Obwohl im vergangenen Jahr mehr als 1.000 Straftaten auf Asylunterkünfte verübt wurden, verorten viele die wahren Feinde der Demokratie am linken Rand. Das hat ideologische und strukturelle Gründe. Der zweite Teil der Artikel-Serie „Der Feind steht links“ widmet sich den extrem rechten Äußerungen von Legida, einem Verfassungsschutz, der das anders bewertet, und einer Leipziger Stolperstein-Mahnwache am Montag, 1. Februar, deren Anmelder angeblich „schwerwiegende Störungen“ plant.

Mehr als 1.000 Straftaten gegen Asylunterkünfte im vergangenen Jahr – wer sind eigentlich diese Menschen, die Brandsätze auf Geflüchtetenheime werfen und was motiviert sie dazu? Die niedersächsische Verfassungsschützerin Maren Brandburger tätigte im vergangenen September folgende Aussage: „Diejenigen, die die Taten verüben, gehören zu einem großen Teil noch nicht einmal dem Rechtsextremismus an.“ Stattdessen würden sich die Täter als Vollstrecker eines eingebildeten „Volkswillens“ betrachten. Laut BKA handelt es sich um „emotionalisierte Einzeltäter, die keinerlei ideologische Anbindung an rechte Strukturen haben“.

Es lässt sich nur mutmaßen, ob diese Personen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild aufweisen. Also: Dass sie nicht nur Geflüchtete verachten, sondern beispielsweise auch behinderte und nicht-heterosexuelle Menschen abwerten, den Nationalsozialismus verharmlosen und sich einen autoritären Staat herbeiwünschen. Aber was, wenn nicht eine extreme Handlung, ist es, wenn jemand aus rassistischen Motiven Asylunterkünfte angreift? Die Definitionsmacht über den Begriff „Extremismus“ liegt in der Regel beim Verfassungsschutz.

Dessen Bundes- und Landesbehörden sammeln laut Gesetz Informationen über „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben“. Zu den Kernpunkten jener Grundordnung zählt der Verfassungsschutz unter anderem die „Unabhängigkeit der Gerichte“, den „Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft“ und die „im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte“.

Kein Problem: Legida will die Eliten mit Mistgabeln verprügeln

In einem Nicht-Interview mit der „taz“ bestätigte Sachsens oberster Verfassungsschützer Gordian Meyer-Plath kürzlich noch einmal, dass Pegida und Legida derzeit nicht unter Beobachtung stünden. An dieser Haltung haben offenbar auch die jüngsten Aussagen der Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling nichts geändert. Vor drei Wochen rief sie bei Legida offen zu Gewalt auf: „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, Gerichten, Kirchen und Pressehäusern prügeln.“ Die jubelnde Masse vor der Bühne reagierte mit „Widerstand!“-Rufen, gestandene Beobachter früherer rechtsextremer Aufmärsche kennen diesen Ruf noch als “Nationalen Widerstand”, heute auch gern zu “maximalem” umgedichtet.

Eine Woche später legte Festerling bei Pegida in Dresden nach: „Mistgabeln sind ein Symbol für Revolution. Und nichts anderes brauchen wir hier in Deutschland. Es ist höchste Zeit für eine Revolution.“ Als Beispiele nannte sie unter anderem die Französische Revolution und die Bauernaufstände.

Ähnlich äußerte sich auch schon das Orgateam von Legida. Vor einigen Monaten war auf der offiziellen Facebookseite zu lesen, dass man so lange „demonstrieren und kämpfen“ wolle, „bis dieses System in alle Einzelteile zerfällt und die Feinde des Volkes und der Gerechtigkeit sowie die Kriegstreiber und Profiteure ihre gerechte Strafe bekommen haben“. Zahlreiche Legida-Facebookfans formulieren ähnliche Wunschvorstellungen – teils noch wesentlich schärfer. Ein autoritärer Führer wie Russlands Präsident Putin gilt vielen als Vorbild. Zudem bewirbt Orgachef Markus Johnke seit einiger Zeit ein T-Shirt mit der Aufschrift „Lügenpresse“. Es zeigt einen mit Fackeln bewaffneten Mob, der Journalisten jagt.

Gute Laune bei Tatjana Festerling. Foto: L-IZ.de
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen – Gute Laune bei Tatjana Festerling. Foto: L-IZ.de

Der schlafende Staat

Sachsens Verfassungsschützern reicht das offenbar nicht. Im Oktober vertrat Meyer-Plath gegenüber dem „Tagesspiegel“ die Auffassung, dass bei Pegida „die überwiegende Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer nach wie vor nicht dem extremistischen Spektrum zuzuordnen“ sei. Es gebe lediglich eine emotionale Grundstimmung, die einzelne Redner und Teilnehmer zu verbalen Ausfällen „verleitet“. Einzelne Aussagen seien problematisch. Pegida und Legida als Ganzes sind es scheinbar nicht.

Initiativen wie „Leipzig nimmt Platz“ sehen das anders. Sie mobilisieren regelmäßig zu Demonstrationen und Protestaktionen gegen Legida. Der sächsische Verfassungsschutz attestierte dem Aktionsnetzwerk kürzlich eine „enge Verzahnung mit dem linksextremistischen Spektrum“. Ein Grund für diese Einschätzung: „Leipzig nimmt Platz“ hätte auf Facebook eine „konfrontativ ausgerichtete“ Gegendemonstration beworben. Gemeint sind unter anderem Sitzblockaden.

Die Gruppe Prisma nimmt in ihrer Stellungnahme auch darauf Bezug: „Praxen des zivilen Ungehorsams wie Sitzblockaden, deren rechtliche Einordnung wohlgemerkt noch unklar ist, werden durch die von einem bekennenden Burschenschaftler geleitete Behörde in eine Reihe mit Angriffen auf Leib und Leben von Menschen gestellt.“

Eine Stolperstein-Mahnwache als Angriff auf Legida

Es ist aber nicht der Verfassungsschutz allein, der Legidagegnern das Leben schwer macht. Seit einigen Wochen klagen Mitglieder des Aktionsnetzwerkes immer wieder über die Entscheidungen der zuständigen Versammlungsbehörde. Aktuell entzündet sich der Streit an einer für Montagabend geplanten Mahnwache an einem Stolperstein auf dem Dittrichring 13. Diese darf erst nach 21 Uhr beginnen, da ansonsten „schwerwiegende Störungen“ der Legida-Demonstration zu befürchten seien, heißt es im Auflagenbescheid. Einen Absatz später räumt die Versammlungsbehörde jedoch ein: „Aus den angezeigten Gegenversammlungen heraus kam es in der Regel nicht zu Störungen gegenüber Legida-Versammlungen.“

Der Bescheid wirft weitere Fragen auf: So sei die angemeldete Teilnehmerzahl von drei bis zehn Personen „durchaus realistisch“. Unklar bleibt, wie so wenige Personen für „schwerwiegende Störungen“ sorgen sollen. Der Anmelder, Frank Kimmerle vom Erich-Zeigner-Haus, hätte zudem geäußert, dass es für ihn „nicht mehr hinnehmbar wäre, dass die Legida-Versammlung in unmittelbarer Nähe am Synagogendenkmal in der Gottschedstraße“ vorbeiführt. Daraus leitet die Versammlungsbehörde ab, dass die Stolperstein-Mahnwache „dem Zweck dient, die Versammlung von Legida in diesem Bereich zu verhindern“.

Der ehemalige Thomaspfarrer Christian Wolff wandte sich umgehend mit einem Offenen Brief an Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) und Vertreter des Ordnungsamtes: „Es ist unerträglich, dass diejenigen, die sich seit Monaten für ein friedliches, gewaltfreies, demokratisches Zusammenleben in unserer Stadt einsetzen und darum immer wieder selbst Bedrohungen ausgesetzt sind, nunmehr von Ihnen mit einem Generalverdacht überzogen werden.“ Die Versammlungsbehörde habe sich mit diesem Bescheid disqualifiziert. Spürbar frustriert fügte er hinzu: „Kooperationsgespräche, die ich bisher als eine Konsenssuche empfunden habe, sollen offensichtlich nicht mehr einer demokratischen Verständigungskultur dienen, sondern erweisen sich im Nachhinein als Hinhaltetaktik, Verschleierung und schließlich auch Zeitvergeudung.“

Neben diesem jüngsten Aufreger werden wohl auch diverse Wortmeldungen der vergangenen Wochen in Erinnerung bleiben. Da wäre eine CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla, die nach den Neonaziausschreitungen am 11. Januar 2016 in Connewitz twitterte „Es sind die Linksradikalen!“, da wären die sogenannten Bürgerrechtler, die in Offenen Briefen seitenlang vor der roten Gefahr warnen und nur am Rande die aktuellen Ereignisse – Legida-Geburtstag und Nazirandale – thematisieren. Und da wäre eine Junge Union Leipzig, die Legida und die Gegendemonstranten aus dem Stadtzentrum verbannen möchte. Aber nicht, weil sie sich an den Inhalten stören würde. Nein, das Problem sind unter anderem die langen Umwege. Zumindest der Weg nach rechts ist scheinbar ein kurzer.

Teil 3 der Artikel-Serie auf L-IZ beschäftigt sich mit den wahren Feinden der Verfassung, darunter ein Polizeigewerkschafter und die Bundesregierung.

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