Enkemeier, Sabrina Häckel, Martin Lorenz, Carsten Göpfert und Jonas Enseleit in diesem Jahr ja genug, da ja nun fast alles abgesagt wurde, was an Konzerten überhaupt geplant war.

Quintense Crowdfunding 2020

Eigentlich gehören die Fünf zur großen Leipziger A-Cappella-Szene. Und eigentlich nicht so ganz. Denn sie sind selbst in diesem faszinierenden Feld eine Ausnahme.

Ihr Genre bezeichnen sie selbst als Pop A Cappella. Zusammengetan haben sich die fünf Sängerinnen und Sänger 2015. Und sie sind auch auf ihrer Homepage überglücklich, wie viel sie schon erreicht haben: „Das junge Leipziger Ensemble begeistert längst nicht nur Liebhaber der Vokalmusik. Seit ihrer Gründung 2015 wurden sie national wie international bereits mehrfach mit Gold ausgezeichnet. Die fünf Sängerinnen und Sänger erschaffen einen außergewöhnlich harmonischen sowie mitreißend groovigen Sound, welcher jedes Publikum gleichermaßen berührt wie beeindruckt. (…) Sobald die fünf Stimmen zu einer verschmelzen, wird jedes Konzert zu einem unvergesslichen Erlebnis.“

Den groovigen Sound setzen sie auch mit „Winter Wonderland“ in Szene. Erleben konnte man dieses Programm mit amerikanischen Weihnachtsliedern schon vor einem Jahr. Und dass da ganz anders die Post abgeht, weiß jeder, der seine Assoziationen bei deutschen Weihnachtliedern mit denen bei „Let it snow“, „Rudolph The Red Nosed Reindeer“ oder „Winter Wonderland“ vergleicht. Da zerläuft unter deutschen Tannenbäumen schon das Gemüt in lauter klebriger Süße, während man bei diesen amerikanischen Songs einfach aufspringen und tanzen möchte. Raus mit der Freude.

Wäre da nicht auch schon so ein leichtes Gefühl der Überfütterung.

Quintense –Winter Wonderland Trailer

Aber nicht bei Quintense. Denn sie haben alle Songs neu arrangiert und in einen Sound verwandelt, der einen nicht einmal in die wohligen Kindheitserinnerungen an längst vergangene Weihnachtsfeste zurückversetzt. Obwohl die fünf im Booklet ihre schönsten Erinnerungen an ihre Kindheitsweihnachten erzählen. Es geht viel weiter zurück. Man landet eigentlich mitten in den 1940er und 1950er Jahren. Das ist Swing, was die Fünf hier bieten, wenn auch mit viel Spaß noch eine Stufe höher gedreht, sodass das Singen zum Spiel wird.

Da müssen sich auch die Christmas-Klassiker so einiges gefallen lassen. Die Absicht, hier wieder selige Stimmung aufkommen zu lassen, hatte Quintense ganz bestimmt nicht. Jedes Lied wird zu einem vergnügten Abenteuer, in dem die fünf mit ihren Stimmen brillieren. Und nicht einmal bei „O Holy Night“ wird es „gemütlich“, sondern bleibt beswingt, übermütig, augenzwinkernd.

Denn wie kann man solche Songs, die die meisten Menschen schon zig Mal gehört haben, überhaupt noch interpretieren, wenn man nicht mit ihnen spielt und die Zuhörer in diesem Spiel mitnimmt? Schluss mit der Bravheit aus dem Musikunterricht. Flotte Melodien sind dazu da, das Feuer aus ihnen herauszukitzeln.

So werden auch altbekannte Lieder zu einer Überraschung unterm Weihnachtsbaum. Wenn denn die selige deutsche Tanne überhaupt noch passen sollte zum Lebensgefühl dieser jungen Leute, denen man ganz bestimmt nicht mehr zutraut, dass sie Weihnachten noch wie ihre Eltern und Großeltern feiern.

Vom Nadelbaum auf dem Cover darf man sich also nicht täuschen lassen. Das hier ist wirklich richtig flippige Musik zu einem Fest, bei dem eher eine bunte Weihnachtspizza auf dem Tisch steht als eine gebratene Gans. Und wohl auch eher die ganze geliebte Verwandtschaft auf dem Video-Monitor erscheint.

Denn feiern werden ja die meisten diesmal auf Distanz und vielleicht mit deshalb auch nicht ganz so schwermütigen Botschaften und Gesprächen. Und Musik, die einfach Lebensfreude bringt, wo die Jammerköppe in TV und Print sich gerade vor lauter Bangen um das kalorienreichste Fest aller Feste nicht mehr einkriegen.

Holt euch lieber diese Scheibe oder verschenkt sie in alle Himmelsrichtungen. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir Weihnachten nicht mehr den Trauerklößen und Schwermutbläsern überlassen. Schaltet lieber die Jukebox an. Das Leben geht weiter.

Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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