Der Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte neigt sich dem Ende entgegen. Seit November 2020 ist die junge Frau in Untersuchungshaft; am 8. September 2021 startete die Verhandlung. Die Bundesanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer nun eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren für Lina E. Das Urteil am Oberlandesgericht Dresden wird frühestens im Mai erwartet. Wie verlief der Prozess? Was sieht die Bundesanwaltschaft als erwiesen an? Zusammenfassung eines der größten Prozesse gegen mutmaßliche Linksextreme.

Beginn 2021: Ermittlungsakte zur „Kriminellen Vereinigung“ ist leer

Im Mai 2021 ist das Ermittlungsverfahren gegen die vier Angeklagten abgeschlossen. 18 Monate hat das Landeskriminalamt Sachsen (LKA) ermittelt; sechs Monate war die Generalbundesanwaltschaft involviert. Telefone und Gespräche in Autos wurden überwacht,  Finanzermittlungen und Observationen durchgeführt, es gab Razzien in Wohnungen. „Nichtsdestotrotz ist die Anklageschrift mit heißer Nadel gestrickt“, kritisierten die Verteidiger/-innen der vier Angeklagten zu Beginn des Prozesses im September 2021.

Gleich am ersten Verhandlungstag ging es heiß zur Sache: Nach der einstündigen Anklageverlesung ging es um fehlende Unterlagen, durchgestochene Informationen, rechte Nebenkläger und die Frage, ob es überhaupt jemals eine „Gruppe E.“ und somit einen Anlass für ein „129er-Verfahren“ zur „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ (gemäß § 129 des Strafgesetzbuchs) gab. Die Ermittlungsakte zur Organisationsstruktur der angeblich „Kriminellen Vereinigung“ ist zu Beginn des Prozesses nämlich leer.

Bis ins Frühjahr 2022 werden nach und nach Zeugen und Geschädigte der verschiedenen Angriffe angehört. Im Zeitraum 2018 bis 2020 sollen bei acht Straftaten 13 Personen, welche der rechten Szene zugeschrieben werden, zu Schaden gekommen seien. Darunter beispielsweise der ehemalige Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Böhm. Die Zeugenaussagen sollten nachweisen, wann die Angeklagten wen ausgespäht haben sollen und welche verdächtigen Materialien sie beschafft oder besessen haben.

Juli 2022: Der Kronzeuge kommt

Die Aussage von „Kronzeuge“ Johannes D. verzögerte sich erwartungsgemäß. D.s Anwalt beantragte gleich zum Beginn des Verhandlungstages, die Öffentlichkeit während der Aussage seines Mandanten auszuschließen. Draußen demonstrierten währenddessen rund 40 Personen gegen den als „Verräter“ gesehenen Johannes D., der nach Vorwürfen sexueller Gewalt aus der Szene ausgeschlossen wurde.

Zwei Monate saß Johannes D. im Zeugenstand. Er wiegelte in seinen Ausführungen immer wieder ab, betonte seine subjektive Sicht und dass die Gruppe kein statisches Gebilde mit starrer Rangordnung war. Aber: „Es war schon das Ziel, geplant Nazis anzugreifen und zu schädigen“, fasste der junge Mann im September 2022 zusammen. Politische Diskussionen drehten sich seiner Aussage nach um die Haltung gegen Kapitalismus, Faschismus, Rassismus und Neonazis – obgleich in Detailfragen durchaus unterschiedliche Meinungen vorherrschten.

So hätten viele aus ihrer politischen Einstellung heraus beispielsweise Reisen nach Griechenland unternommen, um sich etwa über Flüchtlingscamps zu informieren. Um schlichte Krawall-Lust jedenfalls sei es niemals gegangen, so D.

Im Oktober 2022 äußert sich Lina E. das erste Mal offiziell selbst. Sie erklärt ihre persönlichen Verhältnisse, erzählt von ihrem Lebensweg.

April 2023: Bundesanwaltschaft fordert acht Jahre für Lina E.

Nun sind die Anhörungen abgeschlossen; die Plädoyers haben begonnen. Die Bundesanwaltschaft forderte am Mittwoch, dem 5. April, eine Freiheitsstrafe von acht Jahren für Lina E.; Bundesanwältin Alexandra Geilhorn sagte, dass die 28-Jährige als Rädelsführerin innerhalb einer kriminellen Vereinigung angesehen wird.

Lina E. wird neben der gefährlichen Körperverletzung auch des Landfriedensbruchs und der gemeinschaftlichen Sachbeschädigung sowie des räuberischen Diebstahls beschuldigt. Hinsichtlich ihrer drei Mitangeklagten wurden ebenfalls Freiheitsstrafen gefordert, wenn auch deutlich kürzer: für Lennart A. 3 Jahre und 3 Monate, für Jannis R. 2 Jahre und 9 Monate und für Jonathan M. 3 Jahre und 9 Monate.

Die nächsten Termine finden am 19. und 20. April statt. Dann wird voraussichtlich die Verteidigung beginnen, ihre Plädoyers vorzutragen. Im Mai wird dann das Urteil der Richter/-innen unter dem Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats erwartet. Die linke Szene kündigte bereits an, am Samstag nach dem Urteil, ihrem sogenannten „Tag X“, zu demonstrieren.

Schwierige Beweislage: „Es gibt keine Smoking Gun“

Überfälle auf den ehemaligen NPD-Stadtrat Enrico Böhm, den Rechtsextremen Cedric S., den Kanalarbeiter Tobias N., Angriffe auf die rechte Szenekneipe „Bull’s Eye“ und ihren Besitzer sowie die vom rechtsextremen „Trauermarsch“ zurückkehrenden Personen, der Diebstahl von Kfz-Kennzeichen und zwei Hämmern: Insgesamt acht Straftaten werden der Gruppe um Lina E. vorgeworfen.

Zu Beginn ihres Plädoyers gibt Bundesanwältin Alexandra Geilhorn zu: „Es gibt keine Smoking Gun.“ Nach rund eineinhalb Jahren Prozess lägen keine stichhaltigen Beweise für den Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ vor. Die Häufung der einzelnen Beweise und Indizien lasse die Bundesanwaltschaft jedoch zu dem Schluss kommen, dass die vier Angeklagten „bis auf zwei Ausnahmen der Taten überführt“ seien. E. sei dabei entweder vor Ort oder durch vorheriges Ausspähen sowie Beschaffen der Tatwerkzeuge an allen Überfällen beteiligt gewesen.

Dennoch gibt Geilhorn zu, dass die teils nebulösen Beweise für sich genommen „nicht alles erklären“ und einige sogar „anderer Deutung zugänglich“ seien, berichtete die LVZ. Zudem steht immer wieder die Kritik im Raum, dass die meisten Zeug/-innen in der rechten Szene zu verorten seien und die Beweiskraft ihrer Aussagen gegen eine mutmaßlich linksextreme Vereinigung dadurch angezweifelt werden müsse.

Der nächste Termin im Prozess gegen Lina E. et al vor dem Oberlandesgericht Dresden ist der 19. April 2023.

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