Leipzigs Stadtverwaltung bekommt immer mehr Druck, den Auenwald endlich wieder zu einer richtigen Flussaue zu machen. Nur: Wer soll das alles bezahlen? Acht Jahre nach dem Start des Projekts „Lebendige Luppe“ wird immer deutlicher, wie aufwendig es ist, das vor 100 Jahren zerschnittene Auengebiet wieder zu einer natürlichen Flusslandschaft zu machen. Jetzt gibt es die zweite Änderung zum Planbeschluss von 2012.

Damals versprach sich Leipzigs Verwaltung noch, für rund zehn Millionen Euro in der Nordwestaue einige alte Flussläufe wieder mit Wasser beschicken zu können und damit eine „Lebendige Luppe“ zu schaffen, die wenigstens in einem Teil der nördlichen Aue wieder so etwas wie ein naturnahes Wasserregime erzeugen könnte.

Doch diese Pläne scheiterten an Widerständen, die eigentlich alle Beteiligten kannten. Schnell erwiesen sich die bestehenden Deiche an Nahle und Neuer Luppe als nicht zur Disposition stehend. Dazu kam: Nahle und Neue Luppe sind so tief ins Gelände eingeschnitten, dass sie bei kleinen und mittleren Hochwassern gar nicht als Wasserzubringer funktionieren. Die Sohle der beiden Wasserläufe muss um mehrere Meter angehoben werden. Doch sie liegen nicht im Plangebiet.

Es dauerte bis 2016, bis die Beteiligten akzeptierten, dass sie so keinen Schritt vorankamen. Das Projekt musste dringend erweitert werden. Aber wie? Die Fördermittel des Bundesamtes für Naturschutz waren nur für das Projektgebiet „Lebendige Luppe“ vorgesehen. Aber 2017, als man den Planbeschluss nach den neuen Erkenntnissen neu festsetzte, zog man zumindest schon einmal in Erwägung, dass man um ein die gesamte Aue umfassendes künftiges Revitalisierungskonzept nicht umhinkommen könnte.

Aber schon die Projekterweiterung von 2017 bedeutete auch eine deutliche Kostensteigerung gegenüber 2012. Die Planungs- und Baukosten erhöhten sich von 10 auf 15,5 Millionen Euro. Aber gleichzeitig war der Zeitvorrat geschmolzen. Denn die Fördergeldvergabe des BfN war zeitlich befristet. 2019 hätte schon längst gebaut werden müssen. 2025 sollte alles fertig sein. Das wird so nicht gelingen.

Das einzige Teilprojekt, das bis zum Ende des Förderzeitraums 2023 umgesetzt werden kann, ist die Revitalisierung des Zschampert, der von Süden kommend ins Gebiet fließt. Für möglich hält man auch noch den Umbau des vor 20 Jahren geschaffenen Burgauenbaches. Denn damals hat man einige Fehler gemacht, die für einen Auenbach schlicht nicht sinnvoll sind: Er fließt zwischen aufgeschütteten Erdwällen durch die Burgaue, kann also selbst bei kleinen Hochwasser nicht „überlaufen“.

Und es fehlen die Verbindungen zu den alten Gewässerarmen in der Aue. Das kann jetzt für knapp 1 Million Euro in den Jahren 2022/2023 noch repariert werden, stellt jetzt die vom Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport eingereichte „2. Änderung des Planungsbeschlusses ,Lebendige Luppe‘ – Projekterweiterung und Kostenentwicklung“ fest, die zwingend in der Ratsversammlung im Juli beschlossen werden muss – sonst verfallen die Fördermittel.

Denn wenn nicht vor Ende des Förderzeitraums mit ersten Baumaßnahmen begonnen ist und die Planungen für die fehlenden Bauabschnitte wenigstens fertig sind, verfallen die Fördergelder des Bundes und Leipzig und Schkeuditz bleiben auf den Kosten sitzen.

Und mit den noch im Februar 2017 kalkulierten 12,6 Millionen Euro für alle Bauarbeiten wird man auch nicht auskommen. Insofern hat auch diese Vorlage wieder so eine Art Brandgeruch, wird wieder zu einer Im-letzten-Moment-Vorlage, die die Ratsfraktionen unter Druck bringt und gleichzeitig die Frage aufwirft, warum die Vorlage nicht ein halbes Jahr früher kam? Soll die Willensbildung im Stadtrat so unterlaufen werden?

Ein höchst riskantes Spiel.

Denn dass man auch die 2017er-Vorlage würde gründlich überarbeiten müssen, wurde schon im selben Jahr klar – nämlich beim Scopingtermin im Sommer 2017. Da besuchten alle Beteiligten nämlich das Plangebiet. Und es wurde überdeutlich, dass man um ein großes, umfassendes Auenrevitalisierungsprogramm nicht umhinkommen würde. Selbst das mit der Vorlage im Februar schon erweiterte Gebiet reichte nicht aus, um die eigentlichen Ziele der Auenrevitalisierung zu erreichen.

Taucht auch hinter der Gustav-Esche-Straße aus einem Düker auf: der Burgauenbach. Foto: Ralf Julke
Taucht auch hinter der Gustav-Esche-Straße aus einem Düker auf: der Burgauenbach. Foto: Ralf Julke

Das Ergebnis fasst die jetzige Vorlage so zusammen:

„Anhand der dazu vorliegenden Fachstellungnahmen, die von der Landesdirektion in einer Stellungnahme gebündelt wurden, war ersichtlich, dass die planerische Lösung im Bereich der zwischen Burgaue und Pfingstanger (Bauabschnitte 1 bis 3) einer grundsätzlichen, weitergehenden Untersuchung zur Erreichung einer Planfeststellung (Baurecht) bedarf. Die Revitalisierungsmaßnahme im Bereich der Lebendigen Luppe am Zschampert-Altlauf (Bauabschnitt 4) war hingegen unstrittig.

Daraufhin wurde in Rücksprache mit dem Fördermittelgeber in Hinblick auf eine letztmalige Verlängerung des Förderzeitraums eine Teilung der Planung vereinbart, beantragt und nunmehr mit Datum vom 12.12.2019 mit einer Verlängerung der Laufzeit des Projektes bis zum 31.12.2023 bewilligt.

Die Planung und Realisierung der Rückverlegung des Zschamperts in sein historisches Gewässerbett im Rahmen dieses Projektes soll somit bis 2023 abgeschlossen werden. Im Bereich zwischen Burgaue und Pfingstanger soll die Fließgewässerrevitalisierung einschließlich gezielter, flächenhafter Flutung bis 2023 ins Planfeststellungsverfahren gehen. Damit wird der letztmaligen Verlängerung der Förderung durch das BfN entsprechend Rechnung getragen.

Zusätzlich war bereits im Rahmen der ersten Projektverlängerung mit dem o. g. Bescheid vom 29.04.2016 ein weiterer Projektbaustein zur Entwicklung einer gesamträumlichen Perspektive für die Elster-Luppe-Aue im Leipziger Nordwesten ergänzt worden.

Dabei lag der Fokus zunächst darin im Rahmen eines Beteiligungsansatzes mit relevanten Akteuren eine entsprechende „Vision 2030–2050“ im Sinne eines integrierten Leitbildes für die zukünftige Entwicklung zu diskutieren und abzustimmen. Da parallel vonseiten des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) die Erarbeitung eines naturschutzfachlichen Leitbildes sowie einer hydraulischen Potenzialanalyse für die Nordwestaue initiiert wurde, erschien es allen Beteiligten sinnvoll, zunächst diese Ergebnisse abzuwarten, bevor eine integrierte, über die naturschutzfachlichen Anforderungen hinausgehende Vision weiterdiskutiert werden sollte.

Die aktuell bekannten Ergebnisse bedürfen im Sinne des von uns angestrebten Gesamtkonzeptes allerdings nun einer weiteren Konkretisierung und integrierten Betrachtung. Gleichzeitig wurde im Rahmen des genannten Scopingverfahrens im Jahr 2017 deutlich, dass es mehr als eine „Vision“ für die zukünftige Entwicklung bedarf und vielmehr ein möglichst konkretes gesamträumliches Entwicklungskonzept erarbeitet werden sollte, um die Planrechtfertigung für die konkreten Umsetzungsbausteine des Projektes „Lebendige Luppe“ als erste Schritte zur Umsetzung dieses Konzeptes zu verfestigen. Entsprechend ist auch dieser Projektbaustein in der nunmehr erfolgten weiteren Projektverlängerung entsprechend konkretisiert und mit Fördermitteln für die Planung und Modellierung eines integrierten Auenentwicklungskonzeptes ergänzt worden.“

Im Mai hat der Stadtrat die Entwicklung eines Auentwicklungskonzeptes mit einem Beschluss untersetzt.

Aber wie nun weiter mit der „Lebendigen Luppe“? Zschampert (beide Bauabschnitte zusammen kosten rund 6,7 Millionen Euro) und Burgauenbach (knapp 1 Million Euro) sind bis 2023 zu schaffen. Wobei der Druck des Fördergeldgebers hoch ist. Denn wenn die Stadt nicht wenigstens einen dieser Bausteine noch im Jahr 2020 beginnt zu bauen, verfallen die Fördergelder. Jedenfalls betont das die Vorlage des Umweltdezernats. Also muss der Stadtrat im Juli seine Zustimmung geben, damit die ersten Bauabschnitte ins Vergabeverfahren gehen und der erste Abschnitt begonnen werden kann.

Die eigentliche „Lebendige Luppe“ steckt in den Bauabschnitten 1 bis 3: Das sind die mittlerweile relativ genau kartierten alten Flussverläufe, die baulich wieder mit Wasserzufluss versehen werden sollen. Aber die Vorlage rechnet nicht damit, dass die genauen Bauplanungen vor 2023 fertig sind. Sicher ist nur, dass die Vergrößerung des beplanten Gebietes auch dafür sorgt, dass sich die wahrscheinlichen Baukosten allein hierfür auf knapp 17 Millionen Euro erhöhen. Immerhin sind auch einige sensible Bauwerke im Gebiet zu verändern.

Insgesamt betragen die kalkulierten Kosten für das Projekt „Lebendige Luppe“ nun 25 Millionen Euro.

Wobei die Beteiligten den „no regret“-Ansatz betonen. Das heißt: Diese Revitalisierung der alten Flussarme muss sich von Anfang an auch in das spätere komplette Auenrevitalisierungskonzept einordnen, also auch dann funktionieren, wenn man endlich Wege findet, auch Nahle und Neue Luppe anzupacken und ihnen ihren zerstörerischen Kanalcharakter zu nehmen, damit das Auensystem tatsächlich wieder zu einer richtigen Aue wird.

„Für die weitere Planung in den Bauabschnitten 1–3 ist eine enge Abstimmung mit der nunmehr parallel vorgesehenen Erarbeitung eines integrierten Gesamtkonzeptes zur Auenentwicklung vorgesehen (siehe unten), um zu gewährleisten, dass sich diese Bauabschnitte optimal in eine über das Projekt „Lebendige Luppe“ hinausgehende zukünftige Auenentwicklung einfügt bzw. erste zielführende Schritte in diese Richtung darstellen“, heißt es dazu.

Die Vorlage verweist dazu auf die von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal vorgestellte „Vision 2030–2050“, den Zeitraum, in dem er damit rechnet, dass wirklich große Schritte zur Öffnung der Aue möglich sein werden. Denn schon die Kostenentwicklung bei der „Lebendigen Luppe“ zeigt, dass es hier mindestens um weitere zweistellige Millionenbeträge geht, um Deiche zurückzubauen, Gewässersohlen anzuheben und sensible Bauwerke wie Brücken, Leistungsmasten, Straßen usw. an eine durchflutete Aue anzupassen.

Aufatmen im Projekt Lebendige Luppe: Jetzt geht es um das Auenentwicklungskonzept

Aufatmen im Projekt Lebendige Luppe: Jetzt geht es um das Auenentwicklungskonzept

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Es gibt 2 Kommentare

@mz, NABU, BUND und Ökolöwe hatten sich gekümmert, wie man sich so kümmert, verstehst….

Da ist es doch ganz praktisch, dass die Stadt Leipzig sehr nachhaltig zumindest für eine gewisse stabile Reduzierung des theoretisch für eine Revitalisierung Möglichen gesorgt hat, indem sie keinen Einspruch gegen den Neubau der ICE-Brücke in der Nord-West-Aue eingelegt hat. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!
Nach jetzt vorliegendem Urteil des OVG zur Forstwirtschaft hätten die GRÜNE LIGA Sachsen/Nukla jetzt beteiligt werden müssen und damit die Möglichkeit gehabt, dafür zu sorgen, dass die Brücke so gebaut wird, dass es eine naturnahe Verbindung zwischen Burgaue und weißer Elster unter der ICE-Strecke geben kann. Das ist nun rum – Umweltamt der Stadt sei Dank!
P.S. Waren eigentlich die anderen Verbände auch nicht beteiligt?
Wo waren eigentlich die anderen (beteiligten?) Verbände?

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