Seit zehn Jahren geht das so: Die Stadt kündigt an, endlich ein paar aufgestaute Verkehrsprobleme zu lösen. Dann passiert erst mal nichts. Dann fragen die Fraktionen nach, machen Vorschläge. Die Stadt schlägt einen Prüfauftrag vor. Und es passiert erst mal nichts ... So auch für den Radweg vorm Hauptbahnhof. Am nächsten Wochenende tun sich ADFC und Fridays for Future zusammen, um zwei Tage lang gegen den unmöglichen Zustand zu demonstrieren.

Die Stadt Leipzig nimmt ihre eigenen Verpflichtungen im Bereich Klimaschutz und Verkehrswende nicht ernst, kritisiert der ADFC Leipzig. Besonders deutlich zeige sich das am Hauptbahnhof, wo noch immer sieben Fahrspuren dem Kfz-Verkehr zur Verfügung gestellt werden. Dem Fuß- und Radverkehr sowie dem ÖPNV gesteht man hingegen deutlich weniger Fläche zu.

„Die Situation vor dem Hauptbahnhof steht stellvertretend für den Umgang der Stadt Leipzig mit den Themen Klimaschutz und Verkehrswende: Trotz des enormen Handlungsdrucks tritt man seit Jahren auf der Stelle,“ erklärt Matthias Koss, Vorstandsmitglied des ADFC Leipzig.

Drei Prüfaufträge, den ebenerdigen Kfz-Verkehr vor dem Hauptbahnhof herauszunehmen, warten seit April 2017 auf ihre Bearbeitung. Lösung? Offen.

Schon vor zehn Jahren hatte die Stadtverwaltung angekündigt, einen funktionierenden Radring um den Promenadenring zu schaffen. Passiert ist davon nichts. Lediglich ein Teil des innerstädtischen Straßennetzes wurde zu Fahrradstraßen umgewidmet, während das Leipziger Ordnungsamt im gleichen Moment loszog und für die Petersstraße und die Grimmaische Straße tagsüber ein Radfahrverbot verhängte. Die Ordnungskräfte, das fortan auch zu kontrollieren und zu ahnden, hatte man sofort übrig.

Dass die Radstrecke direkt vor dem Hauptbahnhof nicht wirklich zu einem Unfallschwerpunkt wurde, hat weniger mit der Sicherheit dieses Radwegs zu tun als mit der Tatsache, dass Radfahrer aus Erfahrung lieber langsam fahren und die wild auf dem Radweg stehenden Fußgänger umkurven. Die meisten Unfälle vorm Hauptbahnhof passieren nicht mit Radfahrern, sondern mit Fußgängern, die bei „Rot“ versuchen, die Fahrbahn zu überqueren und von Kraftfahrzeugen erfasst werden.

2017 schien das Thema zumindest endlich das Wohlwollen der Leipziger Verkehrsplaner erreicht zu haben. Sie gestanden zu, dass es auf dem Radweg immer wieder zu Konflikten kommt: Man gab erstmals die Ergebnisse einer Unfallauswertung des Gesamtjahres 2014 für den gesamten Bereich Osthalle (Gehweg, Fahrbahn und Gleisquerung im Haltestellenbereich) bekannt.

Danach „war für den Konflikt Fußgänger/Radfahrer vor der Osthalle das Kriterium Unfallhäufungsstelle nach der sogenannten 3-Jahreskarte (mindestens 5 Unfälle mit Personenschaden innerhalb von 3 Jahren) erfüllt. Im Zeitraum 01.01.2012 bis 31.12.2014 passierten 5 Unfälle mit Personenschaden zwischen Fußgängern und Radfahrern, womit das genannte Kriterium allerdings nur gerade so erfüllt ist. Dabei sind jedoch nur 3 Unfälle tatsächlich dem vermeintlich typischen Konflikt ‚längs fahrender Radfahrer stößt mit querendem Fußgänger zusammen‘ zuzuordnen.“

Trotzdem sorgen die vielen Schrecksituationen dafür, dass Radfahrer den Weg am Hauptbahnhof lieber meiden – und z. B. lieber mitten durch die „verbotene“ Innenstadt fahren. Denn der Radring mit seinen vielen unübersichtlichen Stellen bietet einfach keine sinnvolle Alternative. 2017 schien das bei den Planern zumindest dazu zu führen, dass sich sich ernsthaft Gedanken über eine Lösung machten: „Untersucht wird u. a. eine zeitliche Trennung der Kfz-Ströme aus der Brandenburger Str. und vom Georgiring in Richtung Hauptbahnhof in der Lichtsignalsteuerung, um den Verkehr zu entflechten und die Konflikte vor dem Hauptbahnhof (Fahrstreifenwechsel!) zu minimieren“, hieß es damals in einer Antwort an den Stadtrat.

„Dies würde umfassende signaltechnische Änderungen sowie punktuelle bauliche Anpassungen im Bereich von Georgiring bis Gerberstraße nach sich ziehen, aber es auch ermöglichen, auf der Fahrbahn einen Radfahrstreifen einzurichten. Dadurch könnte die baulich getrennte Führung des Rad- vom Fußgängerverkehr erreicht werden, ohne umfangreiche bauliche Maßnahmen durchführen zu müssen. Eine solche Zwischenlösung stünde späteren umfassenden verkehrsorganisatorischen und vor allem baulichen Lösungen nicht entgegen.“

Und?

Passiert ist nichts. Mit den „späteren umfassenden verkehrsorganisatorischen und vor allem baulichen Lösungen“ sind die Überlegungen gemeint, den Ringverkehr ab 2022/2023 wirklich komplett neu zu organisieren, vor allem um den Engpass für die Straßenbahn am Hauptbahnhof zu beseitigen. Werden jetzt alle Lösungen bis weit in die 2020er Jahre vertagt?

Es sieht so aus. Wenn die Informationen des ADFC stimmen, wird die Situation für Radfahrer am Hauptbahnhof jetzt sogar noch verschlechtert.

Statt einer zukunftsfähigen Verkehrslösung für alle Verkehrsteilnehmenden werde es in den Sommerferien eine weitere Verschlechterung für den Fuß- und Radverkehr geben, so der ADFC. Aus dem bisherigen Radweg soll ein Gehweg (Radfrei) werden und auf der Fahrbahn wird ein Radfahrverbot angeordnet. Die bereits heute schon sehr stressige Situation werde hierdurch noch einmal verschärft.

Fridays for Future Leipzig und ADFC Leipzig rufen deshalb gemeinsam zur Demonstration vom Freitag, 28. Juni (21 Uhr) bis zum Sonntag, 30. Juni (21 Uhr) auf.

„Es ist an der Zeit, dass wir als Stadtgesellschaft ein sichtbares Zeichen für mehr Klimaschutz und die Rückeroberung des öffentlichen Raumes setzen. Die Fläche vor dem Hauptbahnhof gehört den Menschen, nicht dem Kfz-Verkehr“, erklärt Marianne Ramson von der AG Verkehr im ADFC. „Im Sinne der Klimaschutzbewegung wollen wir, dass viele Menschen ihren Fußabdruck mit Kreide auf die Fahrbahn malen. Die Fahrbahn wird für den Zeitraum von 48 Stunden ohne Autos sein.“

Die Leipziger Zeitung Nr. 68 ist da: Game over! Keine Angst vor neuen Wegen

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