Nach dem heutigen Schuldspruch sowie den verhängten Haftstrafen gegen die 28-jährige Lina E. aus Leipzig sowie drei Mitangeklagte am Oberlandesgericht (OLG) Dresden formiert sich Protest: Die „Antifaschistische Vernetzung Leipzig“ (AVL) hat eine Soli-Demo angemeldet, die, ausgehend vom Lene-Voigt-Park, bis zum Rabet führen soll. Die LZ ist mit Liveticker dabei, unsere Reporter beobachten die Situation vor Ort.

Es ist ein Tag, der lange mit Spannung erwartet und immer wieder hinausgezögert worden war: Doch am Mittwochvormittag nun sprach das OLG Dresden die 28 Jahre alte Lina E. aus Leipzig und drei mitangeklagte Männer nach fast 100 Prozesstagen schuldig, unter anderem wegen schwerer Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Lina E. soll für fünf Jahre und drei Monate in Haft, die mutmaßlichen Mittäter auf der Anklagebank (28–37) erhielten geringe Haftstrafen von zwei Jahren und fünf Monaten bis drei Jahren und drei Monaten. Der Prozess lief unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen seit September 2021.

Haftbefehl außer Vollzug: Lina E. kommt gegen Auflagen frei

Am Abend wurde nach stundenlanger Urteilsbegründung, mehrfach wegen Zwischenrufen und Tumulten unterbrochen, überraschend bekannt, dass Lina E. unter Auflagen nach zweieinhalb Jahren vorerst aus der Untersuchungshaft raus darf. Dort hatte sie sich seit ihrer Festnahme im November 2020 befunden. Die anderen Verdächtigen sind bisher ohnehin auf freiem Fuß.

Trotz vorläufiger Haftverschonung hält die Verteidigung von Lina E., die auf Freispruch plädiert hatte, das Urteil für falsch. Man werde in Revision gehen, so Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff am Abend gegenüber Medienvertretern.

Aus Sicht des Staatsschutzsenats war dagegen erwiesen, dass die Angeklagten als Teil einer Gruppe zwischen 2018 und 2020 mehrere brutale Überfälle auf mutmaßlich rechts bzw. rechtsextrem eingestellte Menschen begangen oder geplant hatten. 13 Personen wurden verletzt, zwei davon sehr schwer. Tatorte waren Leipzig und Umgebung sowie das thüringische Eisenach. Eines der Angriffsopfer, der rechtsradikale Eisenacher Kneipenwirt Leon R., sitzt derzeit selbst in Untersuchungshaft, weil er im Verdacht steht, Teil einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein.

Demoroute am Mittwochabend im Leipziger Osten

Leipzig schaut nun mit Anspannung und Nervosität auf kommenden Samstag, den 3. Juni, an dem neben anderen Ereignissen (Fußball, Grönemeyer-Konzert) auch der lang angekündigte „Tag X“ starten soll, eine Großdemo in Solidarität mit den Angeklagten des Mammut-Verfahrens. Bisher herrscht einige Verwirrung, ob und welche Demo am Samstag in Leipzig überhaupt stattfindet.

Gerüchte über ein Verbot hatte die Stadt auf Anfrage dementiert. Fest steht aber schon jetzt, dass sich die Polizei für einen in der jüngeren Vergangenheit beispiellosen Großeinsatz rüstet und die Behörden einen großflächigen Kontrollbereich für das Leipziger Stadtgebiet ab Freitagabend (18 Uhr) eingerichtet haben. Hier darf die Polizei bis Sonntag, 18 Uhr, Personen ohne konkreten Verdacht kontrollieren.

Kontrollbereich von Freitag, 18 Uhr, bis Sonntag, 18 Uhr. Grafik: Polizeidirektion Leipzig

Ein erster Demo-Aufzug wurde durch die „Antifaschistische Vernetzung Leipzig“ (AVL) schon für Mittwochabend angekündigt und wird ab Tauschschrank im Lene-Voigt-Park über Kippenbergstraße, Breite Straße und Konradstraße bis zum Rabet führen. Entgegen erster Routenplanungen soll die Eisenbahnstraße damit komplett ausgespart bleiben. Angesetzter Start ist 21 Uhr.

20:55 Uhr: Soweit noch alles ruhig, Aufstellung beginnt

Die Polizei zeigt rings um den Lene-Voigt-Park bereits viel Präsenz. Vor Ort selbst ist noch kein großer Auflauf, aber viele potenzielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demo sind bereits sichtbar in kleinen Gruppen unterwegs.

Bereits wenige Minuten später, kurz nach 21 Uhr, nimmt der Demozug Aufstellung.

21:25 Uhr: Stimmung aufgeheizt, die Polizei blockiert den Zug am Ausgang

Der Demozug ist zunächst einmal im Kreis durch den Park gelaufen, wurde dann jedoch durch die Polizei am Verlassen des Areals gehindert. Begründung: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer würden sich nicht an eine Beschränkung halten. Aktuell ist unklar, worin genau diese besteht.

Inzwischen, kurz nach 21:30 Uhr, skandieren die Demogänger unter anderem „Lina E. ist zu Hause“ – wohl eine Anspielung auf den heute für viele doch überraschend ausgesetzten Haftbefehl gegen die 28-Jährige, die längst zu einer Symbolfigur der linken Szene geworden ist. Ein Symbol dafür, dass der Staat zu wenig gegen Neonazis unternehme und Antifaschisten umso mehr mit harter Hand kriminalisiert – so die Sicht der Kritiker.

Hier die ersten Video-Eindrücke:

21:40 Uhr: stationäre Kundgebung verfügt

Während die Polizei das Geschehen filmt und mit Kameras im Blick hat – wie übrigens auch der rechte YouTube-Aktivist Sebastian Weber alias „Weichreite“ – wird per Durchsage durch die Versammlungsbehörde eine ortsgebundene Kundgebung verfügt.

Der selbsternannte Reporter Sebastian Weber alias Weichreite ist auch unterwegs. Foto: LZ

Grund sei die erhöhte Teilnehmerzahl. Die Situation wird inzwischen immer unübersichtlicher: Nach der Durchsage, die eine stationäre Kundgebung durchsetzen wollte, rennen die Leute im Park durcheinander und versuchen, an einem der Ausgänge herauszukommen, die jedoch durch die Polizei abgeriegelt werden. Vereinzelt fliegen Böller und Leuchtraketen. Der Ton zwischen Demo-Teilnehmern und Polizei wird immer härter. Vereinzelt gibt es körperliche Auseinandersetzungen.

21:50 Uhr: Wird der Park zum riesigen Polizeikessel?

Einzelnen gelingt es zwar, aus dem Park auf der Seite Richtung Täubchenweg herauszukommen, sie werden aber sofort aufgehalten und müssen auf das Gelände zurück. Angeblich wurde die Veranstaltung beendet, durch wen, ist unklar. Es ergeht die Aufforderung bzw. Durchsage, den Park einzeln zu verlassen.

Die Polizei hat die Zugänge zum Park abgeriegelt. Foto: LZ

Die ganze Situation ist, eine Stunde nach offiziellem Demobeginn, völlig unsicher. Ob aus dem Park heraus noch etwas Größeres startet, scheint aktuell laut Beobachtung von einem unserer Reporter vor Ort zumindest zweifelhaft. Geschätzt mehrere hundert Menschen harren im Park aus, die Lage hat sich zumindest leicht beruhigt.

22:00 Uhr: Wie geht es jetzt weiter?

Wieder mehr Action. Es gab Durchbruchsversuche auf der anderen Parkseite Richtung Eilenburger Straße, auch diese jedoch ohne Erfolg, die betreffenden Personen wurden durch Einsatzkräfte Richtung Lene-Voigt-Park zurückgedrängt.

Wieder kommen Pyrotechnik und Bengalos zum Einsatz. Die Lage bleibt angespannt und dynamisch.

Die Polizei wiederholt via Durchsage ihre Aufforderung zum einzelnen Verlassen des Parkgeländes:  „Ihre Versammlung wurde beendet.“ Viele der schwarz gekleideten Personen sind inzwischen verschwunden.

22:25 Uhr: Geschehen hat sich verlagert

Mittlerweile scheint der erste Spuk vorbei. Das Geschehen hat sich aus dem Lene-Voigt-Park heraus in den Bereich drumherum verlagert. Überall stehen Grüppchen herum, wobei sich Demo-Teilnehmer und frühsommerliches Partyvolk nicht immer klar trennen lassen.

Dafür sind jetzt Blockaden an der Kreuzung Breite Straße/Wurzner Straße. Polizei inklusive Wasserwerfer sind auch da. Ein Bus und eine Bahn wurden durch Barrikaden gestoppt.

Dem Vernehmen nach soll der Kreuzungsbereich geräumt werden, damit der Schienen- und Fahrzeugverkehr wieder durchstarten kann. Im Lene-Voigt-Park selbst scheint dagegen nichts Außergewöhnliches mehr zu sein. Dafür kursieren jetzt Meldungen über schnelle Blaulichtfahrten Richtung Eisenbahnstraße, im Bereich der „Eisi“ zur Herrmann-Liebmann-Straße soll massive Polizeipräsenz sein.

23:15 Uhr: Alles hat sich zerstreut

Noch immer stehen kleine Grüppchen herum, etwa im Bereich der Riebeckstraße. Auch die Polizei ist zugegen.

Alles sieht nach Kleingruppenaktionen aus, während sich die zentrale Kundgebung bzw. der Aufzug zerstreut hat, ehe er überhaupt wie geplant zustande kam. Wir schließen den Ticker vorerst mit letzten Eindrücken, behalten die Situation aber weiterhin im Auge. Ihnen und Euch eine geruhsame, friedliche Nacht!

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