Immer wieder passiert es, dass Menschen versuchen, mir und einem großen Teil der Bevölkerung vorzuschreiben, wie wir reden sollen. Sie sprechen von Verboten und möchten sogar in staatlichen Einrichtungen Maßnahmen einführen, die darauf abzielen, dass nur noch so gesprochen wird, wie sie es für richtig halten.

In Thüringen hat die AfD einen Antrag in den Landtag eingebracht unter dem Titel: „Gendern? Nein danke.“, dem durch einen Schulterschluss mit der CDU auch stattgegeben wurde. In Frankreich wurde im Mai 2021 vom Bildungsminister Jean-Michel Blanquer die Nutzung der gendergerechten Schriftsprache an Schulen und im Bildungsministerium verboten.

Genderneutrale Sprache gibt es beinahe in jeder Nationalsprache in verschiedenen Formen und Ausführungen. Dennoch ignorieren konservative Gruppierungen in Deutschland dies und versuchen in jeder Debatte über das Gendern hervorzuheben, dass dies nur eine deutsche Diskussion sei und alle anderen Länder sich über uns lustig machen würden oder die „woke bubble“ aus „Bessermenschen“ versuche, sich über andere zu stellen.

Obwohl das Ziel, Menschen zu integrieren und sich wohlfühlen zu lassen, grundsätzlich angestrebt wird, möchten diese konservativen Akteure letztendlich nichts dafür tun. Sie fühlen sich in ihrer Männlichkeit verletzt, und ihre Argumente gegen das Gendern sind oft von Sexismus geprägt.

Am 3. Mai 2023 erschien in der LZ ein Gast-Kommentar zur Genderdebatte. Die Argumente, die hier hervorgebracht wurden, kann man kaum als solche bezeichnen. Der Autor, Uwe Meißner, verwendet konservative, sexistische Rhetorik und scheint dabei zu vergessen, echte Argumente hervorzubringen.

Angefangen mit „Als ob es […] nichts Wichtigeres gäbe!“ – Tatsächlich gibt es viele Themen, die wichtiger erscheinen mögen als diese Debatte. Allerdings sind Menschen durchaus multitaskingfähig und können sich sowohl mit Krisen als auch mit der eigenen Sprache beschäftigen. Jede Person ist frei in der Entscheidung, ob sie ihre Sprache diskriminierungsarm gestalten möchte. Gendern ist keineswegs ein Zwang, und niemand erwartet, dass alle Menschen dies tun. Betroffene empfinden es jedoch als angenehm, nicht mehr ausgegrenzt zu werden.

Im Laufe seines Gastbeitrags scheint Uwe Meißner sich weniger auf Argumente zu konzentrieren und stattdessen konservative, sexistische Rhetorik zu nutzen. Er impliziert, dass die meisten Menschen, die gendern, weiblich sind und scheinbar wenig Verständnis für die deutsche Sprache haben. Dies wird später noch einmal betont, als er bewusst von „Denkern“ spricht. Uwe gendert im Artikel entweder gar nicht oder nur an bestimmten Stellen als Provokation oder um bestimmte Dinge anzudeuten, wie in diesem Zitat:

„Wissen denn die Sprachrevoluzzerinnen nicht, dass die meisten deutschen Substantive aus den Infinitiven der Verben abgeleitet wurden, dass es Jahrhunderte währende Sprachentwicklungen waren, bis sich die heutigen Sprachformen gebildet hatten?“

Der Sexismus setzt sich im nächsten Absatz fort, als er von einem Gespräch mit einer vermeintlich weiblichen Person berichtet: „[…] schlug eine besonders Schlaue […] vor“ und „meine Liebe!“. Später behauptet Uwe, die Unterdrückung durch das Patriarchat für FLINTA*-Personen sei vorbei, und alle Bestrebungen, wie das Gendern, dagegen zu kämpfen, seien übertrieben.

Ich bitte Sie, Uwe, noch einmal mit FLINTA*-Personen ins Gespräch zu kommen und sich zu informieren. Machen Sie sich bewusst, dass weder die Unterdrückung von FLINTA*-Personen vorbei ist, noch dass diskriminierungsarme Sprache die Spracheffizienz beeinträchtigt. Auch die Kultur, an der Sie festhalten möchten, wird nicht untergehen.

Da Sie jedoch ein Fan von „Wir machen das so, weil wir das schon immer so gemacht haben“ und „Warum verändern, was immer funktioniert hat?“ sind, bitte ich Sie, in Zukunft von unserer Bundeskanzlerin Olaf Scholz zu sprechen. Wir haben das Amt 16 Jahre und 16 Tage lang als Bundeskanzlerin bezeichnet – warum sollten wir das jetzt ändern?

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Wenn es doch so einfach wäre, sehr geehrter Autor, aber die Sprache wird es nicht maßgeblich ausrichten, das zu erreichen, was Sie sich wünschen, nämlich “Menschen zu integrieren und sich wohlfühlen zu lassen”. Mit anderen Worten, der Binnenglottisschlag mit I (oder dessen vielfältige Schreibweisen) ist weder hinreichende noch notwendige Bedingung für Integration, auch wenn ich mir vage vorstellen kann, was Sie meinen, wenn Sie schreiben “Betroffene empfinden es jedoch als angenehm, nicht mehr ausgegrenzt zu werden.”

Aus dem auf alle Zeiten lesenswert bleibenden Bändchen “LTI” von Victor Klemperer hatte ich vor ca. 40 Jahren gelernt: Sprache beeinflußt das Denken. Ähnliches schreibt auch Jürgen Kasek, und ich kann dem voll zustimmen. Die Frage ist aber doch, ob man diese Erkenntnis im Sinne eines Werkzeuges – auch mit besten Absichten – einsetzen soll oder überhaupt kann? Und ich fürchte, jegliches Insistieren auf eine bestimmte Form führt paradoxerweise weiter vom Kern des Anliegens fort. Ich zum Beispiel nutze verbal und schriftlich oft solche Konstruktionen “… weiß jede Urologin und jeder Gynäkologe …” Verbissenheit hilft jedenfalls Niemandem. Und wollten wir wirklich in Bälde Formen wie “das Menschende” oder “das Fußverkehrende” hören oder lesen (für beide Formen beanspruche ich Urheberrecht)?

Am Montag war ich auf der Maikundgebung in Basel. Es war aus anderen Gründen alles sehr improvisiert. Eine Rednerin, eine gewisse Martha Marx https://basel.vpod.ch/ueber-uns/regionalvorstand vom Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD), einer Gewerkschaft analog zu Ver.di hier, berichtete ausführlich von Anzüglichkeiten, die sie als Lehrerin zu erdulden gehabt hat, u.a. langte ihr ein Lehrerkollege im Unterricht vor einer Klasse besitzergreifend an den Hintern, usw., und mitten in ihren Ausführungen kam sie auf sich zu sprechen, und sie hätte eine “weiblich gelesene Brust”. Ich dachte ich höre nicht richtig. Wo kommt dieses “Lesen” plötzlich her, das auch Jürgen Kasek irgendwie in seinem Text hatte? Unsere Vorfahren jeglichen Geschlechts würden sich scheckig gelacht haben, wenn eine Frau, wie sie im Buche steht, vor einigen Jahrzehnten sowas geäußert hätte. Heute herrscht andächtiges Schweigen, und die unfreiwillige Komik wird von einem beträchtlichen Teil nicht mal mehr wahrgenommen. All das hilft dem obigen Anliegen nicht.

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