Am 9. Februar bekam schon Oberbürgermeister Burkhard Jung vom Nabu Leipzig einen Offenen Brief zu den Abholzungen auf der Grünfläche zwischen Windmühlenstraße und Brüderstraße, wo das neue Institut für Länderkunde seinen Platz finden soll. Der Nabu hat die Fällungen vorerst stoppen lassen. Nun schreibt er auch offiziell an den Direktor des Instituts für Länderkunde (IFL) und listet alle Gründe auf, die gegen die Zerstörung der Grünfläche sprechen.

Der Offene Brief an den Direktor des Instituts für Landerkunde (IFL) und das anhängige Kuratorium

Betreff: Rodungen für den Neubau des IFL am 20. und 21. Januar 2021 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig

Sehr geehrter Prof. Dr. Sebastian Lentz und sehr geehrtes IFL Kuratorium (Axel Bergmann (SMWK-Sachsen), Dr. Oliver Weigel (BMI), Prof. Dr. Erich Schröger (Uni Leipzig), Prof. Dr. Kramer (KIT), Prof. Dr. Günter Heinritz (LMU) und Prof. Dr. Herbert Popp (Uni Bayreuth),

mein Name ist Dr. Karolin Tischer (Biologin) und ich bin ehrenamtlich beim NABU Leipzig tätig.

Ich habe erfahren, dass das IFL auf dem WLP bauen will und damit verbunden Rodungen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig durchgeführt wurden. Ich bin zutiefst schockiert, dass Ihr Institut, welches sich auch mit nachhaltiger Stadtentwicklung befasst, tatsächlich für den Bau Ihres neuen Hauses einen Gehölzbestand, den wir – wie sie wissen – zur Kühlung, zur Luftreinigung und zur Erholung in der Innenstadt gerade angesichts des Klimawandels so dringend benötigen, roden lässt.

Ich gehe davon aus, dass Ihnen wesentliche Hintergründe zu den veranlassten Rodungen sowie zur aktuellen Wertigkeit des Wilhelm Leuschner-Platzes fehlen, daher möchte ich Sie im Folgenden über die naturschutzfachliche Bedeutung und die Bedeutung des Platzes für den Klimaschutz informieren. Und natürlich hoffe ich, Sie zu einer Änderung Ihrer Baupläne bewegen zu können.

Zu den Geschehnissen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz am 20. und 21. Januar 2021:

Ich war zugegen als der NABU Leipzig am 21.01.2021 die Rodungen auf der im Landschaftsplan als Grün- und Erholungsfläche ausgewiesenen Fläche zwischen Brüder-, Grünewald und Windmühlenstraße durch eine Anzeige stoppen konnte. Durch die durchgeführte Rodung ist durch die Vernichtung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten mehrerer europäischer Vogelarten, Fledermäuse und Igel nun ein Umweltschaden nach § 19 Bundesnaturschutzgesetz entstanden. Dieser wird zu Recht durch den NABU Leipzig zur Anzeige gebracht!

Denn so eine Lebensraumzerstörung ist grundsätzlich verboten und führt zu Verbotstatbeständen. Nach Bundesnaturschutzgesetz ist die Zerstörung gesetzlich geschützter Lebensstätten nur dann zulässig, wenn vorab geeignete und funktionstüchtige Ausgleichsmaßnahmen umgesetzt wurden, die ein Fortbestehen der betroffenen Arten garantieren.

Allerdings fanden solche vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen hier nicht statt. Der Verweis der Stadtverwaltung auf geplante Dach- und Fassadenbegrünung wird dieser Anforderung nicht gerecht, denn damit wäre die ökologische Funktion von großen Strauchgruppen und alten gesunden Bäumen nicht zu ersetzen, und es handelt sich nicht um einen vorgezogenen Ausgleich.

Der NABU konnte beobachten, dass vor den Rodungsarbeiten keine Kontrolle der Gehölze auf das Vorhandensein von Tieren erfolgt ist, obwohl dies in Form einer artenschutzfachlichen Begleitung gesetzlich vorgeschrieben ist.

Im Artenschutzfachbeitrag zum noch nicht genehmigten Bebauungsplan sind für diese Fläche 9 wertvolle Bäume mit Höhlen und Spalten für Fledermäuse und Vögel eingetragen. Zusätzlich befinden sich auf der Fläche ca. 750 qm wertvolle Heckenstrukturen, die vielen Tieren insbesondere Strauchbrütern Rückzugs- und Fortpflanzungsstätten bieten. Alle europäischen Vogelarten sowie deren Lebensräume sind geschützt.

Pressemitteilungen zu den Geschehnissen am 20. Und 21.01.2021:

NABU stoppt Baumfällungen und Gehölzrodungen in der Leipziger Innenstadt

Leuschnerplatz: „Fällungsarbeiten für einen erheblichen Zeitraum unterbunden“ + Video

Nabu Leipzig: Leipzig schrumpft.

Tag 24: Kahlschlag am Wilhelm-Leuschner-Platz.

Zur Grünfläche, welche für den Neubau des Instituts für Länderkunde versiegelt werden soll:

Bei der genannten Grünfläche, auf welcher das Institut für Länderkunde gebaut werden soll, haben wir es nicht mit einer bereits versiegelten Fläche oder Baulücke zu tun, sondern mit einem wichtigen grünen Lebensraum – einer Ruhe-, Fortpflanzungs- und insbesondere einer Nahrungsstätte, welche für eine Vielzahl der auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz ansässigen Brutvogelarten von großer Bedeutung ist. Von solchen Flächen gab es vor Jahren noch wesentlich mehr in dieser Stadt. Jede Rückzugs- und Fortpflanzungsstätte braucht einen Nahrungsraum in adäquater Nähe, damit dieser als Lebensraum funktional ist.

Leipzig schrumpft massiv, was die Anzahl solcher Grünflächen angeht! Der NABU konnte zwischen 2016 und 2019 den Verlust von über 300 Grünflächen erfassen. Da diese Erfassung ehrenamtlich stattfand, wird die wahre Zahl weit höher liegen.

Es wäre wichtig noch einmal zu prüfen, ob das IFL nicht in bereits vorhandenen leerstehenden Räumlichkeiten unterkommen kann. Das wäre ein Beitrag zur Nachhaltigkeit, und zur Stadtökologie des 21. Jahrhunderts und deutlich besser als neue Flächen in einem ohnehin schon stark bebauten Quartier zu versiegeln und damit den Wärmeinseleffekt weiter zu befeuern.

Die Stadt verweist bei solchen Rodungen, wie für die Grünfläche auf dem der IFL-Neubau entstehen soll, auch immer wieder auf die umliegenden Grünflächen, die jedoch massiv überpflegt und übernutzt und deren Habitate bereits durch Vogelpaare besetzt sind. Damit ist es unmöglich, dass die verdrängte Vogelpopulation vom Wilhelm-Leuschner-Platz im Schillerpark oder dem Park an der Moritzbastei Unterschlupf findet, da gerade diese Grünflächen überpflegt, übernutzt und vorhandene Rückzugsräume und Reviere bereits besetzt sind.

Informationen zum ehrenamtlich erfassten Grünflächenschwund finden Sie hier:

Stellungnahmen des Nabu.
Die Fläche auf Google Maps.

Zum Thema Artenschutz:

Der Wilhelm-Leuschner-Platz besitzt eine hohe Diversität an Vogelarten, die keine andere innerstädtische Fläche in vergleichbarer Größe zu bieten hat. Auf dem Leuschnerplatz finden wir 17 verschiedene Brutvogelarten (Amsel, Blaumeise, Dorngrasmücke, Gartenbaumläufer, Gelbspötter, Hausrotschwanz, Haussperling, Klappergrasmücke, Kleiber, Kohlmeise, Mönchsgrasmücke, Nachtigall, Rabenkrähe, Ringeltaube, Star, Stieglitz und Grünspecht), die dort ihr Brutgeschäft verrichten und weitere 12 Vogelarten, die dort gesichtet werden konnten.

Wie wichtig diese Diversität an Vogelarten ist, zeigt eine aktuelle Studie von Wissenschaftler/-innen des Senckenberg Museums Frankfurt, des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Kiel. Diese Wissenschaftler können erstmals europaweit zeigen, dass die individuelle Lebenszufriedenheit mit der Vielfalt der Vogelarten im Umfeld korreliert. Zehn Prozent mehr Vogelarten im Umfeld steigern die Lebenszufriedenheit der Europäer/-innen demnach mindestens genauso stark wie ein vergleichbarer Einkommenszuwachs. Naturschutz sei daher eine Investition in menschliches Wohlbefinden, ziehen die Forscher/-innen ihre Bilanz. Hier der Link zur Untersuchung.

Weiterhin sind auf dem Leuschnerplatz aufgrund der aktuell vorhandenen Habitatausstattung Quartiere von Fledermäusen zu erwarten. Bei der Jagd sind Fledermäuse bereits mehrfach beobachtet worden.

Zum Thema Gesundheit:

Unsere Gesundheit hinsichtlich Prävention, aber auch während einer Gesundung hängt ganz direkt vom städtischen Grün ab, wie auch das iDiv (Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig) in einer aktuellen Studie zum Thema Straßenbäume zeigen konnte. Dabei setzten die Forscher/-innen die medizinischen Daten von fast 10.000 erwachsenen Leipziger/-innen, die an der LIFE-Gesundheitsstudie der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig teilgenommen hatten, mit räumlichen Daten zu Straßenbäumen der Stadt Leipzig in Beziehung.

So konnte der Zusammenhang zwischen Antidepressiva-Verordnungen und der Anzahl der Straßenbäume in unterschiedlichen Entfernungen von den Wohnorten der Menschen ermittelt werden. Die Forscher/-innen konnten zeigen, dass mehr Bäume in unmittelbarer Umgebung des Hauses (unter 100 Meter Entfernung) häufig mit einer geringeren Zahl von Antidepressiva-Verschreibungen einhergingen. Dieser Zusammenhang war besonders klar für sozial schwache Gruppen, die in Deutschland als am gefährdetsten gelten, an Depressionen zu erkranken. Straßenbäume in Städten könnten also als einfache naturnahe Lösung für eine gute psychische Gesundheit dienen.

Für mehr Informationen folgen Sie bitte dem Link:

Meldung des iDiV.

Zum Klimaschutz/Hitzentwicklung im innerstädtischen Bereich:

Der Bereich des Wilhelm Leuschner-Platzes gehört zum Stadtbereich Zentrum Süd, welcher als einer von acht Stadtteilen im INSEK 2030 (Integriertes Stadtentwicklungskonzept 2030) als bereits jetzt schon zu stark überbaut dargestellt wird. Laut dem Konzept sind Grünflächen und Gehölzstrukturen in diesem Bereich zu erhalten und zu entwickeln. Das heißt, die Stadt Leipzig verpflichtet sich dazu, hält aber ihre eigenen Vorgaben nicht ein und versiegelt weiter Flächen. Auch am Wilhelm-Leuschner-Platz werden 1,8 Hektar zusätzlich versiegelt. Dazu trägt auch der Neubau des Instituts für Länderkunde bei.

Ebenso wurde im Herbst 2019 der Klimanotstand für Leipzig ausgerufen. Im dazugehörigen Klimanotstandprogramm verpflichtet sich die Stadt, alle Beschlüsse hinsichtlich ihrer Klimarelevanz zu prüfen. So eine Klimaschutzprüfung fordern wir auch für die Bauvorhaben auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz, da dies bisher nicht geschehen ist und man immer wieder darauf hinweist, dass die Dach- und Fassadenbegrünung es schon richten wird. Eine Rodung und weitere Versieglung der Flächen stehen diesem Ziel jedoch entgegen.

Der Platz ist außerdem im Landschaftsplan als Fläche mit besonderer Bedeutung für die Grundwasserneubildung ausgewiesen. Auch dieser Aspekt wird durch die Planung übergangen.

Insgesamt verstößt die Stadt Leipzig mit der derzeitig vorliegenden B-Planung massiv gegen ihre Beschützergarantenstellung und ihre eigenen Grundsätze und Grundsatzplanungen (Landschaftsplan, INSEK, Stadtklimauntersuchung, Luftreinhalteplan, Klimanotstand).

Abschließend:

– Ich hoffe, ich konnte Sie zu den Geschehnissen am Wilhelm-Leuschner-Platz ausreichend unterrichten. Für Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.

– Wir haben als NABU Leipzig eine beträchtliche Unterstützung für unsere Proteste gegen die durchgeführten Rodungen aus der Mitte der Gesellschaft, neben:

  • – Fridays for Future,
  • – Parents for Future,
  • – Health for Future,
  • – Omas for Future,
  • – Regionalgruppe Leipzig des BUND Landesverband Sachsen e. V.,
  • – Uferleben e.V.,
  • – Ornithologischer Verein zu Leipzig e.V.,
  • – Ökolöwe Umweltbund Leipzig e.V.,
  • – Extinction Rebellion Leipzig,
  • – Students for Future,
  • – BUND Ortsgruppe Böhlitz,
  • – BUND Ortsgruppe Delitzscher Land,
  • – Rettet die Bienen in Sachsen,
  • – Naturschutzjugend Leipzig,
  • – der Anwohnerschaft am Wilhelm-Leuschner-Platz

haben wir auch die Unterstützung vom Bündnis 90 /Die Grünen Stadtverband Leipzig.

– Wir veranstalten als NABU Leipzig auch wöchentliche Mahnwachen und geben Pressemitteilungen dazu heraus, um auf diesen Vorgang hinzuweisen.

– Ich sehe Sie in der Verantwortung als Wissenschaftler/-innen, die sich mit Stadtökologie und dem nachhaltigen Wachsen von Städten beschäftigen, hier einen Beitrag zu leisten für eine Stadtökologie, die auch den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird.

– Ich bitte Sie zu überdenken, ob für Ihren Neubau wirklich eine Grünfläche mit Gehölzbestand in der Innenstadt, welche ohnehin bereits jetzt ein Grünflächendefizit aufweist, mit 700 qm wertvollen Hecken und vielen wichtigen Höhlenbäumen gerodet und versiegelt werden soll?

Im Namen des NABU Leipzig e. V. bitte ich um eine schriftliche Stellungnahme.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Karolin Tischer vom NABU Leipzig

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar