An diesem Samstag, 8. Mai 2021, jährte sich zum 76. Mal der Tag der Befreiung durch die Alliierten und das damit verbundene Ende des Zweiten Weltkrieges. „Aber es ist nicht allein dieser Anlass des 8. Mai, an den wir an diesem wichtigen Tag erinnern möchten. Vielmehr steht dieses Datum für uns für die Bedeutung des Erinnerns an die Verbrechen der NS-Vergangenheit wie auch für das Einstehen gegen Rassismus, Antisemitismus, Ausgrenzung und Diskriminierung aller Art“, so Henry Lewkowitz, Geschäftsführer des Erich-Zeigner-Haus e. V.

Gemeinsam mit dem Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ und dem „Leipzig. Courage zeigen! e.V.“ rief das Erich-Zeigner-Haus zum dezentralen Stolpersteine-Putzen auf. „Das Putzen der Steine steht dabei aber nicht nur sinnbildlich für das Erinnern an die individuellen Schicksale aller Opfer, sondern soll uns ferner erneut vor Augen führen, wohin Menschenfeindlichkeit und Intoleranz führen können“, erklärt Irena Rudolph-Kokot (SPD), Vizevorsitzende des „Leipzig. Courage zeigen! e.V.“. Zum Auftakt des dezentralen Stolpersteine-Putzens trafen sich die Initiator/-innen, einige Teilnehmende und Pressevertreter/-innen auf Höhe der Eisenbahnstraße 47. Während Irena Rudolph-Kokot und zwei Mitarbeiter/-innen des „Leipzig. Courage zeigen! e. V.“ die drei hier verlegten Stolpersteine putzten, verlas Henry Lewkowitz die Geschichten der Personen, die hier einst gewohnt hatten:

„In der Zeit zwischen 1928 und 1933 wirkte in Leipzig neben zahlreichen anderen politischen Gruppierungen die sogenannte LO (Linke Opposition) innerhalb der KPD. Die Leipziger LO zählte bis zu 150 Mitglieder – dazu gehörten auch Samuel Hundert und sein Bruder Aria Jehuda. Samuel wurde 1902 in Stanislau geboren und kam 1927 nach Leipzig. Seine ältere Schwester Mania lebte bereits hier – mit ihrem Mann Josef Weißblüth. Gemeinsam wohnten die drei in der damaligen Melchiorstraße 12, eine Verbindungsstraße zwischen Eisenbahnstraße und Rabet.

Samuel war Inhaber der Textilwarenfirma ,Hundert & Co‘ in der Hainstraße. 1933 floh er aus Deutschland und emigrierte nach Paris. Er engagierte sich bei den Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD), die aus der LO und KPD hervorgegangen waren. Aus existentiellen Gründen musste er Frankreich 1938 verlassen und kehrte in seine Heimatstadt Stanislau zurück – seine Schwester und sein Schwager wurden bereits 1935 wieder nach Polen abgeschoben.

1939 wurde Stanislau von sowjetischen Truppen besetzt. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Jahre 1941 begannen deutsche Mordkommandos mit Massenerschießungen und der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Stanislau. Allein am 12. Oktober 1941 wurden dabei 10.000 bis 12.000 Menschen ermordet und in Massengräbern verscharrt – so wahrscheinlich auch Samuel Hundert (39 Jahre), Mania (44 Jahre) und Josef Weißblüth (44 Jahre). Im Dezember 1941 wurde ein Ghetto in Stanislau errichtet, das 1943 komplett liquidiert wurde.“

Nach einer anschließenden Schweigeminute wurden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet für die drei Schicksale. Doch Irena Rudolph-Kokot mahnt in ihrer anschließenden Ansprache nicht nur zu stillem Gedenken, sondern vor allem zu aktivem Widerstand: „Wir haben rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden. Antifaschistisches Engagement wird immer wieder kriminalisiert. Außerdem gibt es Gruppierungen wie die ,Bürgerbewegung 2021‘, die ganz klar nationale Reichsbürger-Inhalte verbreiten.“

Auch die „Querdenken“-Bewegung ist ein Dorn im Auge der Demokratie. Bei der sogenannten „Bewegung Leipzig“ kommen Impfgegner/-innen, aber eben auch Reichsbürger/-innen zusammen. Rudolph-Kokot dazu: „Sie feiern ihre Verschwörungstheorien. Und das ist auch das Gefährliche an der Sache: Aus diesen Verschwörungstheorien entstehen antisemitische Erzählungen, die verbreitet werden. Genau die Ideologien, die 1933 dazu geführt haben, dass wir heute hier stehen und den Opfern gedenken.“

Deshalb sei Protest auch sehr wichtig. Dieser Tag des Gedenkens ist auch ein Tag, an dem jede/r sich für Freiheitsrechte, Demokratie und Menschenrechte aktiv engagieren sollte. Das betont auch Henry Lewkowitz in seinem Redebeitrag:

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