Zwischenfall am Freitag im Landgericht: Während der Verlesung eines Urteils rastete der Angeklagte aus, warf ein Mikrofon zur Richterbank und gab wüste Drohungen von sich. Justizwachtmeister mussten den 30-Jährigen überwältigen und vorübergehend abführen. Trotzdem konnte das Urteil dann am Ende doch noch verlesen werden. Und das hatte es in sich.

Er trat den ultimativen Beweis für seine Gefährlichkeit kurzerhand selbst an. Während der Vorsitzende Richter Johann Jagenlauf am Freitagmorgen die Urteilsformel verlas, quittierte Christian F. dies zunächst mit einer despektierlichen Handgeste, ehe er sich kurzerhand ein kleines Standmikrofon vom Tisch griff und dieses zur Richterbank schleuderte. Sicherheitsbeamte im Gerichtsaal lösten Alarm aus, brachten den Angeklagten zu Boden und fixierten ihn. Der 30-Jährige schrie und drohte unter anderem, die Frau des anwesenden Oberstaatsanwalts Ulrich Jakob zu töten. Ein Aufgebot an Wachtmeistern führte Christian F. schließlich ins Hinterzimmer ab. Dort behauptete er obendrein, einen Mord am Vorsitzenden Richter in Auftrag gegeben zu haben. Verletzt wurde bei dem Vorfall niemand.

Ein Bekannter des Angeklagten und dessen eigener Bruder folgten dem Geschehen auf der Zuschauerbank weinend und fassungslos.

Schockierender Gewaltexzess angeklagt

Nach längerer Unterbrechung wurde die Urteilsverkündung dann fortgesetzt, der Christian F. diesmal sitzend und mit auf dem Rücken gefesselten Händen folgen musste, flankiert von Wachtmeistern.

Die Strafkammer verurteilte Christian F. zu 13 Jahren Gefängnis plus anschließender Sicherungsverwahrung. Die Richter hatten nicht den geringsten Zweifel, dass sich der massiv vorbestrafte Mann unter anderem des versuchten Mordes, der versuchten schweren Vergewaltigung, der Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und vielfachen Körperverletzung schuldig gemacht hatte. Demnach prügelte und stach der 30-Jährige am 1. September 2022 in dessen Leutzscher Wohnung in der Georg-Schwarz-Straße auf einen Bekannten ein, weil der ihm keine Zigaretten gab, ließ den 64-Jährigen anschließend schwer verletzt und hilflos zurück.

Das Opfer überlebte den Angriff mit viel Glück. An das Geschehen kann sich der ältere Mann heute nicht mehr erinnern.

Kurz darauf habe Christian F. seine Freundin (32) gegen 23.30 Uhr in der Nähe des Leutzscher Rathauses nach einer Vielzahl an Drohungen und Verletzungen zum Oralverkehr zwingen wollen. Eine zufällig vorbeikommende Streifenwagen-Besatzung konnte ihn rechtzeitig festnehmen. Während er überwältigt wurde, stieß Christian F. laut Anklage Todesdrohungen gegen die Polizeibeamten und deren Familien aus. Bestandteil der Anklage waren zudem Würge-Attacken gegen seine Freundin und mehrere Flaschenwürfe an den Leutzsch-Arkaden vor den Gewalttaten, nur durch Glück kamen keine Unbeteiligten zu Schaden.

Rücksichtsloses und brutales Vorgehen

Der Ausbruch des Angeklagten im Gerichtsaal habe wohl eindrucksvoll letzte Zweifel beseitigt, wie Christian F. tickt und wie schnell sein eloquent-freundlicher Vorhang zusammenfällt, wenn es nicht nach seinem Kopf geht, resümierte der Vorsitzende Richter Johann Jagenlauf in der Urteilsbegründung.

Mit hemmungsloser Gewalt und ohne Bedacht auf die Konsequenzen verfolge der Tätowierer und Porno-Darsteller seine Ziele. Zweifelsfrei habe der in Dessau geborene Mann, ein gelernter Lagerist, eine wenig glückliche Biografie mit schwerer Kindheit und Jugend hinter sich, in der auch sexualisierte Gewalt eine Rolle gespielt haben soll. Das sei zutiefst zu bedauern. Aber: „Auch erlittenes Unrecht und ein schlechtes Leben rechtfertigen es nicht, seinen Kopf durch die Wand zu bohren, ohne Rücksicht auf die Rechte anderer“, stellte der Richter klar.

Christian F. selbst hatte sich im seit März laufenden Verfahren ausführlich zu den Vorwürfen geäußert und diese weitgehend zurückgewiesen. Für den Messerangriff auf den 64-jährigen Mann in Leutzsch, der ihm und seiner Freundin Unterschlupf angeboten hatte, machte Christian F. die 32-Jährige selbst verantwortlich.

Die Strafkammer hielt es jedoch aus vielerlei Gründen für unglaubhaft, dass die Belastungszeugin ein Komplott gegen Christian F. gesponnen haben soll. Obgleich die junge Frau, die den Angeklagten 2022 im Hamburger Obdachlosenasyl kennengelernt hatte, unter psychischen Problemen leide, gäbe es an der Stimmigkeit ihrer Aussage keinerlei Zweifel.

Angeklagter beschimpft sogar die eigene Anwältin

Ein forensischer Gutachter hatte Christian F. eine dissoziale Persönlichkeitsstörung bescheinigt, die aber keinen Einfluss auf seine Schuldfähigkeit gehabt habe. Auch der erhebliche Alkoholkonsum Christian F.s vor den Taten habe seine Steuerungsfähigkeit nicht entscheidend herabgesetzt. Neben der Haft und Sicherungsverwahrung ordnete das Gericht die Unterbringung von Christian F. in einer Entziehungsanstalt an.

Mit dem Urteil wurde den Ausführungen von Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob entsprochen. Die Verteidigung hatte auf fünf bis sechs Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung sowie einen Alkoholentzug plädiert und nur den Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung ins Spiel gebracht.

Gegen das Urteil kann Christian F. innerhalb einer Woche Revision einlegen. Wenn es nach ihm geht, wird das auch passieren, freilich mit neuem Rechtsbeistand an seiner Seite: Noch im Gerichtssaal fuhr der 30-Jährige seine eigene Anwältin Pamela Pabst an, sie sei gekündigt und werde „keinen Cent mehr“ bekommen.

In der Leipziger Untersuchungshaft hatte Christian F. schon im Dezember 2022 offenbar eine Krankenschwester attackiert, weil Essen und Medizin angeblich nicht kamen, und soll kürzlich sogar mit Geiselnahme gedroht haben. Daher waren die Sicherheitsmaßnahmen erhöht worden, Christian F. trug zuletzt permanent eine Fußfessel vor Gericht. Auch wegen des Ausrasters und der Drohungen im Gerichtsaal würden vom Amts wegen neue Ermittlungen eingeleitet, sagte Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob auf Nachfrage.

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