Am Freitag, 16. Juli, gab es im Leipziger Zentrum die Großdemo gegen den Ausbau des Frachtflughafens Leipzig/Halle. Sie war eine Reaktion auf das unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei gegen die Straßenblockade am 9. Juli vor einem der Tore des Flughafens. Unter den Rednern am 16. Juli war auch Matthias Zimmermann, Sprecher der „Bürgerinitiative gegen die neue Flugroute“. Er erzählte, warum die Fluglärmbetroffenen so langsam richtig sauer sind.

Und warum es wohl nicht mehr ausreicht, auf die immer wieder gebrochenen Versprechungen von Politikern zu vertrauen, denen der Profit eines Frachtflugunternehmens wichtiger ist als die Gesundheit der Menschen rund um den Flughafen. Und mit Fridays for Future hat der Protest ja auch noch eine neue Dimension gewonnen, denn der Flughafen ist längst dabei, sich zur größten CO2-Schleuder in der Region zu entwickeln.

Während Kommunen wie Leipzig darüber nachdenken, wie sie die Belastung der Atmosphäre mindern können, treibt der Flughafen den Frachtflugbetrieb mit oft uralten Flugzeugen weiter voran und bedient dabei die Bequemlichkeit einer Gesellschaft, die sich daran gewöhnt hat, sich alle möglichen Produkte express nach Hause liefern zu lassen. Und Teil der Express-Strecke sind immer wieder die von DHL beschickten Kurzstrecken etwa von Leipzig nach Frankfurt.

Die Ansprache von Matthias Zimmermann, Pressesprecher Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ am 16. Juli

Thema: Die Geschichte des Ausbaus des Flughafens Leipzig/Halle ist die Geschichte von Lügen, Halbwahrheiten und nicht eingehaltenen Versprechungen von Politik und Verwaltung gegenüber den Bürgern.

Vielen Dank für die Einladung.

Ich werde in letzter Zeit immer wieder gefragt: Herr Zimmermann, die „Bürgerinitiative gegen die neue Flugroute“ kommt nach unseren Erfahrungen eher aus der konservativen bürgerlichen Mitte. Seit geraumer Zeit finden wir Sie aber verstärkt – vorsichtig ausgedrückt – unkonventionell unterwegs, sowohl in den Aussagen, als auch in den Aktionen der Bürgerinitiative. Wie passt das zusammen?

Ja, antworte ich dann, die Tatsache kann ich bestätigen und es hat sich auch an unserer Grundeinstellung nichts geändert. Aber es hat einen Erkenntnisprozess gegeben. Und das hat seinen Grund:

Die Geschichte des Ausbaus des Flughafens Leipzig/Halle ist die Geschichte von Lügen, Halbwahrheiten und nicht eingehaltenen Versprechungen von Politik und Verwaltung gegenüber den Bürgern. Nur drei Beispiele aus einer von mehr als zwei DIN A4-Seiten umfassenden Chronik möchte ich hier anführen.

Als 1996 die Start- und Landebahn Nord und der neue Terminal gebaut werden sollte, ließ der damalige Ministerpräsident von Sachsen verkünden, dass niemand die Absicht habe, den Flughafen zu erweitern. Die in DDR-Geschichte bewanderten werden ggf. Parallelen erkennen. Das Ergebnis ist bekannt.

Als dann im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens 2003/2004 die Start- und Landebahn Süd neu gebaut werden sollte, versprach man den Bürgern, „Leipzig wird umflogen“. „Keiner soll nachts aufwachen“. Tatsächlich sind mit Inbetriebnahme der SLB Süd und des DHL-Frachtflugdrehkreuzes auch weite Teile Leipzigs von den nächtlichen DHL-Anflügen betroffen. Laut Bürgerumfrage 2019 empfinden die Bürger in ca. 1/3 des Leipziger Stadtgebietes Fluglärmbelastung.

Der damalige Planfeststellungsbeschluss legte eigentlich auch eine gleichmäßige Bahnverteilung fest. Trotzdem gestand die Landesregierung zeitgleich in einer nicht veröffentlichten Patronatserklärung von 2005 dem Unternehmen DHL zu, dass sowohl DHL selbst, als auch alle im Namen von DHL tätigen Luftfahrtunternehmen die stadtnahe südliche Start- und Landebahn bis 40 Flugbewegungen pro Stunde!!! nutzen können. Heute werden über 90 % der nächtlichen Starts über die stadtnahe Südbahn abgewickelt.

Im Jahr 2017 stellte der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages einstimmig und mit dem höchsten Votum fest, das Begehren der Bürger ist rechtens, die kurze Südabkurvung muss abgeschafft werden. Der Deutsche Bundestag bestätigte dies zudem mit einem einstimmigen und parteiübergreifenden Bundestagsbeschluss. Dieser Bundestagsbeschluss ist bis heute nicht umgesetzt, da sich der zuständige Verkehrsminister schlichtweg weigert.

Selbst die Leipziger Bundestagsabgeordneten, die sich um der Sache willen querbeet der Parteienlandschaft mehrfach aktiv für die Umsetzung des Bundestagsbeschlusses eingesetzt haben, sagen mir, sie sind mit ihrem Latein am Ende. Welch düsterer Ausblick in bundesdeutscher Demokratie.

Was den Koalitionsvertrag der Landesregierung betrifft, so ließ das hoffen. In ihm wurde festgeschrieben, „Im Interesse der Menschen im Ballungsraum Leipzig … werden wir uns für eine weitere Reduzierung der Fluglärmbelastung einsetzten.“ Also mal ungeachtet der Tatsache, dass das Adjektiv „weitere“ vollkommen desinformierend ist, da es auch in der Vergangenheit gar keine Reduzierung des Fluglärms gab, seit 2019 sind die Fluglärmbelastung und der CO2-Ausstoß ständig weiter angestiegen und keiner der im Regierungsprogramm zum Thema Fluglärm bzw. Flughafen angesteuerten Punkte sind bis heute umgesetzt.

Und nun schließt sich der Kreis zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen. Wie bekannt, hat unsere Bürgerinitiative Mitte letzten Jahres die Petition „Kein weiterer Ausbau des Frachtflughafens Leipzig/Halle“ gestartet und diese mit über 10.000 Unterschriften kürzlich eingereicht. Zudem haben gegen das derzeit laufende Planfeststellungsverfahren zum Ausbau des Flughafens bisher weit mehr als 5.000 Einzelpersonen Widersprüche eingereicht. Die Stellungnahmen der meisten Kommunen zum Vorhaben waren niederschmetternd.

Das Verfahren läuft zwar noch und die Stellungnahmen müssen erst ausgewertet werden – aber trotzdem lese ich in der Zeitung, dass das Flughafenmanagement erklärt, „Der Ausbau wird genehmigt“. Wohlgemerkt, bei dem Flughafen Leipzig/Halle handelt es sich de facto um ein Landesunternehmen. Da frage ich mich doch, wer ist hier „diktatursozialisiert“ und wer ist Lobbygetrieben?

Kommen wir zur Blockade des Flughafens sowie den diesbezüglichen Schnellschüssen aus Wirtschaft und Politik hinsichtlich der Schadensersatzforderungen.

Da darf man doch wohl zurückfragen

– Wer bezahlt den Anrainern die gesundheitlichen Schäden und Kosten des nachweislich krank machenden Fluglärms?
– Wer kommt für den Klimaschaden auf?
– Wer zieht die Wahlbetrüger zur Rechenschaft?
– Wer ersetzt den schleichenden Verlust qualitativ hochwertigen Arbeitskräftepotentials, welches durch die beabsichtigte neue chinesische Seidenstraße, wie sie am Flughafen Leipzig/Halle als wesentlicher Punkt installiert werden soll, unweigerlich eintreten wird – ja bereits eingetreten ist?

Und warum soll der Steuerzahler das alles auch noch bezahlen? Bekanntlich ist der Flughafen defizitär.

An dieser Stelle sei übrigens angemerkt, dass selbst die KlimaUnion, eine Gruppe von CDU-Politikern, fordert, „sämtliche Flugverkehrssubventionen Stück für Stück zu streichen.“ Das sollte dann wohl auch für den Leipziger Flughafen gelten. Oder?

Demokratie ist keine Einbahnstraße mit gewollten Ergebnissen für die Wirtschaft und von ihr ggf. gesteuerter Politik.

Wenn sachliche und fachliche Argumentation nicht gehört wird bzw. nicht zählt, dann soll es halt so sein – unorthodoxe, kreative Demos und Protestaktionen.

Lasst uns also fragen:

Wenn das Umweltbundesamt ein generelles Nachtflugverbot für stadtnahe Flughäfen fordert, warum soll dann ein Flughafen wie Leipzig-Halle ausgebaut werden, der eine uneingeschränkte Nachtflugerlaubnis besitzt?

Lasst uns fragen:

Wenn die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, dass der Nachtfluglärm auf weniger als 40 dB reduziert werden soll, warum wird dann ein Flughafen ausgebaut, bei dem selbst außerhalb des sogenannten Nachtschutzgebietes Lärmspitzen bis 70 dB und mehr gemessen werden?

Und lasst uns fragen:

Von wem fühlen sich Frau Merkel und Herr Kretschmer eigentlich legitimiert, sich über das Grundrecht auf Gesundheit hinwegzusetzen?

Matthias Zimmermann
Pressesprecher Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“

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