LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 35In einem Punkt sind sich die zahlreichen Gruppen, die am 17. September in vielen deutschen Großstädten auf die Straße gehen wollen, einig: Die Freihandelsabkommen CETA und TTIP sind schädlich. Doch bereits die Frage nach den Gründen für die Ablehnung fördert deutliche Differenzen zu Tage. Für einen Paukenschlag sorgten die sächsischen Grünen, die Anfang September für die Demonstration gegen CETA und TTIP mobilisierten – überraschenderweise jedoch nach Berlin, nicht nach Leipzig.

Die offiziellen Gründe für diesen Schritt sollen vermeintlich in den Leipziger „Montagsmahnwachen“ vor zweieinhalb Jahren und die damalige Beteiligung des attac-Aktivisten und heutigen Vorbereiter der Leipziger TTIP- und CETA-Demonstrationen Mike Nagler liegen. Vermintes Gelände für neutrale Beobachter, hatten sich doch bei den Mahnwachen ab dem Frühjahr 2014 neben Mike Nagler anfangs auch andere linke Friedensbewegungen wie der Leipziger Friedensweg e.V., aber auch der Leipziger Migrantenbeirat Hassan Zeinel Abidine ans Mikrophon gestellt, um über aktuelle Weltprobleme wie Krieg und Vertreibung zu sprechen.

Was als Versammlung von Bürgern jeden Alters und Quergeistern frei von Parteieinflüssen auf dem Leipziger Augustusplatz begann, hatte anfangs die gemeinsame Befürchtung vor neuen Kriegen in Europa zum Anlass. Vor allem die bis heute andauernde Krise in der Ukraine und die zunehmend robusteren Töne zwischen der EU und Russland trieben teilweise bis zu über 1.000 Teilnehmer auf die Straße und an das offene Mikrofon. Schnell ging es auch um gesunde regionale Ernährung, zinslose Geldsysteme und Regionalwährungen als Lösungsideen für eine attestierte Kapitalismuskrise und die Kriegsgefahren auf der ganzen Welt. Doch bereits bei der dritten Leipziger Veranstaltung wurden die Beiträge seltsamer, erste Chemtrails wurden angeblich in Redebeiträgen gesichtet und von einer deutschlandweit vernetzten Bewegung mit Kern in Berlin war die Rede.

Im Organisationsteam der Montags­mahnwachen traten 2014 rasch erste Spannungen auf, linke Friedensakti­visten verließen den Kreis nach weni­gen Veranstaltungen unter Protest über einen zunehmend machtorientierten Führungsstil. Und unter dem Druck erster medialer Vorwürfe, es entstünde hier eine „Querfront“ aus links und rechts nach nati­onalsozialistischem Vorbild. Die Krise in der Ukraine bestand weiter fort, aber aus den sich ausbreitenden Montagsmahnwa­chen wurden in der Wahrnehmung und im Sprachgebrauch vieler aufgrund der oft eher wirren Vorträge „Wahnmachen“.

Heute muss man hier die frühe Geburts­stunde von Legida feststellen

Sehr schnell geriet die Bewegung auch in die mediale Kritik, weil unter anderem der Berliner Organisator Lars Mährholz mit einer stark vereinfachten Medien-, Banken-und USA-Kritik die Richtung vorzugeben begann. Beklagte man in Leipzig zu diesem Zeitpunkt noch das Fehlen der medialen Aufmerksamkeit, wurde es später, fast 1,5 Jahre danach ohne Mährholz zu Hass auf den „Mainstream“ und „die Lügenpresse“ bei Legida.

Immer wieder kamen in der Folge bei den Kundgebungen neben obskuren Goldhänd­lern, vor allem in Berlin, auch neurechte Redner zu Wort. Jürgen Elsässer, Chefre­dakteur des Monatsmagazins „Compact“, war vor allem dort ein gern gesehener Gast. Die sächsische NPD hatte ebenfalls Lunte gerochen und versuchte, sich zum Beispiel in Leipzig mittels erster Akteure, an die Seite der noch richtungslosen Versammlun­gen zu platzieren.

Das Ziehen und Zerren um die Akteure war in vollem Gange, während der Leip­ziger Ableger zunehmend vom späteren Legida-Chef Markus Johnke dominiert wurde. Auch Stephane Simon, der anschlie­ßend sowohl bei Pegida in Dresden als auch beim Ableger in Leipzig als Redner auftrat, feierte hier sein Straßendebüt und befeuerte die Überlegungen, man lebe in einem Unrechtsstaat. Mike Nagler war da schon längst von Bord gegangen – die Vorlaufphase der Radikalisierung späterer Legida-Verantwortlicher hatte begonnen.

„Absage an die Querfront in Leipzig“

Unter diesem Titel begründen nun die sächsischen Grünen über zwei Jahre später in einem offenen Brief, warum sie der Demo in Leipzig fernbleiben wollen. Und meinen damit vor allem die Person Mike Nagler, auch bekannt als Ex-Bundestagskandidat der Linken, erfolgreicher Initiator der Leipziger Kampagne gegen den Stadtwerkeverkauf und ehemaliges Mitglied des Hochschulrates der HTWK. Dieser habe sich einst als Mitorganisator der Leipziger Montagsmahnwachen nicht klar genug von Querfrontbestrebungen abgegrenzt. „Auch wenn es verein­zelte Versuche gab, sich klarer zu positionieren, ist zu konstatieren, dass die Mahnwachen durch ihre fehlende Abgrenzung den perso­nellen Pool für Legida und andere menschenfeindliche Gruppierungen gebildet haben.“

Ein wenig bleibt der Geruch von Schuld und Sühne in einer Situation, wo Nagler sein Engagement für Frieden im Jahr 2014 selbst wohl kaum zurücknehmen kann.

Wie aus weiteren, auf Facebook und Twit­ter geführten Diskussionen hervorgeht, haben sich die Grünen eine noch klarere Distanzierung Naglers von der Mahnwa­chenbewegung gewünscht. Da diese nicht in gewünschtem Umfang erfolgt sei und auch das lokale Organisationsbündnis nicht ausreichend darauf hingewirkt hätte, habe man sich dazu entschlossen, der Demo in Leipzig fernzubleiben. Und dies, obwohl Nagler nun, anders als ursprünglich geplant, nicht mehr als Redner auftreten soll.

„Schuld“ nach Gutdünken? Die Sache mit den Rechten.

Die Vorbereitungsgruppe in Leipzig reagierte wenige Tage nach dem Brief der Grünen mit einer eigenen Pressemitteilung. Darin wurde erklärt, dass man sich von antisemitischen, rassistischen, nationalis­tischen und verschwörungstheoretischen Positionen klar abgrenze. Nagler sprach man die Solidarität aus – der geplatzte Auftritt sei auf ein Verbot des bundesweiten Trägerkreises der Demonstrationen zurück­zuführen. Auch die sächsische Linkspartei meldete sich zu Wort und bezeichnete die Ankündigung der Grünen als „Bärendienst für das Anliegen des Aktionstages“. Weiter heißt es: „Was die Grünen hier betreiben, ist Spiegelfechterei gegen vermeintliche Querfrontbestrebungen.“

Dass die Diskussionen um Nationa­lismus und Querfront im Vorfeld der Demonstrationen gegen die geplanten Freihandelsabkommen wieder aufleben, kann hingegen nicht nur mit Mike Nagler zu tun haben. Denn noch bei der 2.000 Teilnehmer starken Anti-TTIP-Demons­tration am 28. Mai 2016 war es für den grünen Landesvorstand Jürgen Kasek kein Problem, sich die Rednerbühne mit dem damaligen Mitveranstalter Mike Nagler zu teilen. Der Unterschied zur vermutlich weit größeren Veranstaltung am 17. September: es hatte keine Aufrufe zur Beteiligung von rechtsradikaler Seite gegeben.

Doch gerade der Protest gegen CETA und TTIP ist wie einst bei den Montags­mahnwachen ein beliebtes Ziel für solche Vereinnahmungsversuche. Dies zeigt sich etwa darin, dass nun zum Beispiel Gruppen wie die rechtsradikale „Wir für Leipzig“-In­itiative, welche in der Person von Enrico Böhm vor wenigen Monaten den Facebookaccount der NPD Leipzig übernahm, zur Demonst­rationsteilnahme aufrufen. Hinzu kommen verschiedene Neonazi-Ka­meradschaften und Teile der AfD, welche sich gern am 17. September in Leipzig, mit Sicherheit aber auch in Berlin, beteiligen wollen.

Ihnen geht es dabei weniger um Verbraucherschutz, Ökologie oder fairen Welthandel. Hier stehen vor allem nationalistisch-deutsche Interessen im Zentrum, die sie vor Einflüssen von außen bewahren wollen. Und natürlich der Wunsch, sich einer längst zum Massenpro­test angewachsenen Bewegung anzuschließen. So war bei der vergangenen Großdemo in Berlin unter anderem erstmals auch die völkische „Identitäre Bewegung“ zu sehen.

Diskreditierung eines berechtigten Pro­testes und die Folgen

Während sich die sächsischen Grünen für den 17. September zu einer Berlinfahrt ent­schieden haben und wohl dort ebenfalls auf rechtsextreme Unterwanderungsversuche in einer noch größeren Menge treffen dürften, haben sich in Leipzig verschiedene Gruppen zu einer Teilnahme an der Demonstration entschieden.

Das Gegenstück zu den rechten Bestre­bungen soll ein sogenannter Jugendblock innerhalb der Demonstration bilden, an dem sich neben den Nachwuchsgruppen von SPD, Linken sowie verschiedener Naturschutz-und Gewerkschaftsorganisationen auch das Bündnis „Prisma“ beteiligen möchte. In einer auf Facebook veröffentlichten Erklä­rung der Gruppe heißt es abschließend: „Lasst uns dem rechten Versuch, den Protest gegen die Freihandelsabkommen für sich zu vereinnahmen, in Leipzig eine klare Absage erteilen. Gehen wir in die Offensive und lassen wir regressiver Kapitalismuskritik keinen Raum auf dieser Demo.“

Auf der Leipziger Seite „Vorsicht Freihan­del“ findet sich hingegen seit Monaten ein Statement, welches sich wie ein vorge­zogener Mahnruf auch in Richtung der Grünen lesen lässt. „Im Grunde müsste die politische Klasse dankbar sein, dass es eine demokratische, friedliche, pluralistische, konstruktive Bewegung gegen TTIP gibt – denn dieses Kürzel TTIP ist längst das Synonym für den Neoliberalismus und die marktradikale Wirtschafts- und Finanzpoli­tik der letzten 20 Jahre.“

Denn, so die Initiatoren der Leipziger Demonstrationen in diesem Jahr: „Nicht diejenigen, die gegen TTIP mobilisieren, machen die Rechtspopulisten hoffähig, sondern diejenigen, die gegen die Mehrheit TTIP und CETA und ihre alte Wirtschafts-und Finanzpolitik weiter durchdrücken wollen.“

Wer demnach verhindern will, dass antidemokratische, nationalistische, reaktionäre Strömungen aus der massiven Vertrauenskrise der Eliten Europas und Nordamerikas Kapital schlagen oder gar die Macht übernehmen, müsse zeigen, dass demokratische Alternativen funktionieren.

Am 19. September 2016 wird die SPD auf ihrem Bundesparteitag die Gelegenheit haben, sich für oder gegen die vorzeitige Inkraftsetzung von CETA zu entscheiden.

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 35 widmet sich den Brüchen einer zunehmend gespaltenen Stadtgesellschaft und gibt es hier zu kaufen.

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Es gibt 2 Kommentare

Das ist eine unglaublich wichtige Demo, wer Zeit hat und auch nur halbwegs fit ist, sollte sich dahin bewegen. Rechte tauchen überall auf, wo sie eine Möglichkeit wittern, ihr Image zu verbessern, das sollte nun wirklich niemanden von einer Teilnahme abhalten. Damit stärkt man nur die Falschen.

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