Die Psychiatrie wurde von Diktatoren und Autokraten oft und gern benutzt, um missliebige Menschen auszuschalten. Ob man die Sowjetunion unter Stalin, den Nationalsozialismus in Deutschland oder andere Systeme betrachtet: Politische Gegner wurden oft als psychisch krank bezeichnet und weggesperrt.
Momentan erlebt dieser Missbrauch auch in den USA ein Revival. Im Senat des Bundesstaates Minnesota haben die Republikaner einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem Ziel, das „Trump Derangement Syndrome“ (TDS) als Geisteskrankheit zu definieren. Das TDS definieren sie als: „das akute Auftreten von Paranoia bei ansonsten normalen Menschen als Reaktion auf die Politik und Präsidentschaft von Präsident Donald J. Trump“. So zu lesen bei CBS News und anderen.
Keine Frage: Davon sind wir in Deutschland weit entfernt, die Einleitung dient ausschließlich zur Verdeutlichung des Problems. Wir haben aber einen Carsten Linnemann, seines Zeichens Generalsekretär der CDU. Der fordert ein „Register für psychisch auffällige Menschen“ und wir haben Landesregierungen und Sicherheitsbehörden, welche die Thiel-Software Palantir einführen wollen. Wenn man sie fragt, wissen sie allerdings nichts.
Beginnen wir mit einer kurzen Betrachtung zur Lage.
Stand der psychiatrischen Versorgung in Deutschland
Die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung in Deutschland lässt, vorsichtig formuliert, stark zu wünschen übrig. Das stellte auch der Gesundheitsausschuss des Bundestages, im Januar 2024, unter dem Titel „Großer Bedarf in der psychiatrischen Versorgung“, fest und forderte eine Reform. Einige der Kernpunkte der Forderungen waren: mehr Personal, mehr Prävention, flexible Behandlung, ausreichende Kapazitäten für die ambulante Behandlung nach Krankenhausaufenthalten, die Liste ließe sich fortsetzen.
Dazu kommt erschwerend, dass viele Menschen Hemmungen haben, sich bei psychischen Problemen Hilfe zu suchen. „Psychische Probleme sind nach wie vor ein Tabuthema in Deutschland“, führt die Stiftung Gesundheitswissen, laut Süddeutscher Zeitung, dazu aus. Sie befürchten Stigmatisierung, berufliche und soziale Nachteile.
Zur mangelhaften psychiatrischen Versorgung kommt also noch die Angst vor der Suche nach professioneller Hilfe.
Soweit die Einleitung.
Was ist in Hessen los?
Unter dem Titel: „Hessen stärkt psychische Gesundheit und Sicherheit“ lobpreist die hessische CDU den Entwurf des „Zweites Gesetz zur Änderung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (PsychKHG)“, der gemeinsam mit der SPD eingebracht wurde.
Gehen wir in den Originaltext, da steht als Änderung zu § 1 folgendes:
„Eine psychische Störung im Sinne dieses Gesetzes ist auch eine mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehende Abhängigkeit von Suchtstoffen.“
Was hier neu sein soll, wird nicht verständlich formuliert. Im Kodiersystem ICD-10-GM Version 2025, ist das im Kapitel 5 „Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ unter „Abhängigkeitssyndrom“ bereits definiert. Dort steht als Erstes der chronische Alkoholismus, es folgen Dipsomanie (periodisches Auftreten von Trunksucht) und die nicht näher bezeichnete Drogensucht. Diese Definition entspricht der im Text des Gesetzentwurfes.
Im bisherigen PsychKHG § 1 heißt es: „… die infolge einer psychischen Störung funktionseingeschränkt, krank oder behindert sind oder bei denen Anzeichen für eine solche Funktionseinschränkung, Krankheit oder Behinderung bestehen.“
Warum sollen also die Suchterkrankungen nochmals separat hervorgehoben werden? Das erschließt sich nicht.
Der wirklich kritische Teil
Hier soll dem § 28 des PsychKHG ein vierter Absatz hinzugefügt werden:
„(4) Erfolgte die Unterbringung aufgrund einer Fremdgefährdung und besteht zum Zeitpunkt der Entlassung aus medizinischer Sicht die Sorge, dass von der untergebrachten Person ohne ärztliche Weiterbehandlung eine Fremdgefährdung ausgehen könnte, sind zusätzlich zur Mitteilung nach Abs. 3 Satz 1 die für den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort zuständige örtliche Ordnungsbehörde und Polizeibehörde von der bevorstehenden Entlassung unverzüglich zu unterrichten. Mit der Entlassungsmeldung sind die notwendigen Informationen für eine Gefährdungseinschätzung zu übermitteln; dies gilt auch für die Entlassungsmeldung an den örtlich zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienst nach Abs. 3 Satz 1.“
Kritisch ist hier der Satz: „Mit der Entlassungsmeldung sind die notwendigen Informationen für eine Gefährdungseinschätzung zu übermitteln …“, der in der Begründung wie folgt präzisiert wird:
„Entscheidend ist, ob aufgrund einer fundierten ärztlichen Einschätzung zu befürchten ist, dass ohne eine ärztliche Weiterbehandlung eine begründete Fremdgefährdung bestehen könnte“.
Hier muss betont werden, dass am Anfang des Absatzes steht: „Erfolgte die Unterbringung aufgrund einer Fremdgefährdung“, das kann man weit interpretieren. Dazu gehört beispielsweise auch eine demente Person, die das Pflegepersonal angreift und deshalb vorübergehend in eine stationäre psychiatrische Klinik eingewiesen wird.
Lassen wir die „Fremdgefährdung“ beiseite, diese ist bei vielen psychischen Störungen, die unter anderem mit Aggressionsschüben verbunden sind, möglich. Konzentrieren wir uns auf die „fundierte ärztliche Einschätzung“. Dieser Begriff kann m. E. nur eine schlechte Umschreibung für „kein ärztliches Gutachten“ sein, sonst wäre es ja als solches benannt.
Die entlassenden Ärztinnen oder Ärzte sollen also eine Einschätzung über eine begründete Fremdgefährdung, beim Fehlen einer ärztlichen Weiterbehandlung geben. Diese soll aber kein ärztliches Gutachten sein, was dann? Wird das ärztliche Personal dann, wenn sie jemanden nicht vorsorglich gemeldet haben, zur Verantwortung gezogen? Wenn ja, dann werden sie voraussichtlich alle, in einem sehr breiten Spektrum, melden.
Patientinnen und Patienten werden in ein Gesundheitssystem entlassen, in dem die ambulante psychiatrische Versorgung mangelhaft ist (siehe oben), was bedeutet, dass jeder entlassene Mensch, wegen mangelnder ärztlicher Weiterbehandlung, unter diese Kategorie fällt. Wie gesagt, das Spektrum von psychischen Störungen, bei denen Fremdgefährdung auftreten kann, ist groß.
Fassen wir zusammen
Der einzige neue und somit relevante Punkt in der Gesetzesänderung ist die Meldung an die Ordnungs- und Polizeibehörden, bei einer Entlassung von Menschen aus einer stationären psychiatrischen Einrichtung.
Mit dieser Meldung wird, sonst wäre sie ja sinnlos, eine Datenbank bei den Behörden gefüttert, damit man diese Personen auch bei Bedarf suchen und finden kann. Auf diese Datenbank greift dann die Thiel-Software-Palantir, die bei der hessischen Polizei im Einsatz ist, zu. Diese verarbeitet die Daten und schickt sie wahrscheinlich auch nach Hause in die USA.
Menschen mit psychischen Störungen, zu deren Störungsbild auch die Möglichkeit einer Fremdgefährdung gehört, und schwer Suchterkrankte, sind somit stigmatisiert als eventuelle Gewaltverbrecher und Carsten Linnemann hat sein Register. Das beginnt in Hessen und kommt später in ganz Deutschland.
Wollen wir das wirklich?
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Keine Kommentare bisher
Das Thema ist schwierig. Die Psychiatrie ist ja nicht gerade eine Wissenschaft.
Leute, die wegen eines Verbrechens in die forensische Psychiatrie kamen, sind ja schon alleine aufgrund des Gerichtsverfahrens irgendwo erfasst. Weitere willkürliche Registrierungen befürworte ich nicht.