Das Oberlandesgericht Dresden verhandelt seit September 2021 gegen vier Antifaschist/-innen. Ihnen wird vorgeworfen, eine „kriminelle Vereinigung“ gebildet und Angriffe auf Neonazis oder Menschen, die sie dem rechten Lager zuordneten, durchgeführt zu haben. Das erste halbe Jahr im Prozess war von Detailarbeit geprägt. Interessanter wurde es jedoch im März beziehungsweise April, als sowohl im Prozess selbst als auch durch äußere Entwicklungen der Prozess neue Facetten erhalten hat.

Mehrere Personen wurden bei den Angriffen schwer verletzt; teilweise treten diese als Nebenkläger im Verfahren auf. Bekannt wurde vor allem die Angeklagte Lina E., die laut Ermittlungsbehörden mutmaßliche „Rädelsführerin“. Im Wesentlichen soll sie es gewesen sein, die die Aktionen geplant und vor Ort die Kommandos gegeben hat.

Mittlerweile wurden alle Straftaten, die der Gruppe oder bestimmten Mitgliedern zugerechnet werden, im Prozess behandelt: Angriffe auf Einzelpersonen in Wurzen und Leipzig, darunter der ehemalige NPD-Stadtrat Enrico Böhm, sowie Überfälle auf eine Gruppe, die von einer Nazidemo in Dresden zurückkehrte, und auf die Gäste einer bei Rechtsradikalen beliebten Kneipe in Eisenach. Der Inhaber dieser Einrichtung wurde später ein weiteres Mal angegriffen.

Wenig brauchbare Zeugenaussagen

Das erste halbe Jahr im Prozess war von Detailarbeit geprägt. Es ging darum, den Angeklagten nachzuweisen, wann sie wen ausgespäht haben sollen und welche verdächtigen Materialien sie beschafft oder besessen haben. Auch dass Personen in Tatortnähe angetroffen wurden oder vermeintlich verdächtige Äußerungen getroffen haben, spielte eine Rolle.

Weniger brauchbar waren hingegen die zahlreichen Aussagen von Zeug/-innen beziehungsweise Betroffenen. Die vermummten Angreifer/-innen waren bei den Taten schließlich nicht identifizierbar. Und dass häufig eine Frau unter den Angreifer/-innen wahrgenommen wurde, besitzt für sich genommen ebenfalls wenig Aussagekraft.

Interessanter wurde es jedoch im März beziehungsweise April, als sowohl im Prozess selbst als auch durch äußere Entwicklungen der Prozess neue Facetten erhalten hat. Den Anfang machte am 16. März die Verteidigung der Angeklagten, die einen Beweisantrag einbrachte. Ziel dieses Antrags war es, zu verdeutlichen, dass einer der Angeklagten eine ihm vorgeworfene Tat wahrscheinlich nicht begangen haben kann.

Konkret drehte es sich um den Angriff auf die Eisenacher Kneipe „Bull‘s Eye“ in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2019. Dass einer der Angeklagten zu dieser Zeit in Berlin war, soll laut Verteidigung aus abgehörten Gesprächen hervorgehen. Diese wiederum hätten in einem anderen Verfahren eine Rolle gespielt.

Vorwürfe an die Bundesanwaltschaft

„Dass dieser Alibibeweis gelungen ist, ist lediglich einem Zufall geschuldet“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der acht Verteidiger/-innen. „Tatsächlich befanden sich die entscheidenden Beweise seit Oktober 2019 in den Händen der Bundesanwaltschaft.“ Die Verteidigung, die das entlastende Material erst zweieinhalb Jahre später erhalten haben soll, sieht sich nun in der Annahme bestätigt, dass die Ermittlungen einseitig geführt würden. Das ließe sich auch darin erkennen, dass abgehörte Gespräche in eine bestimmte Richtung interpretiert wurden und alternative Deutungen keine Rolle gespielt hätten.

Das „Solidaritätsbündnis Antifa Ost“ sprach in einer eigenen Pressemitteilung davon, dass die Bundesanwaltschaft entlastendes Material „unterschlagen“ habe. Weiter heißt es: „Die offenkundige Manipulation der Beweislage zeigt den politischen Charakter dieses Verfahrens und entlarvt erneut den unbedingten Verurteilungswillen der Justizbehörden.“

Dass diese sich auch von „zahlreichen Widersprüchen“ nicht von ihrem Weg abbringen lasse, sei nicht überraschend, erklärt Bündnissprecherin Marta Zionek auf Anfrage. Auch die Versuche der Verteidigung, das Gericht auf Verbindungen zwischen bestimmten Beamt/-innen, die als Zeug/-innen aussagen, und der rechten Szene hinzuweisen, seien wenig zielführend. „Man redet gegen eine Wand“, so Zionek.

Für Aufsehen hatten vor allem zu Beginn des Prozesses die mutmaßlichen Kontakte von LKA-Mitarbeiter/-innen zum rechtsextremen Magazin „Compact“ gesorgt. Dieses verfügte beispielsweise über Interna von Hausdurchsuchungen. Auch Kopien von Gerichtsakten landeten offenbar bei der völkischen, verschwörungsideologischen Publikation von Chefredakteur Jürgen Elsässer.

Im April machte zudem ein weiterer LKA-Beamter von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Gegen ihn werde im Zusammenhang mit dem sogenannten Munitionsskandal beim mittlerweile aufgelösten Mobilen Einsatzkommando Dresden ermittelt. Dass es sich beim LKA nur um Einzelfälle mit Verstrickungen zu Rechten handeln würde, sei offensichtlich nicht haltbar, so das Solibündnis.

Razzia gegen mutmaßlich 50 Rechtsextreme

Ebenfalls nicht um Einzelfälle ging es bei einer Polizei-Razzia am 6. April. Mehr als 800 Beamt/-innen durchsuchten 50 Beschuldigte aus der rechten Szene. Es dürfte sich um eine der größten Maßnahmen dieser Art in den vergangenen Jahrzehnten gehandelt haben. Im Fokus der Ermittler/-innen standen mutmaßliche Mitglieder mehrerer rechter Gruppen, die in irgendeiner Form gewaltbereit oder gewalttätig sein sollen.

Der Titel der 101. Ausgabe der LZ, seit 29. April 2022 im Handel. Foto: LZ

Bei einer Gruppe soll es sich beispielsweise um den deutschen Ableger der aus den USA stammenden „Atomwaffen Division“ handeln. Diese ist in ihrem Herkunftsland für mehrere Morde verantwortlich. Den mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern der deutschen Gruppe wird daher vorgeworfen, einen „Rassenkrieg“ und letztlich einen gewaltsamen Umsturz des politischen Systems geplant zu haben. Ähnliches wird den mutmaßlichen Mitgliedern von „Combat 18 Deutschland“ vorgeworfen – einer Gruppe, die eigentlich schon verboten wurde.

Interessant waren die Durchsuchungen hinsichtlich einer markanten Verbindung zum Dresdner Verfahren gegen die Antifaschist/-innen. So wurden mit Leon R., Maximilian A., Eric K. und Bastian A. vier mutmaßliche Mitglieder der Eisenacher Kampfsportgruppe „Knockout 51“ festgenommen.

Die Gruppe soll „junge, nationalistisch gesinnte Männer unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Trainings angelockt“ und mit „rechtsextremem Gedankengut indoktriniert und für Straßenkämpfe ausgebildet“ haben. Solche Straßenkämpfe sollen dann unter anderem am 7. November 2020 in Leipzig stattgefunden haben, als es aus einer verbotenen „Querdenken“-Demonstration heraus zu Gewalt gegen Polizei und Presse kam.

Angebliches Opfer der angeklagten Antifaschist/-innen unter den Festgenommenen

Die Verbindung zum Dresdner Verfahren besteht darin, dass es sich bei Leon R. um einen Nebenkläger handelt. Er ist Betreiber der Gaststätte „Bull‘s Eye“ und wurde zweimal angegriffen. Erst kurz vor der Festnahme hatte R. im Prozess in Dresden ausgesagt.

Diesen zeitlichen Zusammenhang kritisierte das Solibündnis in einer Pressemitteilung: „Die Neonazis haben ihren Dienst für die Behörden getan und brav ausgesagt, auch wenn nicht viel Wahrheit dabei war. Jetzt kann die Bundesanwaltschaft sich als Hüterin der Demokratie inszenieren und galant über ihre eigenen dubiosen Ermittlungsmethoden und Falschanschuldigungen hinwegtäuschen.“

Dass diese Durchsuchungen und der Beweisantrag der Verteidigung einen nennenswerten Einfluss auf die noch kommenden Prozesstage haben werden, glaubt Marta Zionek nicht. „Vom Gericht erwarten wir nichts“, sagt sie mit Blick auf die Erwartungen an den Vorsitzenden Richter.

Man selbst wolle öffentlichkeitswirksam darauf hinweisen, dass Antifaschist/-innen „dämonisiert“ würden. Eine Prognose, ob es zu Schuldsprüchen kommen wird, könne sie nicht abgeben. „Der Vorsitzende Richter lässt sich überhaupt nicht in die Karten gucken.“

Spannend bleibt die Frage, ob manche Beobachter/-innen des Prozesses den Angriff auf das „Bull‘s Eye“, durch wen auch immer, nun anders bewerten. Es könnte mal wieder eine Diskussion darüber entstehen, welche Vorgehensweisen legitim sind, um Neonazis aufzuhalten. Schließlich war es jenes „Bull‘s Eye“, das offenbar eine wichtige Rolle dabei spielte, dass sich rechtsextreme, vielleicht sogar rechtsterroristische Strukturen in den zweieinhalb Jahren zwischen Angriff und Festnahmen in Eisenach entwickeln konnten.

„Zwischen Beweisantrag und Großrazzia“ erschien erstmals am 29. April 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 101 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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