Nachdem der Kronzeuge im Lina-E-Verfahren, Johannes D., gestern Fragen zum zweiten Überfall in Eisenach beantwortet hat, soll sich die Vernehmung am heutigen Donnerstag, den 4. August, um die generellen Scouting-Aufgaben, das Training sowie D.s Werdegang in die „gewaltbereite Szene“ und seine Kontakte drehen. Die LZ wird im Laufe des Tages fortlaufend über die aktuellen Entwicklungen in Dresden informieren.

Unsere Berichterstattung zum gestrigen Verhandlungstag finden Sie hier.

9:40 Uhr: „An den verschiedenen Zugstationen wurden dann Angriffe auf Rechtsradikale vollzogen“

Direkt zu Anfang geht es um Johannes D.s Scouting-Tätigkeiten. Er habe nicht nur in Eisenach diese Aufklärungsfunktion übernommen, sondern noch in vielen anderen Fällen. Dabei beobachtete er meistens die An- und Abreisen von rechtsextremen Demos. Individuen wie Leon R. in Eisenach auszuspähen, sei eher ein Einzelfall gewesen.

Johannes D. berichtet, wie er in Sachsen und den umliegenden Bundesländern in Züge gestiegen ist, um zu beobachten, welche rechtsextremen Demoteilnehmer an welchen Stationen zusteigen, in welcher Anzahl und „Konstitution“. Daraufhin habe er Leute kontaktiert, die mit Autos an den besagten Stationen warteten, um „zuzugreifen“, so Johannes D.

10:15 Uhr: „Es wurden immer einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen“

Sowohl bei den Aufklärungstätigkeiten als auch bei den Überfällen seien viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. So habe er immer Wegwerfhandys benutzt und sich möglichst unauffällig gekleidet.

Außerdem sei in der Szene viel darüber geredet worden, keine DNA zu hinterlassen. Gerauchte Zigaretten wurden wieder mitgenommen, Tatwerkzeuge mit Chlor gereinigt. „Das ist der größte Worst Case, wenn es bei einer Festnahme einen DNA-Treffer für frühere Taten gibt“, erklärt Johannes D.

10:30 Uhr: „Die Angriffe entstanden immer im Kontext um Johann G. und Lina E.“

Er selbst habe auch zwei Mal im „Zugriffsteam“ gearbeitet. Zum einen bei einer Tat in Weißenfels. Zum anderen bei den Ausschreitungen rund um die Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main im Jahr 2015.

An allen Aktionen, an denen er beteiligt war – ob als Scout oder Angreifer –, seien auch Leipziger/-innen beteiligt gewesen. „Das entstand immer im Kontext um Johann G. und Lina E.“, erzählt Johannes D. Die beiden hätten meist zusammen agiert.

10:45: „Ich wurde dann im Februar 2020 noch mal für einen Überfall in Wurzen angefragt“

Nach dem Überfall im Dezember 2019 in Eisenach habe er keine Tätigkeiten mehr übernommen, da er noch darauf wartete, ob er mit den Angriffen in Verbindung gebracht werden und ihm dann ein Verfahren bevorstehen würde.

Er sei aber von Johann G. im Februar 2020 für eine Scouting-Tätigkeit angefragt worden. Bei der Aktion sollten Rechtsextreme auf dem Rückweg vom „Trauermarsch“ in Dresden angegriffen werden – in Wurzen. Zu einem Angriff am Bahnhof Wurzen kam es dann tatsächlich am 15. Februar 2020. Die Frage, ob die Gruppe um Lina E. und Johann G. diese Tat ausübte, ist ebenfalls Teil dieses Prozesses.

11:20 Uhr: „Wir trainierten damals in der Gießerstraße“

Für die Aktion in Wurzen sollte Johannes D. noch weitere Leute anfragen. Dafür wandte er sich an Bekannte aus seiner Wahlheimat Berlin und seiner Geburtsstadt Nürnberg. Er selbst habe dort Kontakte zur Straight-Edge-Szene – genauso wie der Angeklagte Jonathan M. und der mutmaßlich am Überfall in Eisenach beteiligte Tobias E.

Obwohl Johannes D. laut eigener Aussage nach dem Überfall in Eisenach an keinen Aktionen mehr teilnahm, „trainierte“ er noch bis Sommer 2021 für verschiedene Szenarien. Laut seiner Aussage fanden die Trainings in der Gießerstraße im Leipziger Westen statt.

12 Uhr: „Gewalt war für mich das wirksamste Mittel, um politische Positionen durchzusetzen“

Kurz vor der Mittagspause wurde die Befragung dann sehr abstrakt und politisch. Ging es zunächst noch darum, wie sich sein generelles politisches und geschichtliches Interesse entwickelte, drehte sich der größte Teil dieses Fragenkomplexes um „militante Politik“.

Laut Johannes D. war diese für ihn damals ein Mittel, seine politischen Positionen durchzusetzen. Nachdem er sich zunächst in klassischen Antifa-Gruppen organisierte und Teil von „Das Schweigen durchbrechen“, einer antifaschistischen Organisation in Nürnberg, war, vernetzte er sich später in anderen Gruppen. Gruppen, die Straftaten wie Sachbeschädigung und Körperverletzung als die wirksamsten politischen Mittel ansahen.

„Ich fand unsere Aktionen damals sehr angebracht. Wir haben nicht komplett abgedreht wie die RAF, aber auch nicht nur plumpe Aktionen nach dogmatischen Ideen und ohne Inhalt durchgeführt“, so D. im Zeugenstand. Heute sei ihm diese Denkweise sehr fremd.

12:30 Uhr: Kundgebung vor dem Oberlandesgericht

Bei der Kundgebung in der heutigen Mittagspause ging es vor allem darum, dass Lina E. und den weiteren Angeklagten nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches die Gründung und Führung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Die Redner/-innen beklagten, dass es bisher keine stichfesten Beweise dafür gibt und dass dieser Paragraph vor allem für „wirklich kriminelle“, quasi mafiose Organisationen gelten sollte.

13:15 Uhr: „Zu Johann und Lina hatte ich ein sehr freundschaftliches Verhältnis“

Die Befragung drehte sich nun um die Kontakte und Beziehungen in der Gruppe um die Angeklagten. Johannes D. berichtet, dass sein erster Bezugspunkt Johann G. war, den er um 2009 in Bayern kennenlernte und gelegentlich auf Demos wieder traf.

Einige Jahre später trafen sich Johannes D. und Johann G. dann in Leipzig wieder. Johann G., der damals in Leipzig Geschichte studierte, lud D. hin und wieder ein. Über ihn habe er dann später auch Lina kennengelernt. Deren Verhältnis habe sich im Rahmen von Gefängnisbesuchen bei Johann G. vertieft, als dieser in Regis-Breitingen einsaß.

Hinzu sei dann natürlich auch die politische Ebene gekommen: Demonstrationen, aber auch Einladungen zu den „Trainings“. Bei diesen lernte Johannes D. nach eigener Aussage dann auch die Mitangeklagten Lennart A. und Jonathan M. kennen. Zum letzten Angeklagten Jannis R. habe er nie ein freundschaftliches Verhältnis gehabt.

13:50 Uhr: „Die Trainings waren zum Vernetzen und Angriffeüben“

Aus den Trainings habe sich dann immer mehr das gemeinsame militante politische Agieren der Gruppe entwickelt. Von Ausschreitungen auf Demonstrationen bis hin zu Einzelaktionen. Als der Vorsitzende Richter Schlüter-Staats immer wieder nachhakt, welche Aktionen das denn gewesen seien, macht der Kronzeuge Gebrauch von seinem Aussageverweigerungsrecht – er könne sich selbst belasten.

Die erste Einladung zu einem Training habe er dann von Johann G. erhalten, erzählt Johannes D. im Zeugenstand. Er selbst hatte zuvor schon Thai-Boxen gemacht. Das Training im sogenannten „Black Triangle“ bestand jedoch nicht aus 1:1-Kämpfen, sondern eher das Einüben von Bewegungsabläufen bei gemeinsamen Aktionen. Rund 25 Leute und zwei Trainer hätten daran teilgenommen.

„Das waren aber keine klassischen Sportgruppen. Die Trainings waren zum Vernetzen und es wurden Angriffe auf Rechtsradikale geübt“, so D.

14 Uhr: „Bei einem Großtraining waren rund 40 Leute anwesend“

Danach erzählt er von den Trainings in der Gießerstraße, die er laut eigenen Angaben acht bis zwölf Mal besucht habe. In dieser Zeit habe es auch ein Großtraining gegeben – gegenüber vom Chemie-Leipzig-Stadion.

Rund 40 Leute aus ganz Deutschland seien angereist – mit dabei waren laut D. auch Lina E. und Johann G. Die Trainingsinhalte sollen sich vor allem darauf konzentriert haben, auf Angriffe zu reagieren, sie aber auch selbst auszuführen. Auch die generelle Koordinierung von Demonstrationen sei dabei eingeübt worden.

15:15 Uhr: „In 30 Sekunden kann man viel Schaden anrichten“

Laut Johannes D. gab es in den Gruppen, in denen er politisch agierte, auch einige „Sicherheitsstandards“. Dazu gehörten neben dem anfangs erwähnten Vermeiden von DNA-Spuren und Fingerabdrücken auch eine sichere Kommunikation: Wegwerfhandys, keine Klarnamen benutzen, verschlüsselte Messenger-Dienste, nicht in geschlossenen Räumen über Straftaten sprechen.

Außerdem sollte man seine Wohnung möglichst frei von Beweismitteln und Indizien halten. Der Beisitzende Richter Andreae fragte dabei auch nach möglichen Depots, um Sachen zu lagern, die mit den Straftaten in Verbindung gebracht werden könnten. Dabei bezog er sich auf den Verdacht der Ermittlungsbehörden, dass es solch ein Depot in Leipzig gebe. Dazu konnte Johannes D. keine Aussage treffen; ihm sei so etwas nicht bekannt.

Den letzten Sicherheitsstandard, den Johannes D. benannte, war die möglichst kurze Angriffszeit. Im Training und auch bei Angriffen wurde darauf geachtet, 30 Sekunden nicht zu überschreiten. „Das klingt jetzt nach einer kurzen Zeit, aber in 30 Sekunden kann man viel Schaden anrichten“, so D. Länger sollte eine Aktion nicht dauern, um Gerangel, das Eingreifen durch Externe oder Polizei sowie die Beobachtung von Merkmalen durch Zeugen oder die Geschädigten zu vermeiden.

16 Uhr: Lina E. sei in Eisenach die „Übersichtsperson“ gewesen

Daraufhin schloss Richter Andreae einen Fragenkomplex zu „Bezugsgruppen“ an. In diesen gab es verschiedene Rollen. So beispielsweise die Übersichtsperson, die den Angriff zwar nicht direkt koordiniert, aber aufpasst, Hinweise gibt und auch die besagten 30 Sekunden im Blick hat. Nach Ablaufen der Zeit signalisiert diese Person den Rückzug. Laut D. habe Lina E. diese Aufgabe bei dem Angriff in Eisenach im Dezember 2019 gehabt.

Neben der Übersichtsperson gebe es noch eine Person, die den „Erstkontakt“ zum Opfer herstellt – durch Ansprechen beispielsweise. Die anderen Personen seien dann die Angreifer, die das Opfer zu Boden bringen sollen. D. sagt aber auch, dass diese Rollen flexibel seien und nicht eine Person immer die Übersichtsrolle innehatte beispielsweise.

16:15 Uhr: Rollenverteilungen im Training

Diese Rollenverteilung wurde laut D. auch im Training geübt. Dabei wurde jeweils eine Opfer- und eine Angreifergruppe gebildet. In verschiedenen Szenarien sollten die Opfer zu Boden gebracht werden. Dabei wurde unter anderem mit gepolsterten Stöcken und Wasserspray als Ersatz für das Reizgas trainiert.

Auch Szenarien, in denen die Opfer beispielsweise Messer dabei hatten, seien Trainingsinhalt gewesen. Außerdem wurden bestimmte Körperregionen benannt, die geschädigt werden sollten – Schienbein und Sprunggelenk unter anderem.

Ausblick

Am morgigen Freitag, 5. August, wird die Befragung von Johannes D. fortgesetzt.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Antonia Weber über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar