Am Mittwoch, 20. Januar 2021, begannen für viele überraschende Fällarbeiten auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz, Höhe Rossplatz, wo das neue Leibnizinstitut für Länderkunde entstehen soll. Die Stadt Leipzig sprach am gleichen Tag in einer Mitteilung von „Bodenprobenarbeiten“, das Grünflächenamt hätte diese genehmigt, doch vor Ort verschwanden unter den Augen von Umweltschützern die ersten Bäume. Tags darauf stoppte der NABU Sachsen die Fällungen. Nun steht die Frage im Raum: wie soll es weitergehen?

Es ist der schon längst klassische Konflikt einer wachsenden Stadt zwischen „neu gewachsenem Grün und Neubau“ in Leipzig. Die einen sehen Gestrüpp, andere ganz neue Biotope. Lesen Sie hier eine ausführliche Schilderung des Konfliktes rings um den Wilhelm-Leuschner-Platz, den Verkaufsvorgag zwischen der Stadt Leipzig und dem Land Sachsen zur Errichtung des neuen Leibnizinstitutes für Länderkunde auf LZ.

Was sich auf dem Leuschnerplatz-Gelände abspielt, ist nur ein Vorbote weiterer Konflikte überall da, wo ganze Stadtviertel neu geplant werden oder – wie am Bayerischen Bahnhof oder auf dem Jahrtausendfeld – innerstädtisches Grün auf langjährigen Brachen entsteht oder entstehen soll. Mit entsprechenden Bewohnern, wie seltene Brut-Vögel, Fledermäuse und andere teils hochgeschützte Baum- und Strauch-Bewohner.

Auch aus diesen Gründen läuft noch bis zum heutigen Freitag die tägliche Mahnwache verschiedener Umweltschutzinitiativen und Verbände vor dem Neuen Rathaus in Leipzig.

Die größte Kritik der Umweltschützer ist stets, dass die neu entstandenen Biotop nicht ausreichend bei den Planungen beachtet und gegebenenfalls in Bebauungspläne eingearbeitet werden. Und die sogenannten „Ersatzpflanzungen“, also meist junge Bäume ohne die CO2-Absorbtion wie ältere, entweder irgendwo am Stadtrand und eben nicht zentral im Herzen einer sich klimabedingt immer weiter aufheizenden Stadt gepflanzt werden sollen.

Der Leuschnerplatz 2020 und seine Vogelarten. Foto: LZ
Der Leuschnerplatz 2020 und seine Vogelarten. Foto: LZ

Nach langem Zureden gegenüber dem Leipziger Stadtrat und der Stadtverwaltung hat sich seit dem 20. Januar 2021 nun auch die Gangart beim NABU Sachsen verschärft und wird zunehmend juristischer.

Noch am gleichen Tag hatte Tim Stähle, Berliner Fachanwalt für Verwaltungsrecht, am 20. Januar 2021 für seinen Mandanten NABU die Stadt Leipzig aufgefordert, die überraschenden Rodungen auf dem Areal des Leuschnerplatzes umgehend einzustellen.

Als am nächsten Tag die Bauarbeiter erneut anrückten, waren Vertreter des NABU Sachsen bereits vor Ort, Presse ebenso und letztlich zogen die Bauarbeiter dank seines Einspruches vorerst unverrichteter Dinge wieder ab. Seither ist wieder Ruhe vor Ort eingekehrt, wie lang genau, weiß derzeit niemand.

Die Rodungsarbeiten am 20. Januar 2021 auf dem Leuschnerplatz. Video: Privat

Was da genau hinter den Kulissen ablief und wie es weitergehen könnte, beantwortete Tim Stähle für den NABU Sachsen der LZ auf Nachfrage wie folgt.

Am Mittwoch erging durch Sie seitens des NABU Sachsen eine Aufforderung an das Grünflächenamt Leipzig und weitere, die Rodungs- und Fällarbeiten auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz (Höhe Rossplatz) umgehend einzustellen. Wie war die Reaktion der Stadt Leipzig?

Auf unser Schreiben mit der Unterlassungsaufforderung haben wir keine direkte Rückmeldung bekommen. Wir hatten eine Frist bis 18:00 Uhr am Mittwoch zur Rückmeldung gesetzt, woraufhin keine Reaktion erfolgte.

Erst als wir in Erfahrung bringen konnten, dass es eine Genehmigung nach der Baumschutzsatzung für die Fällmaßnahmen gibt, konnten wir durch unseren Widerspruch am Donnerstagmorgen die Fällmaßnahmen stoppen.

Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Das heißt, er bewirkt den sofortigen Rodungsstopp, welchen die Stadt im Anschluss – nach etlichen Telefonaten unsererseits – durchgesetzt hat.

Am kommenden Tag standen die Fällarbeiten dann – nach einer nochmaligen Auseinandersetzung vor Ort – vorerst still. Auf welcher rechtlichen Grundlage konnten die Fällarbeiten gestoppt werden?

Die rechtliche Grundlage für den Stopp der Rodungsmaßnahmen ist § 80 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dort heißt es wörtlich: „Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung.“

Wir haben Widerspruch gegen die Baumschutzsatzung-Genehmigung eingelegt. Damit darf von dieser kein Gebrauch mehr gemacht werden. Der NABU Sachsen hat als nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) anerkannte Vereinigung das Recht gegen die Genehmigung Widerspruch einzulegen.

Wie sehen die nun folgenden Schritte genau aus, was sind die Forderungen aus rechtlicher / naturschutzrechtlicher Sicht an die Stadt Leipzig?

Es ist derzeit geplant, die Unterlagen zur Genehmigung nach der Baumschutzsatzung auszuwerten und im Anschluss den Widerspruch zu begründen. Darüber hinaus werden wir prüfen, ob die bereits erfolgten Rodungsmaßnahmen wegen eines Verstoßes gegen den gesetzlichen Artenschutz als Umweltschaden zu qualifizieren sind.

Dann kann der NABU Sachsen diesbezüglich einen Antrag auf Sanierung stellen.

Wie sind die weiteren Verfahrensschritte, wenn die Fällarbeiten dauerhaft unterbunden werden sollen?

Der Widerspruch gegen die Genehmigung entfaltet aufschiebende Wirkung. Gleiches gilt für eine sich gegebenenfalls anschließende Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Insofern unterbindet allein das vom NABU Sachsen eingelegte Rechtsmittel erst einmal weiterhin, angesichts der Laufzeiten der gerichtlichen Klageverfahren bei den Verwaltungsgerichten nach meiner Einschätzung sogar für einen erheblichen Zeitraum, die Fortsetzung der Fällarbeiten.

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